Vermischtes

Forscher sprechen von 200.000 Fällen sexuellen Missbrauchs im Sport

  • Montag, 15. Juli 2019
/magann, stockadobecom
/magann, stockadobecom

Köln – Sexueller Missbrauch im Sport ist einer Studie zufolge ein weitgehend ver­dräng­tes Problem großen Ausmaßes. Auf hochgerechnet rund 200.000 Betroffene bezifferte die ARD-Sportschau die Zahl der Opfer in Deutschland.

Sie zitierte in einem am Samstag ausgestrahlten 45-minütigen Beitrag „Das große Tabu“ eine noch unveröffentlichte Studie der Universitätsklinik Ulm, über die die Welt zuerst berichtet hatte. „Wir haben eine Bewusstseinsentwicklung nötig in diesem Be­reich“, sagte der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert.

Für die Studie waren rund 2.500 Menschen zu ihren Erfahrungen mit sexuellem Miss­brauch in Kindheit und Jugend befragt worden. Bereits vor drei Jahren hatte die Uni­klinik 1.800 Leistungssportler befragt. Mehr als ein Drittel berichtete, „sexuell über­griffi­ge Dinge“ erlebt zu haben. „Da waren wir schon entsetzt. Wenn man es sehr eng nimmt, haben drei Prozent sexuelle Übergriffe mit Penetration erlebt, schwerste Taten. Aber es kommt natürlich ein großes Feld von ungewollten Berührungen dazu“, so Fe­gert.

UnabhängigeAufarbeitung dringend notwendig

Eine Untersuchungskommission der Bundesregierung hatte im Mai auf die Problema­tik im Sport aufmerksam gemacht. Die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen kri­tisierte, dass Anhörungen sowie Berichte von Betroffenen und in Medien darauf hin­wiesen, „dass es hier einer unabhängigen Aufarbeitung bedarf, die in den Strukturen des Freizeit- und Leistungssports bisher noch nicht ausreichend vorgesehen ist“.

Der Deutsche Olympische Sportbund versicherte, dass „die Weiterentwicklung der Prävention von sexualisierter Gewalt im Kinder- und Jugendsport bei uns einen hohen Stellenwert hat“. Alfons Hölzl, der Präsident des Deutschen Turnerbundes, wies in einem Beitrag für das Turn-Magazin darauf hin, dass das Bundesinnenministerium Präventionskonzepte und Eigenerklärungen als Fördervoraussetzungen von allen Sportverbänden verlange.

In der ARD-Sendung wurden unter anderem Fälle aus einem Turnverein in Weimar und aus dem Reitsport genannt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) wehrte sich gegen den Vorwurf, einen Fall sexuellen Missbrauchs nicht konsequent aufgear­bei­tet zu haben. Die Sportschau zitierte anonym den Vater eines Opfers mit der Aus­sage, dass die FN nicht auf seine Familie zugekommen sei: „Ich habe mich sofort gefragt, auf welcher Seite der Verband steht. Auf der Seite des Opfers oder auf der Seite des Täters?“

In einer Pressemitteilung schrieb die FN dazu: „Wir bedauern es, dass mehrere Kon­taktaufnahmen von Seiten der FN und des zuständigen Landesverbandes mit der Opferfamilie im Januar 2013 sowie im August 2014 als nicht ausreichend wahrge­nommen wurden.“ Der TV-Beitrag kritisiert zudem, dass der beschuldigte Reiter wie­der für Deutschland antreten durfte. „Heute würden wir mit einem wie im Beitrag geschilderten Fall anders umgehen“, teilte die FN mit.

Mehr als 1.000 US-Trainer unter Verdacht

International wurde das Problem durch Fälle aus den USA deutlich. Der ehemalige Turn-Verbandsarzt Larry Nassar war seit Sommer 2017 in drei Urteilen für den Miss­brauch teils minderjähriger Opfer zu bis zu 175 Jahren Haft verurteilt worden. Im US-Leistungssport sind einer Aufstellung der Trainer-Webseite greatcoach.com zufolge inzwischen fast 1.000 Coaches aus olympischen Sportarten wegen Vorwürfen sexu­eller Übergriffe, Dopingvergehen oder anderer Straftaten verbannt worden.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung