Vermischtes

Informationsdefizit beim Thema Suizidassistenz

  • Dienstag, 14. Januar 2025
/Casual-T, stock.adobe.com
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Berlin – Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fühlt sich zum Thema Suizidassistenz nicht aus­reichend informiert. Dies ist ein Ergebnis der heute veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage von Ende 2024, die von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in Auftrag gegebenen wurde.

Ihr zufolge glauben 83 Prozent der Befragten irrtümlich, dass Beihilfe zum Suizid illegal und strafbar sei. Auch bei Ärztinnen und Ärzten bestehe Informationsbedarf, bestätigte Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Halle, dem Deutschen Ärzteblatt ().

Zum Hintergrund: 2021 hatte der Deutsche Ärztetag beschlossen, das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aus der Musterberufsordnung zu streichen. Den Landesärztekammern hatte er eine solche Änderung in ihrem Berufsrecht empfohlen, dabei gleichzeitig aber betont, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe sei.

Viele Kolleginnen und Kollegen seien sich oftmals unsicher, wie mit den Sterbewünschen ihrer Patientinnen und Patienten umzugehen sei, so Schildmann. „Bislang fehlt es an wissenschaftlich gestützten Verfahren, wie Mitar­beiter im Gesundheitswesen mit Anfragen nach Suizidassistenz umgehen können“, erläuterte er.

Nötig sind diese jedoch insbesondere seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Dieses hatte da­mals klargestellt, dass Menschen in Deutschland rechtlich die Möglichkeit haben, Hilfe beim Suizid in Anspruch zu nehmen. Da alle daraufhin im Jahr 2023 vorgelegten Gesetzesentwürfe zur Regelung der Suizidassistenz im Parlament keine Mehrheit fanden, gilt dies auch heute.

Die gleichzeitig mit überwältigender Mehrheit im Bundestag beschlossene Forderung nach einem Suizidprä­ven­tionsgesetz ist noch nicht umgesetzt. Bislang liegt lediglich ein Entwurf vor sowie eine im vergangenen Jahr ver­öffentlichte Nationale Suizidpräventionsstrategie.

Angesichts dieser gesetzlichen Ausgangssituation und der Notwendigkeit für Alten- und Pflegeheime, Kranken­häuser, Hospize und weiteren Einrichtungen sich intensiv mit Sterbewünschen auseinanderzusetzen, entwickelt seit Oktober 2024 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes inter­disziplinäres „For­schungsnetzwerk zur Suizidassistenz“ Eckpunkte.

Insbesondere Ärzte sollen künftig auf Instrumente zur Beurteilung der Selbst­bestimmungs­fähigkeit von Patienten bei Anfragen nach assistiertem Suizid zurückgreifen können sowie auf Qualitätskriterien für die Dokumentation und Bewertung von Aufklärungs- und Beratungsgesprächen.

„Wir sind derzeit dabei, Daten von mehr als 600 Ärztinnen und Ärzten auszuwerten, die über ihre Handlungs­praxis bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten am Lebensende berichten“, erläuterte Schildmann, der das Forschungsnetzwerk koordiniert.

Die Ergebnisse dieser in Kooperation mit den Landesärztekammern im Saarland, in Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen durchgeführten Studie sollen im Frühjahr der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ergänzend würden seit November 2024 in einem Register Fallberichte zu Anfragen nach Suizidassistenz dokumentiert, berichtete Schildmann dem weiter.

„Mehr als 100 Einträge und etwa 50 detailliertere Fallberichte sind Beleg für ein großes Interesse.“ Die Daten würden kontinuierlich erhoben und Ergebnisse aus dem „Bericht- und Lernsystem zu Anfragen und Praxis bezüg­lich Assistenz bei der Selbsttötung“ würden regelmäßig ausgewertet sowie der Öffentlichkeit vorgestellt.

Betroffene Ärztinnen und Ärzte könnten jederzeit ihre Erfahrungen auf der Website des DFG-Forschungsnetz­werkes Suizidassistenz dokumentieren. „Die erhobenen empirischen Daten sollen den Diskurs über eine verant­wortbare Praxis des Umgangs mit Anfragen nach Suizidassistenz empirisch fundieren“, so Schildmann.

Zudem sei die Gestaltung einer verantwortbaren Praxis auch Gegenstand der S2k-Leitlinie „Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell­schaften (AWMF). Derzeit arbeiteten mehr als 30 Fachgesellschaften und weitere Organisationen an Eckpunkten.

Dass Bedarf besteht, belegen auch die Daten der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Durch sie seien im vergangenen Jahr 623 Personen beim Suizid unterstützt worden, berichtete heute der im Amt bestätigte DGHS-Präsident Robert Roßbruch. Im Vergleich zu den Vorjahren sei die Tendenz steigend. Insgesamt seien 2024 bundesweit etwa 1.200 Menschen mit Hilfe von Suizidbegleitern gestorben, schätzte der Rechtsanwalt.

Neben der DGHS seien der Verein Sterbehilfe Deutschland, die Sterbehilfeorganisation Dignitas sowie einzelne Ärztinnen und Ärzte Ansprechpartner für die Suizidassistenz, so Roßbruch. Für die kommenden Jahre erwarte er zwischen 1.000 und 1.500 Suizidbegleitungen jährlich in Deutschland.

Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.

ER

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