Vermischtes

Junge Menschen im Netz: Tausende Fälle von sexualisierter Gewalt

  • Donnerstag, 29. August 2024
Stefan Glaser (l-r), Leiter von jugendschutz.net, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Katharina Binz, Familienministerin von Rheinland Pfalz, und Marc Jan Eumann (SPD) stellen den Jahresbericht von jugendschutz.net vor/picture alliance, dpa, Kay Nietfeld
Stefan Glaser (l-r), Leiter von jugendschutz.net, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Katharina Binz, Familienministerin von Rheinland Pfalz, und Marc Jan Eumann (SPD) stellen den Jahresbericht von jugendschutz.net vor/picture alliance, dpa, Kay Nietfeld

Berlin – Gefälschte Nacktbilder und Altersprüfungen, die nicht funktionieren: Im Internet lauern für junge Menschen täglich große Gefahren. Einem aktuellen Bericht der Plattform Jugendschutz.net zufolge steigern moderne Technologien dieses Gefahren­potenzial, insbesondere auch beim Thema sexualisierte Gewalt.

Fast 5.000 Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Internet erfasste Jugend­schutz.net in ihrem gestern vorgestellten Bericht für das Jahr 2023. Das seien zwei Drittel aller im Netz gegen den Ju­gend­schutz registrierten Verstöße und 161 Fälle mehr als im Vorjahr 2022.

Insgesamt registrierte das gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern 7.645 Verstöße gegen den Kinder- und Jugendschutz im Internet – und damit 282 Fälle mehr als 2022. Bei zwölf Prozent der erfassten Verstöße handele es sich um Pornografie und Sexdarstellungen, bei elf Prozent um politischen Extremismus, hieß es.

Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, erklärte der Leiter von Jugendschutz.net, Stefan Glaser. Bei den 4.983 Fällen von sexualisierter Gewalt seien teilweise auch mehrere hundert Darstellungen in einem Fall zu­sammengefasst, erläuterte er dazu.

Seit Terroranschlag auf Israel viel Judenhass im Netz

Insgesamt berichten Glaser und sein 55-köpfiges Team über immer größere digitale Gefahrenquellen für jun­ge Menschen. Das liege auch an Anwendungen von Künstlicher Intelligenz, die es immer schwerer machten, Realität von Fälschung zu unterscheiden.

Dadurch steige auch das Risiko für die Verbreitung sexualisierter Gewalt, von Mobbing und Extremismus. Seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel im Oktober des vergangenen Jahres registriert Jugendschutz.net auch zunehmende Hasspropaganda gegen Juden – vor allem auf Diensten wie Tiktok oder Instagram.

Hier würden sich junge Menschen auch zunehmend über das aktuelle Weltgeschehen informieren, betonte Glaser. Dann sei es umso problematischer, wenn sie dort mit extremen und antisemitischen Inhalten in Kon­takt kämen. Auch antimuslimische Propaganda werde häufig ungefiltert verbreitet.

Glaser beklagt, dass Onlinedienste bislang „zu wenig tun“, um Kinder und Jugendliche zu schützen. „Sie rea­gieren unzureichend, wenn ihnen Verstöße gemeldet werden. Und sie überprüfen die Altersangaben von Nutzenden nicht angemessen.“

Dabei gebe es seit Februar dieses Jahres einen rechtlichen Rahmen, der die großen Plattformen wie Youtube, Facebook und Co. zu einem wirksamen Schutz von Kindern etwa durch Meldesysteme verpflichte, erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die bei der Vorstellung des Berichts ebenfalls auf dem Podium saß.

Es sei Aufgabe der EU-Kommission, dieses Recht durchzusetzen – dies geschehe nun Schritt für Schritt. Die Anbieter seien etwa verpflichtet, gemeldete Inhalte von sexualisierter Gewalt zu löschen. Tun sie dies nicht, droht laut Paus eine Strafe von bis zu sechs Prozent der weltweiten Unternehmensumsätze.

Missbrauchsbeauftragte forderte härtere Gangart

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, reicht das alles nicht. Ihr vernichtendes Urteil: „Aktuell gibt es praktisch keinen Kinder- und Jugendschutz im Netz.“

Sie fordert deshalb ein strengeres Vorgehen gegen all jene, die sich nicht an die Regeln halten – und meint damit vor allem Anbieter von Videoplattformen, sozialen Netzwerken und Onlinespielen mit Chatfunktion. Die bisherigen Pflichten würden nicht ausreichend umgesetzt.

„Die Konfrontation mit sexueller Gewalt im Netz ist für Kinder und Jugendliche viel zu oft schon alltägliche Realität“, erklärte Claus. Das müsse sich ändern. „Online­anbieter müssen in die Pflicht genommen werden, gesetzlich vorgeschriebene Vorkehrungen verbindlich umzusetzen.“

Altersprüfung häufig mangelhaft

Als große Schwachstelle nennt Jugendschutz.net die Altersprüfung bei Onlinediensten. „Die Anbieter kon­trollieren das Alter nicht oder nur unzureichend“, heißt es in dem Bericht. Es werde lediglich nach dem Ge­burtsdatum gefragt, Angaben würden nicht überprüft.

Minderjährige könnten sich problemlos als volljährig ausgeben und umgekehrt, heißt es. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz, wies darauf hin, dass es nicht an geeigneten Pro­grammen zur Altersverifikation mangele.

Es gebe jetzt schon Programme, die das Alter der Nutzer über eine Echtzeitaufnahme per Webcam feststellten und für die Alterskohorte zwischen 16 und 21 Jahren „extrem präzise“ seien.

„Es gibt keinen Grund für Anbieter, solche Systeme nicht einzusetzen“, sagte Eumann. Familienministerin Paus kündigte in diesem Zusammenhang an, dass ihr Haus derzeit an einem eigenen Konzept zur Altersüberprü­fung arbeite und das bis Weihnachten vorstellen wolle.

Zugleich betonte die Ministerin, dass der Kampf gegen sexualisierte Darstellungen von jungen Menschen im Netz eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ sei. Eumanns Appell dazu an alle Eltern: „Stellen Sie kein Bild Ihres Kindes unverpixelt und mit Namen ins Netz!“

Dienste nehmen gemeldete Verstöße nicht ernst

Der Jugendschutzbericht kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass Dienste, die von Jugendlichen genutzt werden, gemeldete Verstöße häufig nicht ernst nehmen. Die durchschnittliche Löschquote von ungeeigneten Inhalten wie etwa Gewalt, Pornografie und politischer Extremismus liege nur bei unter einem Drittel, heißt es.

Plattformen wie Tiktok, Youtube oder Instagram kämen ihrer Aufgabe, gemeldete Inhalte zu löschen, nicht vollumfänglich und oft erst nach dem Einschreiten offizieller Stellen nach. Für 2023 stellt die Plattform ins­besondere dem Dienst Youtube ein schlechtes Zeugnis aus: Der Dienst habe in dem Jahr lediglich vier Prozent der gemeldeten pornografischen Inhalte gelöscht.

Im Jahr 2022 seien es noch 62 Prozent gewesen. Weshalb die Löschungen so dramatisch abnahmen, weiß Glasers Plattform bislang nicht.

dpa

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