Vermischtes

Ruf nach gesellschaftlicher Diskussion über anstehende Versorgungskrise

  • Donnerstag, 12. September 2024
/j-mel, stock.adobe.com
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Berlin – Fachleute haben mehr Ehrlichkeit von der Politik im Hinblick auf die Probleme gefordert, die das deutsche Gesundheitswesen in den kommenden fünf bis zehn Jahren infolge des demografischen Wandels bekommen wird.

„Mir fehlt die politische Ehrlichkeit, die Versorgungskrise zu benennen, in die wir gerade hineinschlittern“, sagte Moritz Völker, Vorsitzender der Jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, gestern auf der Mit­glie­derver­sammlung des Verbands Pharma Deutschland in Berlin. „Zurzeit stehen wir am Beginn eines wirklich großen Problems, das durch das Aufeinandertreffen des demogra­fischen Wandels auf unser umlagefinan­ziertes Gesundheitssystem entsteht.“

Die Folgen dieser Situation würden nicht nur eine schlechtere Versorgung sein, sondern auch unkontrollierte Versorgungslücken. „Wir müssen lernen, damit umzugehen“, sagte Völker. „Wir müssen in einer breiten gesell­schaftlichen Debatte darüber sprechen. Zuerst müssen wir dafür aber das Problem benennen.“ Geschehe dies nicht, könne es passieren, dass Bürgerinnen und Bürger das Solidarsystem nicht mehr mittragen wollten.

Krankenkassen geraten „ins Trudeln“

Diese Sorge äußerte auch Ute Wiedemann, Mitglied des Vorstands der DAK-Gesundheit. Sie wies darauf hin, dass infolge der aktuell steigenden Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung erste Krankenkassen „ins Trudeln geraten“.

„Die Kosten im Gesundheitswesen sind so stark gestiegen, dass manche Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge in kurzen Abständen immer weiter erhöhen müssen“, sagte Wiedemann. „Wir rechnen damit, dass es 2025 zu den ersten Zwangsfusionen kommen wird.“

Martin Ammer, Mitglied des Vorstands von Pharma Deutschland, gab zu bedenken, dass das Geld der Versi­cher­tengemeinschaft heute hauptsächlich zur Behandlung der Versicherten in deren letzten Lebensmonaten ausgegeben werde.

„Viel Geld geben wir für die Behandlung auf Intensivstationen aus – bei einer bisweilen fragwürdigen Prog­nose der Patientinnen und Patienten“, sagte Ammer. In den skandinavischen Ländern gebe es viel klarere Richt­linien, wie weit man in der Intensivmedizin bei alten Menschen gehen könne.

Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, ABDA, Gabriele Overwiening, kritisierte die Misstrauenskultur, die seit 2021 verstärkt im politischen Berlin herrsche. „Das führt zu einer unfassbaren Regulierungswut“, sagte Overwiening.

„Mittlerweile ist das Gesetzeswerk im Gesundheitswesen so groß, dass sich niemand mehr traut, wirklich etwas zu ändern. Denn wenn man auf der einen Seite eine Änderung vornimmt, hat das auf der anderen Seite negative Effekte.“

Diese Überregulierung führe dazu, dass die Bürokratie für alle Akteure im System in einem Maße zugenomm­en habe, dass sie in manchen Bereichen zu einem Selbstzweck verkommen sei. „Das ist der Moment, an dem man sagen muss: Lasst uns doch ins Vertrauen kommen, um den Akteuren wieder Zeit für ihre eigentliche Auf­gabe zu geben“, so Overwiening.

Overwiening rief die Politik dazu auf, das Gesundheitswesen nicht nur als Kostenfaktor wahrzunehmen, son­dern zu erkennen, welche medizinischen Fortschritte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erreicht wurden.

„Früher mussten Magengeschwüre operiert werden. Heute kann man den Patientinnen und Patienten mit Protonenpumpeninhibitoren helfen“, sagte sie. Man müsse also die Kosten für die Medikamente mit den Einsparungen in Relation stellen, die durch die vermiedenen Operationen erzielt werden.

fos

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