Sachverständigenrat: Bund soll Vorgaben für Hitzeschutz machen

Berlin – Deutschland benötigt eine Bundesrahmengesetzgebung für Hitzeschutzmaßnahmen. Dafür hat sich der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR), Ferdinand Gerlach, ausgesprochen.
„Wir müssen Maßnahmen zum Hitzeschutz ergreifen, bevor die nächste Hitzewelle kommt“, sagte Gerlach gestern bei einer Veranstaltung des Centres for Planetary Health Policy (CPHP). „Dabei müssen wir uns in verschiedenen Bereichen auf die Hitze vorbereiten: in der Energieversorgung ebenso wie in der Stadtplanung oder beim Bau von Krankenhäusern.“
Gerlach betonte, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf den menschlichen Körper eindeutig darzustellen seien – zum Beispiel bei dem Zusammenhang zwischen der Zahl von Hitzetagen im Jahr und der Anzahl an Krankschreibungen: An heißen Tagen gebe es drei- bis viermal so viele Krankschreibungen wie an normalen Tagen.
Der SVR hat vor kurzem sein aktuelles Gutachten zum Thema „Resilienz im Gesundheitswesen“ veröffentlicht, in dem er Maßnahmen anmahnt, um das Gesundheitswesen auf die Auswirkungen der zahlreichen Krisen vorzubereiten, denen sich die Welt derzeit gegenübersieht.
Ernstzunehmende Bedrohung
Die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Kirsten Kappert-Gonther, dankte dem Sachverständigenrat, dass er den Klimawandel so prominent in seinem Gutachten thematisiert habe.
Als zentrale Aussage des Gutachtens fasste sie den Satz zusammen: „Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr unserer Zeit.“ Sowohl in der Bevölkerung als auch in weiten Teilen der Politik sei dieser Zusammenhang noch überhaupt nicht klar.
„Dass der Sachverständigenrat dieses Thema jetzt so stark in den Fokus rückt, halte ich für richtungweisend“, sagte Kappert-Gonther. Das zeige: Der Klimaschutz sei kein bizarres Hobby der Grünen, sondern eine ernstzunehmende Bedrohung, an der heute schon Menschen stürben.
Kappert-Gonther sprach sich dafür aus, dass der Bund im Bereich der Klimaanpassung Vorgaben macht, die dann in den Regionen umgesetzt werden – wobei vor Ort entschieden werden solle, wie sie im Einzelnen umgesetzt werden. Diese Anpassungen könnten zum Beispiel den Hitzeschutz in Krankenhäusern betreffen.
In diesem Zusammenhang berichtete sie von einem Projekt der Charité, bei dem bei Mitarbeitenden der Intensivpflege mit kleinen Thermometern während heißer Tage die Temperatur an der Stirn gemessen worden sei. „Manche Mitarbeitenden hatten eine erheblich erhöhte Körperinnentemperatur“, sagte Kappert-Gonther.
„Manche hatten sogar Fieber. Für den Arbeitsschutz ist das ein katastrophales Ergebnis.“ Bei dem Neubau der Radiologie begrüne die Charité jetzt das Gebäude von außen mit bestimmten Moosen, um die Temperatur im Gebäude zu reduzieren.
Gesundheitskompetenz stärken
Gerlach zitierte weitere Forderungen des Sachverständigenrats aus dem aktuellen Gutachten. So müsse sowohl die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung als auch der Gesundheitsberufe weiter verbessert werden.
„Wir müssen das Thema Klimawandel in die Curricula der Heilberufe integrieren: von Ärztinnen und Ärzten, von Pflegekräften oder auch von Physiotherapeuten“, sagte er. „Zudem brauchen wir eine gezielte Forschungsförderung. Wir müssen uns klar darüber werden, welche Maßnahmen effektiv sind, welche wirtschaftlich und welche unter welchen Bedingungen funktionieren.“
Gerlach kritisierte, dass das deutsche Gesundheitswesen schlecht auf die aktuellen und die noch anstehenden Krisen vorbereitet sei. Probleme entständen insbesondere durch die schlechte Abstimmung zwischen einzelnen Akteuren des Systems: zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich, zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen und vor allem zwischen den verschiedenen politischen Ebenen im Bund, in den Ländern und in den Kommunen.
„Die nächste Krise kommt bestimmt“, betonte Gerlach. „Um uns vorzubereiten, müssen wir das Thema Gesundheit in allen Politikbereichen mitdenken. Denn eine Hitzewelle hat sowohl mit dem Verkehr zu tun als auch mit der Energie und der Gesundheit.“
Nicht notwendige Betten reduzieren
Neben der Anpassung an den Klimawandel müsse der Gesundheitssektor aber auch seine Treibhausgasemissionen senken. Der größte Hebel sei es dabei, medizinisch nicht notwendige stationäre Strukturen abzubauen.
„Krankenhausbetten haben einen sehr hohen CO2-Verbrauch“, sagte Gerlach. „Deshalb muss die erste Priorität sein, eine medizinisch nicht indizierte Belegung der Betten zu vermeiden.“
In Deutschland seien die Menschen viel zu oft im Krankenhaus. „Es ist gut, die Häuser zu kühlen, die wir für die Versorgung brauchen. Aber zuvor müssen wir die Ambulantisierung in Deutschland ausbauen, um im Anschluss nicht notwendige Krankenhausstrukturen zu reduzieren“, betonte Gerlach. „Jede vermiedene Leistung kostet keine Energie.“
Kappert-Gonther stimmte ihm zu: „Wir müssen jeden stationären Aufenthalt, der nicht medizinisch geboten ist, vermeiden: Zum einen ist es besser für die Patientinnen und Patienten, zum anderen schont es die Personalressourcen. Und drittens ist es klimafreundlich. Wir haben jetzt mit der anstehenden Krankenhausreform die Chance, die stationären Strukturen zu bündeln, dabei die Zahl der nicht notwendigen Betten zu reduzieren und gleichzeitig neue ambulante Strukturen aufzubauen – sodass niemand Angst haben muss, im Fall einer Erkrankung nicht gut versorgt zu sein.“
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