Medizin

Schizophrenie-­Medikamente könnten auch beim Pankreaskarzinomen helfen

  • Donnerstag, 8. September 2016
Uploaded: 23.08.2013 08:55:51 by mis

Heidelberg – Ein neuer molekularer Angriffspunkt könnte helfen, Bauchspeichel­drü­sen­krebs zu bekämpfen. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungs­zentrum (DKFZ) fanden heraus, dass ein Rezeptor für den Neurotransmitter Dopamin Wachstum und Ausbreitung des Tumors fördert. Medikamente gegen Schizophrenie, die die Funktion dieses Rezeptors blockieren, verlangsamten in Mäusen das Tumor­wachs­tum und bremsten die Metastasierung. Die Ergebnisse wurden in Gastroenterology publiziert (doi: 10.1053/j.gastro.2016.08.040).

Jörg D. Hoheisel vom DKFZ in Heidelberg und seine Kollegen aus Tübingen, Liverpool, Verona, Toronto und Montreal analysierten an 195 Fällen von Pankreaskrebs die Genaktivität. „Dabei haben wir uns unter den annähernd 3.000 Genen, deren Aktivität in den Krebszellen gesteigert oder gedrosselt war, besonders auf solche Erbanlagen konzentriert, die bei mehreren krebsrelevanten Signalwegen zugleich eine Rolle spielen“, erklärt Yasser Riazalhosseini von der McGill Universität in Toronto, der gemeinsam mit Hoheisel die Studie geleitet hat.

Mit dieser Taktik kamen sie auf die Spur des Dopamin-Rezeptors D2 (DRD2). Das DRD2-Gen war in Krebszellen deutlich aktiver als im gesunden Pankreas, vom DRD2-Rezeptorprotein enthielten die Krebszellen sogar das Vierfache der normalen Menge.

Dopamin-Rezeptor-Blockade hemmt Krebswachstum
Das Rezeptorprotein ist Medizinern hauptsächlich im Zusammenhang mit Schizophrenie und Psychosen bekannt. Auf Mäuse übertragene Pankreaskrebs-Zelllinien mit deaktiviertem DRD2-Gen verlangsamten ihr Wachstum und bildeten kleinere Tumoren aus.

Als Schlüsselmolekül bei vielen psychotischen Erkrankungen ist DRD2 die Zielstruktur zahlreicher Psychopharmaka. Dopamin-Antagonisten stehen seit den 1950er-Jahren zur Verfügung. Dazu zählt etwa das Medikament Pimozide: Auch mit dieser Substanz konnten die Forscher um Hoheisel das Wachstum von Pankreaskrebs-Zelllinien verlang­samen und ihre Beweglichkeit wesentlich einschränken.

In einem nächsten Schritt übertrugen die Forscher menschliche Pankreaskrebszellen auf Mäuse und ließen sie zu Tumoren heranwachsen. Nach Behandlung der Tiere mit einem anderen Dopamin-Antagonisten – Haloperidol, einem häufig gegen Schizophrenie verschriebenen Medikament – entwickelten sich ebenfalls kleinere Tumoren und vor allem weniger Metastasen als in den unbehandelten Tieren.

„Wir wissen derzeit noch nicht, ob Haloperidol oder die verwandten Medikamente bei Bauchspeicheldrüsenkrebs-Patienten die gleiche Wirkung haben wie bei Tumorzellen in Kultur oder in Mäusen“, sagt der Forscher vom DKFZ. Interessant sei in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass Schizophrenie-Patienten, die oft langfristig mit Dopamin-Antagonisten behandelt werden, insgesamt eine niedrigere Rate an soliden Tumoren haben als die Allgemeinbevölkerung. Möglicherweise ist der krebshemmende Effekt also nicht auf die Bauchspeicheldrüse beschränkt.

Die DKFZ-Forscher wollen nun prüfen, ob die Medikamente aus der Gruppe der Dopa­min-­An­ta­gonisten bei Patienten mit Bauchspeichdrüsenkrebs den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Während bei den meisten anderen Krebsarten Fortschritte in der Vorbeugung, Früherkennung und Therapie die Sterblichkeitsraten senken konnten, steigen sie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs kontinuierlich an.

Überaktivierte DRD2-Gene vermutlich schon in früher Krebsstufe
Die DKFZ-Forscher wollten darüber hinaus auch auf molekularer Ebene verstehen, wie der Dopamin-Rezeptor das Krebswachstum antreibt. Normalerweise verhindert DRD2 über ein wichtiges intrazelluläres Signalmolekül („cAMP“), dass Zellen in biochemischen Stress geraten. Nach DRD2-Blockade sind insbesondere die sich schnell teilenden Krebszellen diesem Stresszustand ausgesetzt, was den Zellteilungszyklus unterbricht und zur Apoptose führt.

Bereits bei chronischer Pankreasentzündung, die als Vorläufer von Bauchspeichel­drüsenkrebs gilt, fanden die Forscher überaktivierte DRD2-Gene. Andere Autoren haben auch in Krebsstammzellen erhöhte Aktivität des DRD2-Gens beschrieben. Daher gehen Hoheisel und Kollegen davon aus, dass es bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Krebsentstehung zu dieser Veränderung kommt.

gie/idw

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