Schutzkonzepte zur Prävention sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen sind selten

Berlin – Schutz und Hilfe von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Einrichtungen und Organisationen hängen viel zu oft vom Zufall oder dem Engagement einzelner ab und werden zu wenig als Qualitätsmerkmal einer Einrichtung gesehen. Das ist das Ergebnis des Monitorings (2015 bis 2018) zu Schutzkonzepten gegen sexuelle Gewalt in Kitas, Schulen, Heimen, Internaten, Einrichtungen des religiösen Lebens und Sportvereinen – aber auch in Kliniken und Praxen, das heute in Berlin vorgestellt wurde.
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, hat zusammen mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) den Abschlussbericht des Monitorings vorgelegt.
In fast 5.000 Einrichtungen wurden Leitungen und Fachkräfte befragt, welche Schutz- und Hilfsangebote sie einsetzen und auf welche Schwierigkeiten sie bei der Umsetzung stoßen. Im Ergebnis haben 33 Prozent der befragten Heime (442) umfassende Schutzkonzepte installiert; 28 Prozent der Internate (102), 22 Prozent der Kitas (1.102), 20 Prozent der Kliniken mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche (165) und 13 Prozent der befragten Schulen (1.546). Bei den 1.157 befragten ambulanten Arzt- und Psychotherapeutenpraxen waren einzelne Präventionsmaßnahmen vorhanden.
„Die große Mehrheit der Einrichtungen, die wir befragen konnten, hat zwar einzelne Elemente von Schutzkonzepten umgesetzt. Umfassende Schutzkonzepte sind bisher eher selten und noch in keinem Bereich flächendeckend vorhanden“, erläuterte Sabine Walper, Forschungsdirektorin des DJI. Es gebe Fortschritte im Vergleich zum letzten Monitoring 2013, aber es sei „noch einiges zu tun“.
Forderung nach gesetzlicher Verbindlichkeit
„Wenn wir wollen, dass Kinder und Jugendliche maximalen Schutz vor sexueller Gewalt erhalten, brauchen wir hierfür eine gesetzliche Verbindlichkeit und eine viel stärkere Unterstützung der Einrichtungen vor Ort“, forderte der UBSKM Rörig. Freiwilligkeit alleine reiche nicht. „Die Politik darf es nicht bei Aktionismus nach spektakulären Missbrauchsfällen wie in Staufen oder Lügde belassen“, erklärte er.
Die Bundesländer sollten ihre Förderbedingungen für Einrichtungen unter die Lupe nehmen und von dem Vorhandensein von Schutzkonzepten abhängig machen. Die Schulen, die nach dem Monitoring besonders wenig zum Schutz vor sexueller Gewalt tun, müssten verpflichtet werden, Schutzkonzepte zu installieren, erklärte der Missbrauchsbeauftragte. „Kinderschutz muss eine Daueraufgabe der Länder werden – dazu braucht es auch Landesmissbrauchsbeauftragte.“
Umfassende Schutzkonzepte haben nur 33 Kliniken
Unter den befragten bundesweit 165 Kliniken (Rücklaufquote 30 Prozent) mit Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche waren 70,9 Prozent somatische Kliniken, 32,7 Prozent psychiatrische Kliniken und 14,5 Prozent Reha-Kliniken. Nur 33 dieser Kliniken hatten bislang umfassende Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt etabliert.
Als förderliche Faktoren für die Etablierung von Schutzmaßnahmen fanden die Wissenschaftler vom DJI eine Teamkultur, die es ermöglicht, als problematisch wahrgenommene Situationen anzusprechen. Förderlich sei auch eine „sichtbare Verantwortungsübernahme“ durch die Klinikleitung.
Als hemmend für den Kinderschutz fanden die DJI-Wissenschaftler, wenn die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Klinikalltag nicht vorgesehen ist. Ungünstig sei auch, dass es bisher zu wenig Anreize und Mechanismen gibt, um Kliniken zur Entwicklung eines Schutzkonzeptes zu motivieren. Für Kliniken, in denen bereits Ansätze eines Schutzkonzeptes etabliert sind, sei die Evaluation und die zuverlässige Umsetzung im Alltag personell und finanziell schwer zu leisten, so die Wissenschaftler.
Erstmalig nahmen der UBSKM und das DJI auch Praxen der ambulanten Gesundheitsversorgung in das Monitoring auf. Mithilfe der Ärzte- und Psychotherapeutenkammern, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Berufsverbände konnten 1.157 Praxen zum Thema Kinderschutz befragt werden. Das Vorhandensein von Schutzkonzepten wurde nicht abgefragt. Darunter waren 48,3 Prozent Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, 35,8 Prozent Kinder- und Jugendärzte und -psychiater, 15,9 Prozent Gynäkologen, Allgemeinmediziner und Internisten.
Bei der Befragung zeigte sich, dass das Bewusstsein, Praxen als „zentrale Kompetenzorte“ nach erlebter sexueller Gewalt zu sehen, unterschiedlich stark ausgebildet ist. Am stärksten sei dieses Bewusstsein bei den Psychotherapeuten vorhanden. Häufig seien Ärzte und Psychotherapeuten handlungsunsicher an den Schnittstellen Kinderschutzrecht, Patientenrecht und Arzthaftungsrecht.
Hemmend wirke auch die geringe Zusammenarbeit mit der öffentlichen Jugendhilfe vor allem in ländlichen Gebieten. Die Befragten bemängelten zudem, dass das Engagement für Kinderschutzfälle nicht vergütet werde und dass es in der Ausbildung nicht ausreichend verankert sei.
Als förderlich für die Prävention sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen sehen niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten, dem DJI zufolge, einen kooperativen Zugang zur Kindergynäkologie und zur Rechtsmedizin.
Förderlich würden auch die Berufsordnungen der Kammern erlebt, die ein Abstinenzgebot in therapeutischen Beziehungen umfassen. Selbsterfahrung, Supervision und Intervision sowie die Einführung von Qualitätsmanagement sorgten außerdem dafür, Übergriffe in Praxen zu erschweren, sagten die Befragten.
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