Ausland

Sea-Watch kritisiert EU-Pläne für Seenotretter vor Libyen

  • Donnerstag, 6. Juli 2017
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Seenotrettung vor Libyen: Sea-Watch-Mitarbeiter verteilen Rettungswesten an Flüchtlinge auf einem Schlauchboot. /picture alliance, JOKER

Tallinn – Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch hat die EU-Pläne für einen Verhaltenskodex für die Rettung von Bootsflüchtlingen vor der Küste Libyens scharf kritisiert. „Wenn wir gezwungen werden, gerettete Flüchtlinge selbst in Häfen in Italien zu bringen, werden die Einsatzkräfte zur Seenotrettung reduziert“, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer heute. „Das bedeutet mehr tote Flüchtlinge.“ Neugebauer warf der EU eine „Abschottungsstrategie“ vor, „die bewusst Tote in Kauf nimmt“.

Die italienische Regierung will beim heutigen Treffen der EU-Innenminister in Estlands Hauptstadt Tallinn einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen vorschlagen, die mit eigenen Booten Flüchtlinge vor Libyen retten. Hintergrund sind die zuletzt stark gestiegenen Ankunftszahlen von Bootsflüchtlingen in Italien, durch die sich das Land an seiner Kapazitätsgrenze sieht.

Elf Vorschriften für Hilfsorganisationen

Konkret sieht Italien ein Elf-Punkte-Programm vor, wie Italiens Ressortchef Marco Minniti in der Welt sagte. Demnach dürfen die Organisationen nur in Ausnahme­situationen in libysche Gewässer fahren. Die Arbeit der libyschen Küstenwache dürfe in deren Hoheitsgebiet nicht behindert werden. Kontakte zwischen Rettern und Schleusern sollen verboten sein: Weder Telefonate noch Lichtsignale, die das Einschiffen der Flüchtlingsboote an libyschen Küsten zusätzlich motivierten, dürfe es geben.

Dem Bericht zufolge sollen gerettete Flüchtlinge nur in Notfällen an Schiffe der italienischen Küstenwache oder internationaler Missionen übergeben werden. Die Retter müssten die nächsten Häfen selbst anlaufen. Das dürfte gerade für Organisa­tionen schwierig werden, die mit kleinen Schiffen im Mittelmeer operieren und die Geretteten normalerweise an andere Schiffe übergeben, die sie dann ans Festland bringen.

Kriminalpolizei an Bord

Minniti sagte, die Organisationen müssten auch Fahnder der Kriminalpolizei an Bord der Rettungsschiffe lassen, wenn offizielle Ermittlungen gegen Schleuser dies notwendig machten. Laut Welt sollen sich die privaten Seenotretter außerdem verpflichten, die Ortung von Flüchtlingsbooten der italienischen Küstenwache stets noch vor Beginn eines Rettungseinsatzes zu übermitteln. Überdies sollen die Organisationen aufge­fordert werden, ihre Finanzierung offenzulegen.

Neugebauer forderte angesichts des Italien-Plans von der EU, selbst mehr Boote zur Seenotrettung einzusetzen anstatt dies privaten Hilfsorganisationen zu überlassen und diese nun auch noch in ihrer Arbeit zu behindern. „Das ist wie zu sagen, es sterben zu viele Motorradfahrer auf den Straßen, deshalb schicken wir jetzt keine Krankenwagen mehr los“, sagte er.

„Armseliges“ Verhalten der EU

Der Sea-Watch-Vertreter wies zudem Vorwürfe aus den EU-Staaten zurück, die privaten Seenotretter würden gemeinsame Sache mit Schleuserbanden machen. „Das sind unhaltbare Vorwürfe, die immer wieder erhoben werden. Bis heute haben wir von den Behörden dafür noch keinen einzigen Beweis gesehen.“ Angesichts der schwierigen Lage zu versuchen, „denen, die Seenotrettung betreiben, die Schuld in die Schuhe zu schieben“, sei „armselig“.

Sea-Watch sieht seinerseits die von der EU verfolgte Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache äußerst kritisch. „Diese braucht einen Verhaltenskodex, nicht die Hilfs­organisationen“, sagte Neugebauer. Er berichtete von mehreren Vorfällen, bei denen die libysche Küstenwache außerhalb ihrer Küstengewässer Rettungsaktionen behindert haben soll.

Die Bundesregierung hat in der Flüchtlingskrise ihre Solidarität mit Italien bekundet. Bereitschaft zur Übernahme von mehr Flüchtlingen ließ sie aber vor Beginn einer internationalen Konferenz zu Migrationsfragen heute in Rom nicht erkennen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, erklärte, die Lösung müsse in Afrika gefunden werden. „Wir dürfen drängende Fragen von Flucht und Migration nicht erst auf dem Mittelmeer lösen“, sagte er. Es gelte, vorher anzusetzen: „Aufnehmende Gemeinden brauchen unsere Hilfe zur Integration von Flüchtlingen und Migranten.“ Regionen, die bislang vom Menschenschmuggel lebten, benötigten stabile wirtschaft­liche Alternativen.

Italien zufolge entfielen 34 Prozent der Rettungseinsätze im Mittelmeer in den vergange­nen Monaten auf NGO, 28 Prozent auf die italienische Küstenwache, elf Prozent auf Frontex-Schiffe und neun Prozent auf die EU-Mission Sophia. Die übrigen Rettungen würden von Schiffen durchgeführt, die gerade in der Nähe seien und nach internatio­nalem Seerecht verpflichtet sind, Schiffbrüchige in Sicherheit zu bringen.

dpa/afp

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