Sexueller Missbrauch: Kritik an zu langen Wartezeiten der Gelder für Betroffene

Berlin – Betroffene sexueller Gewalt müssen nach Angaben der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) zu lange auf Geld aus dem „Fonds für sexuellen Missbrauch“ (FSM) warten. Nach Informationen von Mitgliedern gebe es erhebliche Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen auf Finanzierung einer ambulanten Psychotherapie, heißt es aus dem Berufsverband.
„Missbrauchsfälle wie aktuell in Münster lassen traumatisierte Menschen zurück, die psychotherapeutische Hilfe benötigen“, sagt Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DPtV. „Es ist unzumutbar, dass sie Monate und Jahre auf Geld aus dem Hilfsfonds für ihre Therapien warten müssen.“
Der Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs bestätigt die Vorwürfe der DPtV. Johannes Wilhelm Rörig berichtet gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt, dass beim Hilfetelefon regelmäßig Beschwerden von Betroffenen, Therapeuten und Beratungsstellen eingehen, die sich über die langen Bearbeitungszeiten, verzögerten Leistungszahlungen und schlechten Kontaktmöglichkeiten beschweren. Zuletzt habe er sich auch persönlich an Bundesbildungsministerin Franziska Giffey gewandt, mit dem Appell Abhilfe zu schaffen.
Am Wochenende war ein Fall des schweren sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder in Münster bekannt geworden. Der 27 Jahre alte Hauptverdächtige war wegen des Besitzes von Kinderpornografie zweifach vorbestraft.
Der Fonds für sexuellen Missbrauch will Betroffenen helfen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erlitten haben und noch heute unter dessen Folgewirkungen leiden. Die Krankenkassen bezahlen Betroffenen eine Psychotherapie nur für eine bestimmte Zeit, so dass zwischen den Therapien Lücken von mehreren Jahren entstehen können. Um diesen Missstand aufzufangen, legte die Bundesregierung 2013 den FSM auf.
Auf der Homepage des Fonds wird darauf hingewiesen, dass es angesichts der COVID-19-Pandemie dazu kommen könne, „dass Vorgänge mitunter unbearbeitet bleiben, weil notwendige Unterlagen nicht digital vorliegen“. Bearbeitet würden derzeit (Stand 4. Juni) Erstanträge mit Eingang ab Oktober 2019. Bei Änderungs- und Ergänzungsanträgen betrage die durchschnittliche Bearbeitungsdauer 14 Monaten, heißt es auf der Homepage.
Psychotherapeuten warten Monate auf Begleichung von Rechnungen
„So lange können die Betroffenen nicht warten. Wegen fehlender Zusagen werden bei ihnen am Ende Psychotherapien beendet oder unterbrochen. Das ist unzumutbar“, kritisiert Hentschel.
Oft führten Psychotherapeuten die hochspezialisierten Therapien trotzdem fort und müssten Monate auf die Begleichung ihrer offenen Rechnungen warten. DPtV-Mitglieder berichteten, dass es auf Beschwerdeschreiben an den Fonds meist keine Antworten gegeben habe. Anrufe bei der Hotline hätten eine Überforderung der Mitarbeiter offenbart.
„Die Betroffenen von Missbrauch haben oft keine Kraft, sich mit Verwaltungen auseinanderzusetzen. Sie haben Anspruch, dass die Gesellschaft ihnen schnell und unbürokratisch hilft“, fordert Psychotherapeut Hentschel.
Bei dem Hauptverdächtigen im Münsteraner Missbrauchsfall, einem IT-Techniker, fanden Ermittler hochprofessionelle technische Ausstattung zur Videoaufzeichnung und stellten Hunderte Terabyte versiert verschlüsselten kinderpornografischen Materials sicher.
Die EU-Kommission kündigte deshalb aktuell an, den europaweiten Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch stärken zu wollen. „Für eine Kooperation bei der Strafverfolgung über Grenzen hinweg braucht die Polizei mehr Training und Technologie. Große Internetfirmen müssen in die Pflicht genommen werden“, fordert Innenkommissarin Ylva Johansson.
Weltweit haben nach Angaben der EU-Kommission die gemeldeten Fälle von einer Million auf 17 Millionen zugenommen. Während der Coronakrise sei die Zahl der Fälle erneut deutlich nach oben gegangen. „Fast 90 Prozent der Internetseiten werden in Europa gehostet – vor allem in den Niederlanden, sagte Johansson.
In Deutschland haben die Fälle der „Herstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie“ im vergangenen Jahr um 65 Prozent zugenommen: 2019 wurden 12.262 Fälle von der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst; 2018 waren es 7.449.
„Hinter jedem in Internet eingestellt Material steht der reale Missbrauch eines Kindes“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch bei der Vorstellung der PKS am 11. Mai in Berlin. Im Internet werde der Missbrauch zudem grenzenlos und dauerhaft fortgesetzt.
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