Spahn setzt Debatte um Organspende fort

Berlin – Der Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in Deutschland eine Widerspruchslösung bei der Organspende einzuführen, hat zu einer anhaltenden Diskussion geführt. Quer durch alle Parteien hinweg gibt es Befürworter und Gegner des Vorschlags. Spahn selbst verteidigte heute im ARD-Morgenmagazin seinen Vorschlag. Dieser sei zwar „ein starker Eingriff in die Freiheit“. Alle bisherigen Versuche, die Zahl der Organspender zu erhöhen, seien aber erfolglos geblieben. „Drei Menschen sterben jeden Tag, weil das Organ, das sie sehnsüchtig erwartet haben, nicht kam“, sagte der Minister.
Bisher muss ein potenzieller Spender noch zu Lebzeiten in die Organspende eingewilligt haben, oder seine Angehörigen stimmen dem im Todesfall zu. Mit einer Widerspruchslösung, wie Spahn sie vorgeschlagen hat, wäre jeder automatisch Spender, wenn nicht er oder seine Angehörigen ausdrücklich widersprechen. 84 Prozent der Deutschen stünden der Organspende positiv gegenüber, sagte Spahn. „Aber viel, viel weniger haben einen Organspendeausweis.“ Die „abstrakte Bereitschaft“ zur Organspende helfe den 10.000 Menschen, die in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan warteten, jedoch nicht weiter.
Das Thema Organspende sei mit vielen Ängsten, Sorgen und Fragen verbunden, räumte Spahn ein. „Aber man bearbeitet Ängste am besten, indem man die Dinge bespricht, und indem wir eine ausführliche, breite Debatte führen.“ Die durch seinen Vorstoß hervorgerufene Debatte sei aus seiner Sicht daher schon „ein Wert an sich“.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte sich hinter Spahn gestellt. BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery sprach aktuell von einer „sehr guten Idee“. Er hatte sich bereits im April dieses Jahres für einen Systemwechsel in der Organspende ausgesprochen. Er persönlich halte die Widerspruchslösung für richtig, sagte er, betonte aber zugleich, eine Debatte um die Widerspruchslösung müsse „mit großer Sensibilität“ geführt werden. Die Frage beträfe ethische, religiöse und rechtliche Fragen. Der BÄK-Präsident nannte es zugleich fraglich, ob eine Widerspruchslösung in Deutschland politisch umsetzbar ist.
Viele Politiker in der Union hatten sich immer wieder gegen die Widerspruchslösung ausgesprochen. Gegenwind erhielt Spahn auch heute. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, reagierte im Gespräch mit Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung verärgert. „So geht es nicht. Wir machen unseren eigenen Gesetzentwurf mit einer Debatte kaputt, die viel zu früh kommt“, sagte sie im Hinblick auf den am vergangenen Freitag von Spahn vorgelegten Gesetzentwurf, der strukturelle Verbesserungsvorschläge vorsieht. Maag warnte, so könnten noch mehr Ängste geweckt und das Vertrauen in die Organspende gemindert werden.
Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger kritisierte Spahn ebenfalls. „Man sollte nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen“, sagte er den Zeitungen. Die Widerspruchsregelung treffe auf „enorme Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung, löst aber kein Problem“.
Dagegen lobte Fraktionsvize Georg Nüßlein Spahns Vorstoß. Er sehe „diesmal die Chance, dafür eine Mehrheit im Parlament zu finden“. Die Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitikerin Claudia Schmidtke betonte, der Bundestag könne nun das machen, wofür er gewählt worden sei. „Eine breite gesellschaftliche Debatte organisieren, im eigenen Plenum kanalisieren und schließlich eine kluge, ethisch vertretbare Entscheidung treffen. Jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete kann, mit individuellem Erfahrungshintergrund ausgestattet, um Positionen ringen“, sagte sie.
Dass sie sich für eine Widerspruchslösung einsetze, liege in ihrer beruflichen Erfahrungen begründet, die sie tagtäglich mit Menschen zusammengebracht habe, die mit bereits gepackten Koffern monatelang auf rettende Organe warteten. „Ich halte es für eine zutiefst moralische Verpflichtung der Politik, diesen Menschen zu helfen“, sagte sie. Zugleich verstehe sie die Gegenargumente gut, die lange Zeit auch meine eigenen waren. „Ich empfinde daher eine Widerspruchslösung nach niederländischem Vorbild, gepaart mit Aufklärungskampagnen und einem Vetorecht für die verbliebenen Angehörigen, als gangbaren Weg, um breite gesellschaftliche Zustimmung zu erreichen“, so Schmidtke.
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