Sterbehilfeorganisation Exit will Suizidbeihilfe ohne ärztliches Gutachten
Zürich – Nicht nur Deutschland debattiert über die Beihilfe zur Selbsttötung. In der Schweiz hat die Suizidbeihilfe-Organisation Exit einen neuen Streit darüber ausgelöst: Sie will den Suizid im Alter enttabuisieren und damit die schon jetzt vergleichsweise liberale Schweizer Position zur Suizidbeihilfe weiter öffnen. Künftig sollen auch gesunde ältere Menschen einen begleiteten Suizid begehen können, ohne eine ärztliche Stellungnahme einholen zu müssen.
Anders als in Deutschland ist es in der Schweiz legal, anderen Menschen Mittel zur Selbsttötung zur Verfügung zu stellen und sie zu begleiten, sofern der Helfer nicht persönlich vom Tod des Patienten profitiert. Allerdings ist dafür ein ärztliches Gutachten darüber einzuholen, dass der Patient schwer leidet.
Gegen diese Regelung macht die Initiative, die bisher – anders als die zweite Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas – eher diskret agierte, jetzt mobil. Bei der Generalversammlung am 24. Mai will Exit die Vereinsstatuten um den Satz „Exit engagiert sich für den Altersfreitod“ ergänzen. „Lebenssatte“ Exit-Mitglieder in höherem Alter sollten ohne Arztzeugnis Suizidbeihilfe erhalten können.
Das Anliegen hätten die Mitglieder zum Thema gemacht, vorwiegend die auf Autonomie bedachte 68er Generation, die inzwischen selber alt werde, sagte Bernhard Sutter, Pressesprecher und künftiger Geschäftsführer von Exit, der Neuen Züricher Zeitung. Diese Generation fordere die Möglichkeit eines assistierten Suizids, etwa vor einem anstehenden Eintritt ins Pflegeheim. Sutter räumte ein, dass eine Umsetzung momentan unrealistisch sei; dafür brauche es Gesetzesänderungen.
Zunächst geht es den Verantwortlichen vor allem darum, Lobbyarbeit zu betreiben. Eine Abstimmung unter den 70.000 Vereinsmitgliedern, über die Schweizer Medien in diesem Frühjahr umfangreich berichteten, ergab eine Zustimmung von 90 Prozent. Allerdings gibt es vereinsintern auch radikalere Stimmen: Die Neue Züricher Zeitung zitiert den Sterbehelfer Walter Fesenbeck mit den Worten, notfalls solle die Organisation einen Musterprozess provozieren.
Mitgliederzahlen von Exit steigen
Exit verspürt nach eigener Darstellung massiven Rückenwind in der Schweiz: Immer mehr Menschen wollten Mitglied der Sterbehilfe-Vereinigung werden. Das Bedürfnis nach einer Freitod-Begleitung steige, wie Sutter in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger erklärte. Die Zahl der Mitglieder, die lange bei rund 50.000 gelegen habe, sei in den vergangenen fünf Jahren sprunghaft auf heute rund 72.000 angestiegen, darunter 60 Prozent Frauen. Auch die Freitod-Begleitungen nehmen zu: So hat Exit laut Sutter im vergangenen Jahr 459 Menschen beim Suizid begleitet, das waren 100 Fälle mehr als im Vorjahr. Ihr Durchschnittsalter lag bei 77 Jahren. Nach wie vor sind Krebserkrankungen im Endstadium, Altersmorbidität und chronische Schmerzleiden die am häufigsten festgestellten Krankheiten.
In Deutschland dürfte die neue Schweizer Debatte mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Nach einer im Februar veröffentlichten Spiegel-Umfrage können sich 55 Prozent der Bundesbürger im Alter aufgrund von schwerer Krankheit, langer Pflegebedürftigkeit oder Demenz einen Suizid vorstellen. Andererseits wollen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und große Teile von Union und SPD jede organisierte Form der Suizidbeihilfe unter Strafe stellen und damit auch die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen wie Exit und des Vereins Sterbehilfe Deutschland unmöglich machen.
Befürworter dieses strengen Kurses fordern gleichzeitig mit Blick auf hohe Zustimmungsraten zu Sterbehilfe in der Bevölkerung eine Stärkung von Hospizarbeit und Palliativmedizin. Der Deutschen Stiftung Patientenschutz geht das allerdings nicht weit genug: Die meisten Menschen hätten Angst vor Pflegebedürftigkeit und dem Verlust der Selbstbestimmung, so Vorstand Eugen Brysch. Notwendig sei deshalb eine echte Pflegereform, um der Tendenz zugunsten der Sterbehilfe entgegenzutreten.
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