Streit um Einhaltung der Hygienevorschriften in Kliniken

Berlin/Köln – Für Aufregung sorgt eine Recherche, die das ARD-Magazins Plusminus und das Recherchezentrum Corrective.org heute veröffentlicht haben. Danach erfüllte im Jahr 2014 jede vierte Klinik in Deutschland die Hygienevorschriften des Robert-Koch-Instituts nicht und beschäftigte zu diesem Zeitpunkt zu wenig Hygienepersonal. Schlusslicht ist laut Bericht Bremen, wo 43 Prozent aller Kliniken die Vorgaben nicht erfüllten. Am besten schneidet Hamburg ab, wo zehn Prozent die Hygienevorgaben verfehlten.
Basis der Auswertung sind die jährlichen Krankenhausqualitätsberichte und Daten des Landesverbands Nordwest der Betriebskrankenkassen (BKK). Dirk Janssen, Vizechef des BKK-Landesverbands Nordwest, hält die Ergebnisse für alarmierend. Wenn sich nichts ändere, „kostet das jedes Jahr tausenden Patienten das Leben“, sagte er.
Nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 muss jede Klinik mit mehr als 400 Betten jeweils mindestens einen Krankenhaushygieniker, eine Hygienefachkraft, einen hygienebeauftragten Arzt und eine hygienebeauftragte Pflegekraft beschäftigen. Bei Kliniken mit weniger als 400 Betten ist kein Krankenhaushygieniker vorgeschrieben.
„Die Krankenhäuser haben die Initiative ausgesessen“, kritisierte Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Wenn keine Sanktionen drohten, änderten die Kliniken nichts, so seine Einschätzung. Außerdem seien die Häuser nicht bereit, angemessene Gehälter für Krankenhaushygieniker zu zahlen. Zudem gebe es zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten. Nur an einzelnen großen Krankenhäusern könne man die Facharztausbildung zum Krankenhaushygieniker machen.
Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland insgesamt höchstens 300 Hygiene-Ärzte – bei mehr als 350 Krankenhäuser, die mindestens einen Hygieniker haben müssten.
Kliniken wehren sich
Die Krankenhäuser weisen den Bericht zurück. „Die Daten, die Plusminus verbreitet, sind veraltet. Die Ausstattung ist heute bereits deutlich besser“, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Thomas Reumann. Er warf den Journalisten von Plusminus und Corrective.org außerdem methodische Fehler vor. Zum Beispiel würden Krankenhäuser als mangelhaft bewertet, weil sie im Qualitätsbericht von 2014 nicht gemeldet hätten, ob sie einen Hygienebeauftragten in der Pflege haben. „Dabei verschweigt Plusminus bei dieser Klassifizierung, dass die Information im Qualitätsbericht nicht notwendig war. Die tatsächliche Quote auch bei den Hygienefachkräften in der Pflege wird somit von Plusminus nicht richtig erfasst“, so Reumann.
Das sieht das Universitätsklinikum Frankfurt (UKF) ebenso: Es wehrt sich dagegen, auf einer Liste von Plusminus zu erscheinen, auf der die Journalisten Krankenhäuser aufgeführt haben, die die Hygienemaßnahmen nicht korrekt umsetzten. „Das Universitätsklinikum Frankfurt wird auf dieser Liste geführt, weil es angeblich über keine sogenannten hygienebeauftragten Pflegekräfte verfügt. Diese Darstellung ist nachweislich falsch, denn das UKF beschäftigt sogar 74 solcher hygienebeauftragten Pflegekräfte“, hieß es aus Frankfurt.
Widerspruch kommt auch vom Klinikum Saarbrücken, dem LVR-Klinikverbund und der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Aus nicht nachvollziehbaren Gründen werde abgeleitet, dass die Hygienekriterien nicht erfüllt seien, falls ein Krankenhaus einen Krankenhaushygieniker als „extern“ angebe, hieß es Klinikum Saarbrücken. Man beschäftige zwar keinen eigenen Krankenhaushygieniker, kaufe aber externe Expertise in allen hygienischen Fragestellungen beim Zentrum für Hygiene und Infektionsprävention – Bioscientia – ein.
„Dies bedeutet nicht nur, dass täglich ein Krankenhaushygieniker vor Ort präsent ist, sondern dass je nach Fragestellung auf ein erweitertes Team von Spezialisten jederzeit, auch in Urlaubs- und Krankheitszeiten, zurückgegriffen werden kann“, so die Klinik. Der durch Plusminus abgeleitete Mangel in Form einer vermeintlichen Nichterfüllung gesetzlicher Vorschriften sei „damit weder nachvollziehbar noch haltbar“.
LVR-Klinikverbund und der BWKG werfen Plusminus und Correctiv unter anderem vor, mit veralteten Daten gearbeitet zu haben. Der Aufbau von zusätzlichem Hygienepersonal gehe Schritt für Schritt voran, machte der BWKG-Vorstandsvorsitzende Detlef Piepenburg deutlich. Der LVR-Klinikverbund betonte, es gebe in allen zehn Kliniken des Verbundes ein abgestimmtes Konzept für den Bereich der Krankenhaushygiene und der Infektionsprävention.
Mahnende Worte kommen von der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Das Hygieneproblem in den Krankenhäusern sei „zu ernsthaft, um durch heiße Medien-Luft die Ängste der Patienten zu schüren“, sgate Ärztekammer-Präsident Theodor Windhorst. Er kritisierte fehlende Investitionen in den Kliniken. „Die Investitionsleistungen der Länder sind grottenschlecht“, klagte Windhorst. Zwar sei NRW eines der ersten Länder mit Hygieneinitiativen, nämlich der Hygieneverordnung vom Januar 2003 auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes, es fehle jedoch an Mitteln zur vollständigen Umsetzung.
Windhorst forderte die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für hauptamtliche Hygienefachleute und Schulungen, mehr Personal und Stellen insbesondere in der Pflege und Intensivpflege und Maßnahmen zur Verbesserung kritischer Bausubstanz. Zudem seien Gelder für eine Änderung der Strategie der Quadratmeter-Putzkolonnen bei der Raumpflege unter der Aufsicht der Pflegeleitung des Hauses notwendig.
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