Politik

Streit um Einhaltung der Hygienevorschriften in Kliniken

  • Mittwoch, 11. Januar 2017
Uploaded: 15.01.2015 19:03:21 by mis
/dpa

Berlin/Köln – Für Aufregung sorgt eine Recherche, die das ARD-Magazins Plusminus und das Recherchezentrum Corrective.org heute veröffentlicht haben. Danach erfüllte im Jahr 2014 jede vierte Klinik in Deutschland die Hygienevorschriften des Robert-Koch-Instituts nicht und beschäftigte zu diesem Zeitpunkt zu wenig Hygienepersonal. Schlusslicht ist laut Bericht Bremen, wo 43 Prozent aller Kliniken die Vorgaben nicht erfüllten. Am besten schneidet Hamburg ab, wo zehn Prozent die Hygienevorgaben verfehlten.

Basis der Auswertung sind die jährlichen Krankenhausqualitätsberichte und Daten des Landesverbands Nordwest der Betriebskrankenkassen (BKK). Dirk Janssen, Vizechef des BKK-Landesverbands Nordwest, hält die Ergebnisse für alarmierend. Wenn sich nichts ändere, „kostet das jedes Jahr tausenden Patienten das Leben“, sagte er.

Nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 muss jede Klinik mit mehr als 400 Betten jeweils mindestens einen Krankenhaushygieniker, eine Hygiene­fach­kraft, einen hygienebeauftragten Arzt und eine hygienebeauftragte Pflegekraft be­schäftigen. Bei Kliniken mit weniger als 400 Betten ist kein Krankenhaushygieniker vor­ge­schrieben.

„Die Krankenhäuser haben die Initiative ausgesessen“, kritisierte Walter Popp, Vize­präsi­dent der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Wenn keine Sanktionen droh­ten, änderten die Kliniken nichts, so seine Einschätzung. Außerdem seien die Häuser nicht bereit, angemessene Gehälter für Krankenhaushygieniker zu zahlen. Zudem gebe es zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten. Nur an einzelnen großen Krankenhäusern kön­ne man die Facharztausbildung zum Krankenhaushygieniker machen.

Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland insgesamt höchstens 300 Hygiene-Ärzte – bei mehr als 350 Krankenhäuser, die mindestens einen Hygieniker haben müssten.

Kliniken wehren sich
Die Krankenhäuser weisen den Bericht zurück. „Die Daten, die Plusminus verbreitet, sind veraltet. Die Ausstattung ist heute bereits deut­lich besser“, sagte der Präsident der Deut­schen Krankenhausgesellschaft (DKG), Thomas Reumann. Er warf den Journalis­ten von Plusminus und Corrective.org außerdem methodische Fehler vor. Zum Beispiel wür­den Krankenhäuser als mangelhaft bewertet, weil sie im Qualitätsbericht von 2014 nicht gemeldet hätten, ob sie einen Hygienebeauftragten in der Pflege haben. „Dabei ver­schweigt Plusminus bei dieser Klassifizierung, dass die Information im Qualitäts­bericht nicht notwendig war. Die tatsächliche Quote auch bei den Hygienefachkräften in der Pfle­ge wird somit von Plusminus nicht richtig erfasst“, so Reumann.

Das sieht das Universitätsklinikum Frankfurt (UKF) ebenso: Es wehrt sich dagegen, auf einer Lis­te von Plusminus zu erscheinen, auf der die Journalisten Krankenhäuser aufgeführt haben, die die Hygienemaßnahmen nicht korrekt umsetzten. „Das Universi­tätsklinikum Frankfurt wird auf dieser Liste geführt, weil es angeblich über keine soge­nannten hy­gie­nebeauftragten Pflegekräfte verfügt. Diese Darstellung ist nachweislich falsch, denn das UKF beschäftigt sogar 74 solcher hygienebeauftragten Pflegekräfte“, hieß es aus Frank­furt.

Widerspruch kommt auch vom Klinikum Saarbrücken, dem LVR-Klinikverbund und der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Aus nicht nachvollzieh­baren Grün­den werde abgeleitet, dass die Hygienekriterien nicht erfüllt seien, falls ein Kran­ken­haus einen Krankenhaushygieniker als „extern“ angebe, hieß es Klinikum Saar­brücken. Man beschäftige zwar keinen eigenen Krankenhaushygieniker, kaufe aber ex­ter­ne Ex­per­tise in allen hygienischen Fragestellungen beim Zentrum für Hygiene und Infektions­prävention – Bioscientia – ein.

„Dies bedeutet nicht nur, dass täglich ein Krankenhaus­hy­gieniker vor Ort präsent ist, sondern dass je nach Fragestellung auf ein erweitertes Team von Spezialisten jederzeit, auch in Urlaubs- und Krankheitszeiten, zurückgegriffen werden kann“, so die Klinik. Der durch Plusminus abgeleitete Mangel in Form einer ver­meintlichen Nichterfüllung gesetz­licher Vorschriften sei „damit weder nachvollziehbar noch haltbar“.

LVR-Klinikverbund und der BWKG werfen Plusminus und Correctiv unter anderem vor, mit veralte­ten Daten gearbeitet zu haben. Der Aufbau von zusätzlichem Hygienepersonal gehe Schritt für Schritt voran, machte der BWKG-Vorstandsvorsitzende Detlef Piepen­burg deutlich. Der LVR-Klinikverbund betonte, es gebe in allen zehn Kliniken des Ver­bun­des ein abgestimmtes Konzept für den Bereich der Krankenhaushygiene und der In­fektions­prävention.

Mahnende Worte kommen von der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Das Hygieneproblem in den Krankenhäusern sei „zu ernsthaft, um durch heiße Medien-Luft die Ängste der Pa­tienten zu schüren“, sgate Ärztekammer-Präsident Theodor Windhorst. Er kritisierte fehlende Investitionen in den Kliniken. „Die Investitions­leistungen der Länder sind grot­tenschlecht“, klagte Windhorst. Zwar sei NRW eines der ersten Länder mit Hygiene­initia­tiven, nämlich der Hygieneverordnung vom Januar 2003 auf der Basis des Infektions­schutz­gesetzes, es fehle jedoch an Mitteln zur vollständigen Umsetzung.

Windhorst for­derte die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für hauptamtliche Hygiene­fachleute und Schulungen, mehr Personal und Stellen insbesondere in der Pflege und Intensivpflege und Maßnahmen zur Verbesserung kritischer Bausubstanz. Zudem seien Gelder für eine Änderung der Strategie der Quadratmeter-Putzkolonnen bei der Raum­pflege unter der Aufsicht der Pflegeleitung des Hauses notwendig.

hil/may/kna

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung