Politik

Suchtberatung warnt vor Einbruch der Versorgung

  • Mittwoch, 9. Oktober 2024
Das Schild der Drogen- und Suchtberatung Misfit in Berlin Kreuzberg. Konsumenten von Drogen können ihre gekauften Substanzen ab sofort kostenlos in Berlin testen lassen. /picture alliance, Fabian Sommer
Das Schild der Drogen- und Suchtberatung Misfit in Berlin Kreuzberg. Konsumenten von Drogen können ihre gekauften Substanzen ab sofort kostenlos in Berlin testen lassen. /picture alliance, Fabian Sommer

Berlin – Die Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Christina Rummel, warnt vor einem Zusammenbruch der Suchtberatung in Teilen Deutschlands, falls die akuten Finanzierungsprobleme nicht gelöst werden. Auch der Fachkräftemangel mache den Einrichtungen schwer zu schaffen.

Rund Dreiviertel der öffentlich finanzierten Suchtberatungsstellen könnten in diesem Jahr ihre Kosten nicht decken, hatte eine Ende September veröffentliche Umfrage der DHS ergeben. „Ich hätte zuvor gedacht, dass es vielleicht 30 Prozent sind“, erklärte Rummel.

Von 534 befragten Suchtberatungsstellen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, hatten 61,4 Prozent angegeben, dass ihre Finanzierung nicht kostendeckend sei, weiter 15,7 Prozent gaben an, sie sei noch nicht abschließend geklärt, aber vermutlich nicht kostendeckend.

Es brauche deshalb dringend eine bessere Finanzierung der Einrichtungen, mahnte Rummel: „Ganze Landstriche werden keine Suchtberatung mehr haben, wenn das so weitergeht.“

Hinzu komme der Fachkräftemangel in Kombination mit einer gestiegenen Nachfrage. Das Cannabisgesetz vom Frühjahr führe nach bisherigen Erfahrungen zu „genau dem, was wir vorher erhofft hatten, nämlich, dass mehr Menschen mit einer Cannabisproblematik Hilfe suchen“, sagte sie. Das verschärfe aber eben auch die Schwierig­keiten mit Personalengpässen.

Wolfgang Rosengarten, Leiter des Referats Prävention und Suchthilfe im hessischen Ministerium für Familie, Se­nioren, Sport, Gesundheit und Pflege, unterstützte Rummels Auffassung. „Wir haben ein Zweiklassensucht­hilfe­system“, kritisierte er.

Während die Kranken- und Rentenkassen für stationäre oder ambulante Suchttherapien die notwendigen Sum­men in der Regel erstatten würden, seien Prävention und Suchtberatung stets von schwankenden kommunalen Haushalten abhängig. Es gäbe „erst dann unbegrenzte Mittel, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, erklärte er.

Rosengarten warnte vor einem Bedeutungsverlust der Suchtprävention im politischen Raum und Mittelkürzun­gen auf allen Ebenen. „Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem die Suchthilfe ins Rutschen gerät.“

Er forderte eine Reform der Finanzierung, insbesondere einen gemeinsamen Finanzierungspool von Bund und Ländern. Auf inhaltlicher Ebene brauche es einen abgestimmten bundesweiten suchtpolitischen Strategierah­men. Auch müssten evidenzbasierte Leitlinien für Versorgungsangebote entwickelt werden, die beispielsweise den vermehrten Einsatz von Konsumräumen vorsehen.

Dass der Föderalismus diesen Einsatz in Deutschland erschwere, sei dabei kein Argument. In der Schweiz, deren Kantone noch über weit mehr Kompetenzen verfügten als die deutschen Bundesländer, gebe es schließlich auch seit 2017 schon eine erfolgreiche nationale Strategie, die jüngst bis 2028 verlängert worden sei.

Dieser Forderung schloss sich der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhardt Blienert, an. „Wir brauchen in den kommenden Jahren eine neue Nationale Strategie für Sucht- und Drogen­fragen. Die bisherige ist 12 Jahre alt. Da hat sich viel geändert“, sagte er.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen müsse es gelingen, „die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen viel besser zu bündeln und abgestimmte Antworten zu geben“, betonte er. „Aus meiner Sicht brauchen wir deshalb dringend einen Nationalen Koordinierungsrat für Sucht- und Drogenfragen.“

Blienert zog eine positive Bilanz der zurückliegenden drei Jahre, in denen die Ampelregierung maßgeblich zu einer neuen Debatte beigetragen habe, welche weg von Strafe und Verboten und hin zum Stärken, Helfen und Schützen führe. Ziel müsse es sein, „zu einer unideologischen, pragmatischen und evidenzbasierten Drogen­politik zu gelangen“.

Er räumte jedoch auch ein, dass in einigen Bereichen noch nicht genug erreicht worden sei. „Deutschland gehört zu den Ländern mit den größten Problemen durch Alkohol und Tabak überhaupt“, erklärte er. So sei es bisher gescheitert, Werbung und Sponsoring effektiver zu unterbinden.

lau

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