Teillegalisierung von Cannabis ist beschlossene Sache

Berlin – Der Bundesrat hat das Gesetz zur kontrollierten Freigabe von Cannabis als Genussmittel passieren lassen und nicht den Vermittlungsausschuss angerufen. Damit sind Anbau, Besitz und Konsum von Cannabis voraussichtlich ab dem 1. April in vorgegebenen Grenzen legal.
Die Wetten standen gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Nicht nur wegen des Widerstands der Union, sondern vor allem aufgrund der Einwände, die auch grüne und sozialdemokratische Innen- sowie Landespolitikerinnen und -politiker seit Monaten gegen zentrale Inhalte des Gesetzentwurfs vorbringen.
Und die Plenardebatte ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass auch generelle Legalisierungsbefürworter das Gesetz, wenn überhaupt, nur mit starken Bauchschmerzen passieren lassen würden. Konzentrierter und angespannter als üblich ließ Lauterbach die Debatte über sich ergehen, bevor er selbst das Wort ergriff.
Bis dahin schien es so, als würde ihm sein häufig und von fast allen Seiten kritisierter Politikstil auf die Füße fallen: Beratungsresistenz und Ignoranz gegenüber den Anliegen von Selbstverwaltung, Fachgesellschaften und in diesem Fall Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern, werden ihm regelmäßig vorgeworfen.
Lauterbach selbst war dann auch der Einzige, der heute lobende Worte für das Gesetz fand. Rückendeckung erhielt er ausschließlich vom sächsischen Arbeitsminister Martin Dulig (SPD), der aber genauso wenig das Gesetz selbst lobte.
Stattdessen kündigte er an, aus grundlegenden Erwägungen gegen eine Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stimmen – und stellte sich damit offen gegen seinen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Der hatte jüngst beim Kurznachrichtendienst X verkündet, sein Ziel sei es, „dass das Gesetz nie wieder aus dem Vermittlungsausschuss herauskommt“ – er kündigte also an, das Verfahren verschleppen zu wollen.
Ähnlich hatte sich auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eingelassen. „Ein Vermittlungsausschuss hat den Auftrag, ein Gesetz zu verändern und zu verbessern, nicht, es zu verhindern“, erwiderte Dulig darauf in einer nur wenige Minuten langen Rede. Es war sein einziger Punkt.
Dass Lauterbach im Vorfeld der Plenarsitzung die von Kretschmer und Dobrindt angekündigte Verschleppungstaktik als undemokratischen Schachzug kritisierte, warfen ihm nun wiederum mehrere Länderchefs und -minister vor. Er weise den Vorwurf entschieden zurück, im Vermittlungsausschuss würden Gesetze „mit prozessualen Tricks beerdigt“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU).
Er warf Lauterbach vor, mit seinen Äußerungen Verfassungsorgane zu diskreditieren und damit Demokratieskepsis zu befördern. Vor den Folgen des Gesetzes warnte er mit drastischen Worten: „Es wird mehr Todesfälle geben“, sagte er und verwies auf eine angenommene Zunahme der Zahl von Verkehrsunfällen sowie auf die Fälle, in denen „Cannabis eben doch eine Einstiegsdroge ist“.
Sein sächsischer Amtskollege Kretschmer hob auf die Gesundheitsgefährdung durch die Freigabe ab. Ärzte hätten ihm regelmäßig davon abgeraten. Die Bundesärztekammer (BÄK) und mehrere Landesärztekammern kritisieren das Vorhaben bereits seit langem.
Auch habe er vor kurzem erst in Leipzig mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte gesprochen, der ihm mit Blick auf die Probleme seines Heimatlandes vor einer Legalisierung gewarnt habe, betonte Kretschmer.
Lauterbach öffne die Büchse der Pandora
Lauterbach öffne mit seinem Vorhaben die Büchse der Pandora, warnte er. Dabei habe er sich gegenüber allen Beratungen, Warnungen und Kompromissangeboten von Länderseite verschlossen gezeigt. „Herr Bundesminister, was Sie hier angerichtet haben, ist wirklich demokratieschädlich“, erwiderte er mit Blick auf Lauterbachs Vorwürfe.
Er werde deshalb im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses abstimmen – auch wenn ihm das Ärger in seiner eigenen Koalition mit SPD und Grünen einbringe. „Bei diesem Gesetz zur Freigabe von Drogen kann es nicht um Parteipolitik oder Koalitionsarithmetik gehen“, beteuerte er.
Gleichlautende Kritik äußerte auch die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Sie kündigte an, Bayern werde die Überwachung der geplanten Anbauvereinigungen mit einer zentralen Kontrolleinheit so restriktiv wie möglich gestalten. Allein für diese Einheit würden 20 neue Stellen geschaffen und fünf Millionen Euro an Sachkosten anfallen.
Die These, dass eine Entkriminalisierung den Schwarzmarkt schwäche, sei längst widerlegt. Auch die vorgesehenen Besitz- und Anbaumengen seien viel zu hoch angesetzt. „Es ist für mich völlig unverständlich, wie man unter Berücksichtigung all dieser Argumente, die alle schon kennen sollten, dieses Gesetz befürworten kann.“
Was die Entscheidung der Länderkammer bis zuletzt offen erschienen ließ, war jedoch der Widerspruch aus den Reihen derer, die das Vorhaben eigentlich begrüßen, aber handwerkliche Defizite des Entwurfs und Lauterbachs Umgang damit kritisieren.
„Es treiben mich Wut und Enttäuschung an dieses Rednerpult“, sagte die brandenburgische Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU). Es gehe bei der Legalisierung nicht um das Ob, sondern um das Wie. In seiner jetzigen Form werde das Gesetz sein Ziel des besseren Gesundheitsschutzes für Konsumenten durch eine Austrocknung des Schwarzmarktes nicht erreichen.
„Es ist völlig realitätsfern, davon auszugehen, dass diese Anbauvereinigungen den Bedarf an Cannabis decken können“, allein schon, weil Cannabis ab April entkriminalisiert, Anbauvereinigungen aber erst im Juli zugelassen würden. Zudem sei die vorgesehene Amnestieregelung nicht nur in der kurzen Zeit praktisch nicht umsetzbar, sondern gar nicht notwendig.
Denn es gebe auch nach dem neuen Recht gar kein Gerechtigkeitsgebot für einen solchen Straferlass. Schließlich habe jede und jeder Verurteilte nicht nur zum Zeitpunkt der Verurteilung rechtswidrig gehandelt, sondern mangels legaler Bezugsquellen vom Schwarzmarkt gekauft und damit organisierte Kriminalität begünstigt – was weiterhin strafbar sein werde.
Das hätten die Landesjustizminister auch mehrfach ausgeführt. „Und wurden wir mit diesen mahnenden Worten ernstgenommen? Nein!“
Kritik an Lauterbachs Politikstil
Ihr nordrhein-westfälischer Amtskollege Benjamin Limbach (Grüne) hob ebenfalls darauf ab. Er sei nicht gegen die Legalisierung von Cannabis, aber die vorgesehene Amnestie sei eine enorme Herausforderung und verursache in Zeiten großer Überlastung der Justizsysteme neue Aufwände.
Es habe dahingehend zahlreiche Vorschläge und mögliche Kompromisse gegeben, beispielsweise eine verzögerte Amnestieregelung. Mit einer frühzeitigen Kommunikation und Absprache hätten sich viele Probleme lösen lassen, die Warnungen seien früh genug geäußert, aber nicht gehört worden. „An einer mangelnden Gesprächsbereitschaft der Länder hat es sicher nicht gelegen“, betonte er.
Mit der von Kretschmer und Dobrindt erklärten Taktik, das Gesetz im Vermittlungsausschuss ins Leere laufen zu lassen, wollte er sich dennoch nicht gemein machen. „Alle, die den Vermittlungsausschuss für eine Totalblockade missbrauchen wollen, würden damit ein Verfassungsorgan angreifen“, warf er ihnen vor.
Nun war es an Lauterbach, sich und sein Vorgehen zu rechtfertigen. Seine Verteidigungslinie war es zunächst, den Vertretern inhaltlicher Kritik selbst Realitätsferne vorzuwerfen. „Sind Sie sich bewusst, dass wir mit dem Gesetz Cannabis nicht neu einführen?“, fragte er.
Allein in den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten verdoppelt. Diese Konsumenten seien auf den Schwarzmarkt angewiesen und könnten nichts über Stärke, Qualität oder schädliche Beimischungen der gekauften Ware wissen. „Die Büchse der Pandora ist doch längst offen“, unterstrich er. Die Augen davor zu verschließen und darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löse, habe noch nie geholfen.
Er sei selbst jahrelang gegen eine Legalisierung von Cannabis gewesen, doch er habe sich mit der Materie auseinandergesetzt, Studien gelesen und letztlich aufgrund der Faktenlage seine Meinung geändert.
Es stimme nicht, dass eine gut regulierte Freigabe den Schwarzmarkt nicht schwächen würde. Kanada und einige US-Bundesstaaten hätten den Schwarzmarkt um 75 Prozent zurückgedrängt. „Natürlich wollen wir es nicht so machen wie Holland“, rief er Kretschmer entgegen.
Nachbesserungen in Protokollerklärung
Außerdem habe er durchaus mit den Länderministern gesprochen und deren Wünsche in die Protokollerklärung zur Bundesratsabstimmung aufgenommen. Die Protokollerklärung, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, sieht unter anderem strengere Regeln für die Anbauvereinigungen, eine Flexibilisierung der Kontrollen durch die Landesbehörden und mehr Geld für Prävention und Suchthilfe vor.
Im Anschluss an die Abstimmung erklärte Lauterbach auf Nachfrage, diese weiteren Regelungen schon bald im Omnibusverfahren in kommende Gesetze einzubauen. Welche Gesetze das sein sollen und wann genau das geschieht, erklärte er nicht.
Auch die Amnestieregelung sei, anders als Hoffmann zuvor erklärt hatte, durchaus geboten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) habe das ihm gegenüber klar ausgeführt. Den erhöhten Kontrollanforderungen an die Länder wiederum stehe eine noch größere Entlastung durch die Entkriminalisierung gegenüber. Lauterbach sprach von jährlich 180.000 Cannabisdelikten.
Er plädierte an die Länderkammer, das Gesetz passieren zu lassen: „Wenn wir das heute nicht schaffen, wäre das ein großartiger Tag für den Schwarzmarkt.“
Das Verhandeln und Feilschen hinter den Kulissen, das dem Vernehmen nach in den vergangenen Tagen mit Hochdruck betrieben worden sein soll, scheint indes erfolgreich gewesen zu sein. Lauterbach hatte vor der Plenarsitzung seine Hoffnung geäußert, dass es das Gesetz „knapp schaffen“ werde, durch den Bundesrat zu kommen. Tatsächlich war es am Ende nicht einmal knapp.
Nur Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und das Saarland stimmten für die Überweisung des Gesetzes in den Vermittlungsausschuss. Alle anderen Länder enthielten sich – mit einer Ausnahme. In der Einzelabstimmung verursachte Sachsen einen kurzen Moment der Verwirrung. Jedes Land muss geschlossen abstimmen; herrscht in der Landesregierung Uneinigkeit, enthält es sich normalerweise.
Nicht so die schwarz-grün-rote Koalition im Freistaat: Kretschmer stimmte für den Vermittlungsausschuss, Dulig dagegen, Klimaminister Wolfram Günther wollte sich enthalten. Damit war die sächsische Stimme ungültig.
Die Kritik an der Legalisierung verstummte auch nach dem Votum des Bundesrats nicht. „Aus ärztlicher Sicht ist Cannabis, genauso wie Tabak und Alkohol, alles andere als harmlos“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen.
„Man darf dem Cannabiskonsum nicht das Mäntelchen der Ungefährlichkeit umhängen.“ Die wissenschaftliche Erkenntnislage spreche klar gegen eine Freigabe, betontre auch KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner. Sie fordere stattdessen mehr Engagement bei Aufklärung und Prävention.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes können Erwachsene ab dem 1. April öffentlich 25 Gramm Cannabis bei sich führen und zuhause 50 Gramm lagern. Für Kinder und Jugendliche bleibt der Konsum verboten. Außerdem dürfen pro Person drei weibliche Cananbispflanzen zuhause angebaut werden.
Ab dem 1. Juli soll es dann möglich sein, mit bis zu 500 Personen gemeinschaftlich in Anbauvereinigungen Pflanzen zu züchten. Mitglieder dürfen dann 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm im Monat beziehen. Bei Erwachsenen bis 21 Jahren ist die Abgabe auf 30 Gramm pro Monat beschränkt und der THC-Gehalt darf zehn Prozent nicht überschreiten.
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