TK warnt vor Kopfschmerzmitteln als Lifestyle Medikamente

Berlin – Kopfschmerzmedikamente werden oft nicht gezielt genug eingesetzt. Besonders Jugendliche würden oft weniger von vorbeugenden Arzneimitteln profitieren. Das geht aus dem Kopfschmerzreport der Techniker Krankenkasse (TK) hervor, der heute veröffentlicht wurde.
„Entspannungsübungen sind für Kopfschmerz das, was das Zähneputzen für Karies ist“, sagte Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, zur Vorstellung des TK-Berichts in Berlin. Das müsse Patienten deutlicher erklärt werden, anstatt sie direkt medikamentös zu behandeln. Sowohl Ärzte als auch Apotheker, die viele Mittel rezeptfrei verkaufen, seien hier in der Pflicht.
Verständlicherweise würden viele Patienten die schnelle Schmerzlinderung vorziehen, oft auch um schneller wieder Leistungsfähig zu sein, sagte der Neurologe. Diesen Trend zur Medikation, um wieder volle Leistung bringen zu können, gebe es auch bereits bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen null und 19 Jahren.
Bei ihnen leide mehr als jeder achte an Kopfschmerzen (12,8 Prozent). Bei 15 Prozent der Mädchen und knapp 11 Prozent der Jungen wurde 2018 ein Kopfschmerz diagnostiziert. Rund 23 Prozent von ihnen wurden medikamentös behandelt.
Häufige Einnahme steigert Risiken
Häufige Schmerzmitteleinnahme steigere jedoch auch das Risiko für Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden oder arzneimittelinduzierte Kopfschmerzen, erklärte Göbel weiter. Bei Kindern und Erwachsenen könnte bei vielen der rund 360 bekannten Kopfschmerzarten auch eine Verhaltensänderung einen vergleichbaren Behandlungserfolg erreichen wie die Einnahme von Schmerzmedikamenten, erläuterte er.
„Eltern sollten hier sensibel sein und mit einem Arzt genau abwägen, wann Medikamente nötig sind“, sagte der Vorsitzende der TK, Jens Baas. Präventiv könnten auch Bewegung, Entspannung und regelmäßige Schlaf- und Essenszeiten helfen. Dabei gehe es nicht darum, Schmerzmittel zu verteufeln, sondern sie bewusst einzusetzen, so der Kassenmanager und frühere Chirurg.
Auch scheinbar ungefährliche Arzneimittel sollten immer mit Bedacht eingenommen werden: An maximal zehn Tagen im Monat und nicht länger als drei Tage am Stück. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der TK hatte gezeigt: 21 Prozent der Befragten greifen bei Kopfschmerzen direkt zu einem Medikament. Vier Prozent von ihnen gaben an, mehrfach pro Woche oder gar täglich ein solches Mittel einzunehmen.
Ein Grund für die häufige Verwendung liege in den Marketingstrategien der Pharmahersteller. Mit zielgruppenspezifischer Werbung und scheinbar neutralen Informationswebseiten würden teilweise die Grenzen zu Lifestyleprodukten verschwimmen, so Baas. Allein 2019 sei der Umsatz mit rezeptfreien Schmerzmitteln in Deutschland auf rund 500 Millionen Euro gewachsen.
Präventive Medikamente zu oft verschrieben
Aber nicht nur freiverkäufliche, sogenannte Over-the-counter (OTC) Medikamente würden zunehmend öfter verwendet, ergänzte der Fachbereichsleiter für Arzneimittel bei der TK, der Apotheker Tim Steimle.
Beispielsweise die seit knapp zwei Jahren zur Migräneprävention zugelassenen CGRP-Antikörper würden immer häufiger verschrieben. Im Januar 2019 waren rund 200.000 Tagesdosen abgegeben worden. Im Oktober desselben Jahres seien es bereits 500.000 Dosen gewesen.
Dabei sollten die Antikörperpräparate nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nur dann zur Anwendung kommen, wenn andere Therapien nicht anschlagen oder von Nebenwirkungen erschwert werden.
Doch bei mehr als der Hälfte der Verschreibungen bei TK-Versicherten seien CGRP-Antikörper als Erstlinientherapie eingesetzt worden. Weitere 25 Prozent der Patienten hatten zuvor lediglich eine andere Therapie erhalten, heißt es in dem Bericht.
Gerade die Behandlung von Kopfschmerzen bei Jugendlichen mit Migräne, für die die Antikörper allerdings keine Zulassung haben, sahen der Pharmakologe Steimle und der Neurologe Göbel kritisch.
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