Typ-2-Diabetes: Welchen Nutzen hat ein Screening der Bevölkerung?

Cambridge – Ein Diabetes-Screening von älteren Erwachsenen hat in einer dänische Studie die Sterblichkeit und Zahl der kardiovaskulären Erkrankungen in der Bevölkerung nicht gesenkt. Bei den Teilnehmern, bei denen ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wurde, kam es jedoch zu einem Rückgang von Morbidität und Mortalität. Auch eine schwedische Studie kommt zu einem positiven Fazit. In Diabetologia, dem Organ der European Association for the Study of Diabetes, sind sich Experten uneins über den Sinn des Screenings.
Zwischen 2001 und 2006 wurden in fünf von sechzehn dänischen Distrikten alle Hausarztpatienten im Alter über 40 Jahre zu einem Screening eingeladen. 153.107 Personen, die an 181 Arztpraxen registriert waren, wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Wenn sie dort bestimmte Risiken angaben, sollten sie eine Blutprobe abgeben. Insgesamt 27.177 Patienten nahmen an dem Screening teil und bei 1.533 wurde ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert.
Rebecca Simmons von der Universität Cambridge und Mitarbeiter haben jetzt versucht herauszufinden, ob das Screening (und die dadurch mögliche Therapie) die Patienten vor späteren Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem vorzeitigen Tod geschützt hat.
In einer ersten Studie verglich sie die Gesamtgruppe aller 153.107 Personen, die zum Screening eingeladen wurden, mit 1.912.392 Dänen aus anderen Teilen des Landes, die nicht zum Screening eingeladen worden waren und von denen mittlerweile 141.719 an einem Typ 2-Diabetes erkrankt sind. Die Diagnose wurde hier gestellt, weil den Patienten aus anderen Anlässen heraus Blut entnommen und der Blutzucker bestimmt worden war.
Während einer Nachbeobachtungszeit von 9,5 Jahren kam es in der Screening-Gruppe genauso häufig zu kardiovaskulären Ereignissen oder zum Tod der Patienten wie in der Kontrollgruppe. Die Hazard Ratios für beide Ereignisse betrugen 0,99 mit relativ engen 95-Prozent-Konfidenzintervallen. Damit lässt sich statistisch ziemlich sicher ausschließen, dass ein Nutzen übersehen wurde (Diabetologia 2017; doi:10.1007/s00125-017-4323-2). Nach den Ergebnissen dieser Auswertung wäre es nicht notwendig, Erwachsene zu einem Screening einzuladen, da die Diagnose Typ 2-Diabetes irgendwann aus anderen Anlässen gestellt wird und die Therapie dann noch rechtzeitig genug käme.
Die britischen Epidemiologen haben jedoch noch eine zweite Auswertung vorgenommen. Dieses Mal konzentrierten sie sich auf alle Patienten, bei denen bis 2009 ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wurde. In der Screeninggruppe waren dies insgesamt 13.992 Patienten (darunter 1.350 Diagnosen im Screening und 12.624 spätere Diagnosen aus anderem Anlass). In der Vergleichsgruppe wurden 125.083 Diagnosen gestellt.
Dieses Mal ergab der Vergleich, dass die Diabetes-Patienten in der Screeninggruppe bis 2012 zu 16 Prozent seltener Herz-Kreislauf-Ereignisse erlitten (Hazard Ratio 0,84; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,80-0,89) und zu 21 Prozent weniger Patienten vorzeitig gestorben sind (Hazard Ratio 0,79; 0,74-0,84). Nach dieser Analyse ist ein Screening sehr wohl in der Lage, die Patienten vor wichtigen Spätkomplikationen der Erkrankung zu schützen und vor einem vorzeitigen Tod zu bewahren (Diabetologia 2017; doi: 10.1007/s00125-017-4299-y).
Zu einer positiven Einschätzung gelangt auch eine Screening-Studie, die im schwedischen Bezirk Västerbotten durchgeführt wurde. Dort wird den Einwohnern im Alter zwischen 30 und 60 Jahren alle zehn Jahre eine Vorsorgeuntersuchung angeboten, zu der auch ein oraler Glukosebelastungstest gehört.
Adina Feldman von der Universität Cambridge und Mitarbeiter verglichen jetzt 1.024 Patienten, bei denen der Typ 2-Diabetes beim Screening und 8.642 Patienten, bei denen der Typ 2-Diabetes klinisch diagnostiziert wurde. Ergebnis: Der Typ-2-Diabetes wurde durch das Screening im Durchschnitt um 4,6 Jahre früher erkannt, und bei diesen Patienten kam es später seltener zu kardiovaskulären Erkrankungen, Nephropathie oder Retinopathie, den häufigsten Spätkomplikationen des Typ-2-Diabetes.
Die Studie kann zwar einen „Length time bias“ nicht ausschließen (er entsteht, weil die Krankheit durch das Screening in einem früheren Stadium entdeckt wird, in dem noch keine Komplikationen auftreten). Feldman hat jedoch den Eindruck, dass das Screening den Patienten einen Vorteil verschafft hat (Diabetologia 2017; doi: 10.1007/s00125-017-4402-4).
Einen zweifelsfreien Wirkungsbeleg für ein Screening liefern die beiden Studien jedoch nicht. David Simmons von der Western Sydney University und Janice Zgibor von der University of South Florida in Tampa bezweifeln, dass zukünftige Studien einen solchen Beweis erbringen werden. In vielen Ländern sei die Entscheidung für ein Screening bereits gefallen und es wäre unethisch, einigen Patienten in einer randomisierten kontrollierten Studie diese Untersuchung vorzuenthalten, schreiben sie.
Die beiden Editorialisten sprechen sich in ihrem Beitrag (Diabetologia 2017; doi: 10.1007/s00125-017-4397-x) dennoch für ein allgemeines Bevölkerungsscreening aus, während Jonathan Shaw vom Baker Heart und Diabetes Institute in Melbourne ein opportunistisches Diabetes-Screening favorisiert, bei dem nur Patienten untersucht würden, die sich aus anderen Gründen in der Praxis vorstellen und bei denen die Patienten auch ohne Kenntnis des Typ-2-Diabetes eine gute Behandlung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhalten (Diabetologia 2017; doi: 10.1007/s00125-017-4393-1.
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