Ausland

Umfassende Untersuchung in England zu Geschlechts­umwandlungen bei Minderjährigen

  • Freitag, 12. April 2024
/adragan, stock.adobe.com
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London – In Großbritannien ist eine umfassende unabhängige Untersuchung veröffentlicht worden, die zu „äußerster Vorsicht“ bei Hormontherapien zu Geschlechtsumwandlungen bei Minderjährigen rät.

In dem fast 400 Seiten langen Bericht gibt die pensionierte Kinderärztin Hilary Cass 32 Empfehlungen zum Umgang mit Kindern, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht ihrer empfunden geschlechtlichen Iden­tität entsprechen. Zugleich wird vor einer aufgeheizten vergifteten Debatte über den Umgang mit heranwach­senden Transgender gewarnt.

Den Bericht (The Cass Review) hatte der Nationale Gesundheitsdienst NHS 2020 in Auftrag gegeben, nach­dem immer mehr Kinder und Jugendliche wegen ihrer Geschlechtsidentität ärztlichen Rat gesucht hatten.

Der Bericht betont unter anderem, es müsse „eine klare klinische Begründung“ geben, wenn Jugendlichen ab 16 Jahren Hormone verschrieben würden, die zu weiblichen oder männlichen Körpermerkmalen führen, statt bis zu ihrer Volljährigkeit zu warten.

Der Bericht äußert sich auch zu Bedenken hinsichtlich des Einsatzes sogenannter Pubertätsblocker, weil es an wissenschaftlichen Erkenntnissen über ihren Nutzen und ihre langfristige Wirkung fehle. Die Debatte in Groß­britannien darüber sei von einer „Toxizität“ geprägt, die „außergewöhnlich“ sei, bemängelte Cass. Die betroffe­nen Kinder und Jugendlichen gerieten so „mitten in einen stürmischen sozialen Diskurs“.

Wegen der hitzigen Debatten habe außerdem medizinisches Personal häufig Angst, offen über ihre Ansichten zur Behandlung von Transgender zu sprechen. Solche Einschüchterungen „müssen aufhören“, forderte Cass, die früher dem Kinderärzteverband Royal College of Paediatrics (RCPCH) vorstand.

Der NHS in England hatte im vergangenen Monat mitgeteilt, dass Kinder unter 16 Jahren außerhalb von klini­schen Studien keine Pubertätsblocker mehr erhalten. Jugendliche ab 16 Jahren können das männliche Hor­mon Testosteron oder das weibliche Hormon Östrogen verschrieben bekommen, um entsprechende Ge­schlechts­merkmale wie Bartwuchs und Busen zu entwickeln.

Ebenfalls im vergangenen Monat war Englands erstes Gesundheitszentrum für Transgenderkinder geschlos­sen worden, nachdem ihm jahrelang vorgeworfen worden war, dass es vorschnell Pubertätsblocker verschrei­be. In London und Nordengland wurden zwei neue Behandlungszentren eröffnet.

Cass rät dazu, dass alle Gesundheitszentren Transgenderkinder „nach den selben Standards“ behandeln soll­ten, und zwar nach einer „ganzheitlichen Untersuchung“. Dazu gehören nach ihren Angaben auch eine neuro­logische und eine psychologische Untersuchung.

Weiter heißt es in dem Bericht, bei Kindern sei ein „noch vorsichtigerer Ansatz“ als bei Jugendlichen nötig, wenn sie sich ein neues Pronomen geben oder durch Kleidung eine andere geschlechtliche Identität de­mons­trieren wollten. In solchen Fällen sei es wichtig, dass Eltern „den geschlechtlichen Ausdruck ihrer Kinder nicht unbewusst beeinflussen“.

Der Arzt David Bell, der als Whistleblower Informationen über Missstände bei der Behandlung von minderjäh­ri­gen Transgender weitergegeben hatte, sagte, bei den Therapien seien vielfach Probleme wie Autismus, Depressionen, Traumata und Missbrauch übersehen worden. „Diese Kinder haben darunter gelitten, die falsche Behandlung bekommen zu haben, und außerdem wurden die Probleme, die sie hatten, nicht behandelt“, sagte Bell dem Sender Times Radio.

Der NHS England kündigte an, nach „gewissenhafter Prüfung“ der Empfehlungen in dem Bericht einen „voll­ständigen Umsetzungsplan“ dazu auszuarbeiten.

Der britische Premierminiser Rishi Sunak erklärte, der Bericht werfe „ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass wir extreme Vorsicht walten lassen müssen, wenn es um diese Themen geht“. Der konservative Regierungschef sagte dem Radiosender LBC: „Wir kennen die langfristigen Auswirkungen einfach nicht.“

afp

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