Geschlechtsangleichung: Debatte um rechtliche Regelung

Berlin – Die Grünen wollen eine gesetzliche Regelung für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen schaffen. Das verdeutlichte Tessa Ganserer (Grüne) vergangenen Freitag bei einem Fachgespräch der Partei.
Aufgrund eines Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom Oktober dieses Jahres wird für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen bei nicht binären Personen eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GB-A) vorausgesetzt. „Das aktuelle BSG-Urteil sorgt dafür, dass der Ausschluss höchst richterlich festgestellt wurde, und wir halten den Ausschluss für nicht akzeptabel“, so Ganserer.
Bereits genehmigte Behandlungen würden dem Queerbeauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) zufolge allerdings weiterhin finanziert. Ganserer sprach dagegen von bereits zurückgezogenen Bewilligungen.
Kritik an Begutachtungsanleitung
Doch auch für Transpersonen, die sich als Mann oder Frau identifizieren, gibt es einige Hürden bei der Kostenübernahme von Transitionsbehandlungen. Unter anderem kritisierte die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erneut die Begutachtungsanleitung des GKV-Spitzenverbandes. Die Richtlinie sieht vor, dass die Kosten für eine Geschlechtstransition nur übernommen werden, wenn die betreffende Person zunächst zwölf Sitzungen in einem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Setting durchführt.
Sabine Maur, Vize-Präsidentin der BPtK bezeichnete das als Zwangsbehandlung. „Unsere Gesellschaft ist geprägt von queerfeindlichen Werten und Normen“, so Maur. Die leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bund Kerstin Haid widersprach und sagte, dass es sich auch um ein beratendes Setting handeln könne.
Eine große Änderung hin zur Entpathologisierung von Transgeschlechtlichkeit hat vergangenes Jahr mit der Veröffentlichung des Klassifikationssystems ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) stattgefunden. Im Unterschied zur alten Klassifikation, dem ICD-10, wird die Geschlechtsinkongruenz im ICD-11 als Zustand und nicht mehr als Störung gewertet. In Deutschland bestünde jedoch „die komplexe Situation“, dass noch weitere vier bis fünf Jahre nach ICD-10 verschlüsselt und diagnostiziert würde, sagte Maur.
Forderungen für eine bessere Gesundheit
Der Allgemeinmediziner und Infektiologe Martin Viehweger begleitet in seiner Praxis viele Menschen bei der Transition. Er forderte, dass die transformative medizinische Begleitung Bestandteil von Ausbildungsprozessen werden müsse. Zusätzlich müsse der ökonomische Druck in der Praxis genommen werden und Netzwerkarbeit mit Peergroups und niedrigschwelligen Einrichtungen gefördert werden.
„In Deutschland ist der Markt momentan auf orale oder transdermale Hormonapplikationen beschränkt“, so Viehweger. Viele Personen in Transition würden jedoch auch auf hierzulande illegale Injektionsformen von Östrogenderivaten zurückgreifen, die etwa aus Tschechien importiert werden könnten, berichtete Viehweger.
„Das ist ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass die aktuellen Regelungen, die auch durch den MDK umgesetzt werden, schädlich sind und so schnell wie möglich abgeschafft werden müssen,“ sagte Mari Günther vom Bundesverband trans*. Günther hofft daher, dass zeitnah eine Rechtsgrundlage geschaffen wird. Denn viele Personen seien durch das BSG-Urteil so verunsichert, dass man von einer steigenden Suizidalität ausgehen müsse.
Eine Möglichkeit, die Transitionsbehandlung gesetzlich zu verankern sei, sie im Sozialgesetzbuch V in Analogie zur künstlichen Befruchtung als § 27b aufzunehmen, sagte die Rechtsanwältin Anke Harney.
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