Verbände stellen Konzept zur Personalbemessung in der Psychiatrie und Psychosomatik vor

Berlin – Ein „Plattform-Modell zur Bemessung der Personalausstattung in der Psychiatrie“ ist gestern Abend bei einem Fachsymposium mit Experten und Gesundheitspolitikern diskutiert worden. Entwickelt wurde der Ansatz von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und anderen psychiatrischen Berufs- und Fachverbänden.
Hintergrund ist, dass die Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, verbindliche Mindestvorgaben für das Personal in den Kliniken festlegt. Das Unterschreiten soll sanktioniert werden.
DGPPN-Präsident Andreas Heinz zeigte sich gestern „enttäuscht“ von der Richtlinie. „Das Plattform-Modell soll eine Lücke schließen – wir setzen große Hoffnungen hierein“, sagte Heinz. Das Modell für eine am Bedarf des Patienten, an den Leitlinien und an der Zukunft orientierten Personalbemessung in der Psychiatrie solle als Blaupause dienen.
Es habe bereits eine erste Machbarkeitsstudie erfolgreich durchlaufen: „Die Ergebnisse liefern die aktuell beste verfügbare Evidenz für eine leitliniengerechte Personalausstattung“, sagte Peter Brückner-Bozetti, wissenschaftlicher Projektleiter des Plattform-Modells.
Die DGPPN und alle beteiligten Fachverbände plädieren deshalb für eine Berücksichtigung des Modells und der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie bei den Beratungen zur Weiterentwicklung der PPP-Richtlinie des G-BA. Veröffentlicht wurde das Konzept erstmalig in der Zeitschrift Nervenarzt https://doi.org/10.1007/s00115-018-0669-z (Hauth et al, 2019).
Zentrale Inhalte des Plattform-Modells sind:
Die Berechnung der für eine leitliniengerechte und menschenrechtskonforme Patientenversorgung notwendigen Personalausstattung.
Eine flexible und dynamische Personalbemessung, gemäß dem individuellen Bedarf des Patienten, dem Zeitverlauf der Behandlung und dem Behandlungssetting.
Variablen sind unter anderem die aktuelle Symptomatik, spezifische Therapieziele und die Art und Schwere der Funktionsdefizite.
Das Modell unterscheidet Personalbedarfe, die direkt für die Behandlung des einzelnen Patienten notwendig sind, von solchen, die indirekt durch den Behandlungsbedarf bestimmt werden und dem Setting zuzuordnen sind (zum Beispiel voll- und teilstationär, Regel- und Komplexbehandlung in der psychosomatischen Medizin), und von solchen, die sich auf institutioneller Ebene ergeben, wie die gemeindepsychiatrische Vernetzung und die Notfallversorgung durch die Einrichtung.
Psychotherapie und die psychosozialen Therapien spielen heute größere Rolle
Notwendig ist ein neues Personalbemessungsinstrument nach Angaben von Thomas Pollmächer, Ärztlicher Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt, unter anderem wegen des zunehmenden Dokumentationsaufwands in den Kliniken. „Die Digitalisierung macht es nicht leichter“, sagte er.
„Auch die Psychotherapie und die psychosozialen Therapien spielen heute eine weitaus größere Rolle in der Behandlung als noch 1991, als die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) beschlossen wurde“, sagte Pollmächer, President elect der DGPPN.
Entsprechend mehr Psychotherapeuten, Psychologen und Fachpfleger seien notwendig. Zudem erfordere die Maßgabe der Zwangsbehandlung als ultima ratio entsprechend mehr Zeit und damit mehr Personal für die Patienten.
Arbeit in der Psychiatrie attraktiv gestalten, um Personal anzuwerben
Notwendig sei ein neues Personalbemessungsinstrument zudem wegen der Veränderung der Behandlungskonzepte auch im Sinne multiprofessioneller Ansätze sowie wegen der massiv verkürzten Verweildauer in den Kliniken, ergänzte Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin, Klinikum Itzehoe.
„Auch die verstärkte sektorenübergreifende Zusammenarbeit und die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an die P-Fächer erfordern mehr Zeit und Personal“, sagte er.
Zudem müsse die Arbeit in der Psychiatrie attraktiv gestaltet werden, um Ärzte und Pflegekräfte anwerben zu können. „Wir brauchen deshalb ein Instrument zur Personalbemessung, das die Zukunftsfähigkeit garantiert“, forderte Deister.
Auf den erhöhten Behandlungsbedarf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwies Michael Kölch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP).
„Wir sehen heute viel mehr schwer kranke Patienten als noch vor 20 Jahren. Unsere Patienten sind die schwächsten in der Gesellschaft und ihre Familien auch.“ Gerade die Kooperation mit Partnern „jenseits von SGB V“, also mit der Jugendhilfe und anderen, erfordere viel Zeit und Personal, das in kooperativ arbeiten könne.
Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM), Johannes Kruse, betonte: „Der Aufbau einer therapeutischen Beziehung ist ganz wesentlich in allen P-Fächern – ausreichend Personal also ganz entscheidend.“ Das Plattform-Model bearbeite ein „sehr komplexes Feld“ und sei in der derzeitigen Form „noch nicht komplett fertig“.
„Uns erscheint das Plattform-Modell sehr plausibel – aber wir haben keine Erfahrung damit“, sagte der Vertreter der psychosomatischen Fachverbände in der Plattform, Ulrich Cuntz. Die psychosomatischen Kliniken arbeiteten nicht mit einer Psych-PV, sondern mit tagesgleichen Pflegesätzen.
Berücksichtigt werden müsse immer der individuelle Bedarf des Patienten, der in der Psychosomatik mit hochfrequenter, multimodaler und multiprofessioneller Psychotherapie behandelt werde.
Modell positiv bewertet
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Interessenvertretern und Gesundheitspolitikern kam das Plattform-Modell zur Personalbemessung grundsätzlich gut an. Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer und Beauftragte für die ärztliche Psychotherapie, bezeichnete das Modell als „anpassungsfähig, flexibel, berufsgruppenbezogen und deshalb genial“.
Andrea Benecke vom Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer, sieht in dem Modell „ein gutes Tool, um die psychotherapeutische Versorgung in den Kliniken zu verbessern“.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink sagte: „Das Modell ist der Versuch einer bedarfsgerechten Personalbemessung und deshalb eine gute Grundlage, für eine bessere Versorgung psychisch kranker Patienten.“
Dirk Heidenblut von der SPD, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages, sieht „einen guten Einstieg in die Diskussion“ um die Personalbemessung in Psychiatrie und Psychosomatik. „Vieles ist mir aber noch zu unklar, Nacharbeit ist notwendig“, sagte er.
Auch Ute Watermann vom GKV-Spitzenverband findet „vieles im Detail noch zu nebulös, um es beurteilen zu können“. Man brauche eine valide Studie, um den Aufschlag weiterzuentwickeln.
Einige waren sich die Experten, dass die Fachgesellschaften allein eine solche Studie nicht finanzieren könnten. Dazu dürfe es eines „validen Auftrags“ aus der Politik. Die Gesundheitspolitiker Klein-Schmeink und Heidenblut stellten die Möglichkeit in Aussicht, eine solche Studie aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.
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