Keine Zwangsbehandlung ohne breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens

Karlsruhe – Ärztliche Zwangsbehandlungen sind nur gegen den Patientenwillen möglich, wenn die Therapie einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht. Das hat der unter anderem für Betreuungs- und Unterbringungsrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe heute mit einem veröffentlichten Beschluss (Az. XII ZB 381/19) klargestellt.
Der BGH führte aus, dass der breite medizinisch-wissenschaftliche Konsens sowohl in Bezug auf die Therapie als auch deren Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gelten muss. „Ein derartiger Konsens kann seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden“, hieß es vom BGH.
Im konkreten Fall – der Zwangsbehandlung eines an Schizophrenie Erkrankten mittels Elektrokonvulsionstherapie / Elektrokrampftherapie (EKT) – vermittelten aber weder Stellungnahmen noch Leitlinien einen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens, der die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme bei einem an (nicht katatoner und nicht akut exazerbierter) Schizophrenie leidenden Betroffenen gerechtfertigt wäre.
Zwar könne eine EKT nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein, so der XII. Zivilsenat. Ein depressives Krankheitsbild hätten die sachverständig beratenen Instanzgerichte aber nicht festgestellt. Daher sei die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig gewesen.
Im vorliegenden Fall leidet der Betroffene an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht und wurde – überwiegend zwangsweise – mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt.
Nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten hatte das Amtsgericht die Einwilligung des zuständigen Betreuers in die Durchführung einer EKT in Form der elektrischen Auslösung von sechs großen zerebralen Anfällen mithilfe von uni- oder alternativ bilateral angelegten Elektroden innerhalb von zwei Wochen, außerdem die Einleitung einer Narkose durch Anästhesisten und – wenn der Betroffene von den ärztlichen Maßnahmen nicht überzeugt werden kann – die Anwendung von Gewalt (Festhalten, 3- bis 5-Punkt-Fixierung) genehmigt.
Das Landgericht Heidelberg hatte die Beschwerde des Betroffenen und seiner Mutter noch zurückgewiesen; die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter beim BGH hatte nun Erfolg. Laut Gesetz darf der Betreuer einer Zwangsbehandlung nur zustimmen, wenn diese „zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden“, hieß es vom BGH.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: