Politik

Verfassungs­rechtliche Bedenken bei geplanter Krankenhausreform

  • Donnerstag, 20. April 2023
Von links: Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Ferdinand Wollenschläger, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Augsburg. /Kurz
Von links: Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Ferdinand Wollenschläger, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Augsburg. /Kurz

Berlin – Die Vorschläge der Regierungskommission zur Krankenhausreform verstoßen nach Ansicht eines Gut­achtens gegen die in der Verfassung verankerte Gesetzgebungskompetenz der Länder.

„Das Grundgesetz sieht weder für das Krankenhauswesen im Allgemeinen noch für die Krankenhausplanung im Besonderen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes vor“, heißt es in dem 144-seitigen Rechtsgutachten, das heute vorgestellt wurde.

Verfasser der Studie ist Ferdinand Wollenschläger, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirt­schaftsrecht an der Universität Augsburg.

In Auftrag gegeben wurde die Ausarbeitung von den drei unionsgeführten Gesundheitsministerien in Bayern, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Schleswig-Holstein. Sie sollte die Verfassungsmäßigkeit der Expertenvor­schlä­ge untersuchen, die die Regierungskommission zur Krankenhausreform im Dezember 2022 vorgelegt hatte.

Das Konzept der Expertenkommission ist die Grundlage, an der sich die Reformpläne orientieren sollen. Im Kern sind Leistungsgruppen sowie Versorgungsstufen vorgesehen. Mit der Einführung von Leistungsgruppen sollen Krankenhäuser nur die Fälle behandeln, für die sie eine ent­sprechende personelle und technische Ausstattung vorhalten können.

Die Krankenhäuser sollen zudem in drei Versorgungsstufen eingeteilt werden und daran geknüpft bestimmte Abteilungen betreiben und Leistungen erbringen dürfen. Zudem ist eine Vorhaltefinanzierung vorgesehen.

In Bund-Länder-Beratungen sind aber schon einige andere Akzentsetzungen deutlich geworden, so hatten die Bundesländer auf Öffnungsklauseln insbesondere bei Versorgungsstufen bestanden. Auch Bundesgesundheits­minis­ter Karl Lauterbach (SPD) ist inzwischen für Abweichungsmöglichkeiten bei den Stufen, um nach eigener Aussage vorhandene Krankenhausstrukturen nicht kaputt zu machen.

Bund darf nicht Planungshoheit der Länder beschneiden

Dem Gutachten zufolge müssen den Ländern auch nach der Reform eigenständige erhebliche Gestaltungs­spiel­räume für die Krankenhäuser verbleiben. Der Bund darf bei der Krankenhausplanung nicht übermäßig steuern und die Planungshoheit der Länder beschneiden, sagte Wollenschläger.

Das Gutachten stützt sich vor allem auf Artikel 74 des Grundgesetzes, aus dem hervorgeht, dass der Bund le­dig­lich für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze zuständig ist. Im Übrigen liege die Gesetzgebungskompetenz für den Krankenhausbereich bei den Ländern, so Wollenschläger.

Konkret sieht Wollenschläger die vorgeschlagenen Leistungsgruppen und Versorgungslevels als schwierig an. Diese stellen aufgrund der starren Zuordnung von Leistungsgruppen zu einzelnen Levels einen „nicht mehr hinnehmbaren“ Struktureingriff in die Planungsbefugnisse der Länder dar.

Zudem pochte er auf angemessene und langdauernde Übergangsregelungen für eine umfassende Kranken­hausreform. Außerdem seien die Vorschläge der Kommission nicht mit den Grundrechten der privaten und freigemeinnützigen Träger von Krankenhäusern vereinbar. Die generelle Bevorzugung größerer Häuser mit einem umfassenden Leistungsangebot sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, sagte Wollenschläger.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass sich die Vorschläge der Regierungskommission nicht umsetzen lassen. Dies wäre nur mit einer Änderung des Grundgesetzes möglich, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bun­des­tag und Bundesrat erfordert.

Der Bund dürfe allerdings Vergütungsregelungen unter Verzicht auf planungsrelevante Vorgaben realisieren, heißt es in dem Gutachten. Diese Regelung könne die Fehlanreize des diagnosebezogenen Fallpauschalensys­tems (DRG) etwa durch eine Vorhaltefinanzierung beseitigen.

Staatsvertrag und Rahmenvorgaben wären möglich

Die Länder könnten zudem eine „landesautonome Umsetzung des Reformvorschlags“ erarbeiten. Diese wäre als landesübergreifende Koordinierung, etwa durch einen Staatsvertrag oder einen Musterentwurf und in Ab­stimm­ung mit dem Bund möglich.

Der Bund dürfe dem Gutachten zufolge auch Rahmenvorgaben für die Landeskrankenhausplanung mit Leis­tungs­gruppen und Levels formulieren. Hierbei müssten aber die Länder Planungsspielräume im größeren Um­fang erhalten. „In der Sache muss den Ländern ermöglicht werden zu entscheiden, wo welches stationäre Ver­sorgungsangebot vorzuhalten ist.“

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nannte das Gutachten „sehr fundiert“ und betonte, mit dem Gutachten haben die Länder nun etwas in der Hand, um mit dem Bund auf Augenhöhe über die Kran­kenhausreform diskutieren zu können. „So wie es jetzt ist, wird es nicht funktionieren“, bemängelte Holetschek. Auf der Fachebene habe man sich „verheddert im Gestrüpp“.

Er warb deshalb heute dafür, nochmal zurück auf den Anfang zu gehen und anhand des Gutachtens gemeinsam neu an der Fragestellung zu arbeiten, wie eine Krankenhausreform auf den Weg gebracht werden könne. Bei der Erarbeitung einer Reform müssten auch andere Themen wie Bürokratie – „die moderne Geisel der Menschheit“ – oder die Organisation der Pflege mitbedacht werden.

„Wir brauchen auch die Einbindung der Ärzteschaft vor Ort“, sagte Holetschek. Die Sektoren der niedergelasse­nen Ärzte sowie den stationären Bereich müsse man stärker miteinander verbinden. Holetschek zeigte sich zudem bereit bei einer bundesweiten Reform mitzuwirken, aber wo welche Versorgung stattfindet, müsse in den jeweiligen Bundesländern entschieden werden.

Reform der Krankenhausfinanzierung notwendig

Kerstin von der Decken (CDU), Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, sagte, dass eine Krankenhaus­re­form nur möglich sei, wenn sie verfassungskonform ist. Die geplanten Vorgaben des Bundes für die Kranken­hausstrukturen seien juristisch aber problematisch. „Diese Reform wird früher oder später vor Gericht landen“, kritisierte sie.

Es sei deshalb wichtig, dass eine Krankenhausreform von Beginn an verfassungskonform ist. Die Kompetenzen der Bundesländer in dieser Frage seien nicht nur juristisch, sondern auch inhaltlich richtig, denn bei den Bun­desländern gebe es große topografische oder demografische Unterschiede, die jeweils berücksichtigt werden müssten, so von der Decken.

Gleichzeitig betonte sie die Notwendigkeit einer Reform der Krankenhausfinanzierung vonseiten des Bundes. Diese dürfe aber nicht in die Krankenhausplanung der Länder hineinreichen.

Zu den in Aussicht gestellten Öffnungsklauseln und Abweichungsmöglichkeiten bei den Levels und Leistungs­gruppen sagte sie, dass die Länder noch nicht wissen, wie weit diese Klauseln gehen werden. Das Gutachten habe zudem deutlich gemacht, dass es aus kompetenzrechtlichen Gründen schwierig und höchstwahrscheinlich verfassungswidrig sei, wenn der Bund alle Vorgaben detailliert per Gesetz regelt und lediglich Öffnungsklau­seln vorsieht. Sie befürwortete stattdessen Rahmenvorgaben, in denen die Länder entsprechende Details re­geln können.

Krankenhäuser müssen in politischer Verantwortung liegen

Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bemängelte heute erneut, dass der Bund den Ländern zu wenig Planungsspielraum lässt. „Meine Wahrnehmung aus den Besprechungen ist, dass die Bundesregierung den Ländern möglichst keinen oder kaum einen Spielraum in der Krankenhaus­pla­nung lassen will.“

Dass man von den geplanten Versorgungsstufen nur in begründeten Ausnahmefällen abweichen können solle, reiche Laumann zufolge auch aus praktischen Gründen nicht aus. Er betonte, dass Krankenhäuser, die neben Schulen die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen seien, zudem immer von demokratisch legitimierten Poli­ti­kern und nicht von Gremien wie beispielsweise das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) oder der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) verantwortet werden müssten.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach nannte es richtig, auch die rechtlichen Aspekte zu analysieren. Das Gutachten befasse sich aber mit überholten Reformplänen und werde von anderen Gutachtern auch so nicht bestätigt. „Die Diskussion ist inzwischen wesentlich weiter“, sagte der SPD-Politiker. Die dringend notwendige Reform werde gemeinsam mit den Ländern erarbeitet. „Der übliche Gutachterstreit darf und wird das Kranken­haussterben nicht verlängern.“

Für Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, stellt das Gutachten klar, dass für die vorliegen­den Probleme in der Krankenhausversorgung vor allem die Länder in der Verantwortung stehen. „Sie haben heute nochmal bestätigt bekommen, dass die Sicherstellung der stationären Versorgung in ihrer Verantwortung liegt. Die mangelhafte Finanzierung der Krankenhausinvestitionen haben alleine die Bundesländer verschul­det.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte das Gutachten. „Die Verantwortlichen vor Ort wissen genau, welche Anforderungen es in ihren Regionen an die Gesundheitsversorgung gibt und wie sie am besten zu erfüllen sind. Das Gutachten zeigt ein weiteres Mal, dass eine Krankenhausreform nur gelingen kann, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen“, sagte DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß.

Der Hartmannbund bezeichnete das Gutachten als „wichtige Orientierungsmarke“ für den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses. „Es ist wichtig, dass wir diese Klarheit haben, weil die beste Reform uns nicht hilft, wenn sie rechtlich auf tönernen Füßen steht und damit bereits mit ihrer Verabschiedung Makulatur ist“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, der auch Präsident der Bundesärztekammer ist.

Entscheidend sei, dass man sich zwischen Bund und Ländern über die grundsätzlichen Ziele einer Neuaufstellung der Krankenhausstruktur einig sei. „Die Reform muss – so weit wie möglich wohnortnah – patientenorientiertes, effizientes und gutes ärztliches und pflegerisches Handeln gewährleisten“, sagte Reinhardt.

Auch der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd) begrüßte das Gutachten und betonte, dass die Hoheit der Länder für die Krankenhausplanung auch aus versorgungspraktischen Gründen gewahrt bleiben müsse.

„Die Versorgungsstrukturen haben sich regional sehr unterschiedlich entwickelt. So sichern vielerorts nicht Großkliniken, sondern Klinikverbünde und -netzwerke zuverlässig und auf hohem Qualitätsniveau die Versor­gung der Bevölkerung“, sagte Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des kkvd. Zudem sei der Versorgungsbe­darf aufgrund der demografischen Entwicklung von Region zu Region unterschiedlich.

„Dem kann nur eine Krankenhausplanung gerecht werden, die von den Ländern verantwortet und ausgestaltet wird. Wo bundeseinheitliche Vorgaben unverzichtbar sind, müssen die Ländern ausreichend Handlungsspiel­räume haben, um sie an die regionalen Gegebenheiten anzupassen“, sagte Rümmelin.

Der kkvd schlägt vor, Qualität und Erreichbarkeit zu den zentralen Maßstäben der Krankenhausreform zu machen, spricht sich aber auch für die Einführung von Leistungsgruppen aus.

cmk/dpa

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