Politik

Verlegung des Praxissitzes in einen besser versorgten Stadtteil problematisch

  • Donnerstag, 4. August 2016
/fotolia, Joerg Lantelme
/fotolia, Joerg-Lantelme

Berlin – Ein regionaler Zulassungsausschuss darf der Verlegung einer Arzt- oder Psy­cho­therapeutenpraxis von einem weniger gut versorgten Stadtteil in einen besser ver­sorgten nur zustimmen, „wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen“ – auch wenn beide Stadtteile sich im selben großräumigen Planungs­bereich befinden. Das hat jetzt das Bundesozialgericht (BSG) entschieden.

Im vorliegenden Fall hatte eine Psychotherapeutin zum 1. April 2013 eine Praxis in Ber­lin-Neukölln übernommen und ein halbes Jahr später die Verlegung an ihre Wohna­dresse im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg beantragt. Beide Bezirke befinden sich im selben großräumigen Planungsbereich (Gesamt-Berlin). Allerdings liegt der psycho­the­rapeutische Versorgungsgrad in Berlin-Neukölln bei 87,7 Prozent und Tempelhof-Schöneberg bei 344 Prozent.

Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag auf die Praxisverlegung folglich mit der Begründung ab, dass die schon jetzt ungleichmäßige Versorgung durch die Sitzverle­gung verschärft werde.

Gegen diese Entscheidung protestierte die Psychotherapeutin und bekam damit vor dem Berufungsausschuss Recht. Ein Argument war, dass die Praxisstandorte nur etwa fünf Kilometer voneinander entfernt seien, sodass Patienten aus Neukölln die Praxis in Tem­pelhof-Schöneberg mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen könnten.

Allerdings klagte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin gegen diese Entscheidung des Berufungsausschusses. Das Sozialgericht wies diese Klage jedoch ab – die Sitz­ver­legung sei zu Recht genehmigt worden, unter anderem wegen der geringen Entfernung zwischen den beiden Praxisstandorten.

Diese Entscheidung hat der sechste Senat des Bundessozialgerichts jetzt revidiert, der KV Recht gegeben und den Berufungsausschuss dazu verurteilt, den Fall neu zu be­schei­den. „Ein Arzt oder ein Psychotherapeut hat einen Anspruch darauf, dass seine Sitzverlegung innerhalb des Planungsbereichs genehmigt wird, wenn Gründe der ver­trags­ärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen“, begründete das BSG seine Entscheidung.

Bei der Beurteilung, ob solche Gründe vorliegen, gebe es einen Beurteilungsspielraum. Diesen Spielraum habe der Berufungsausschuss im vorliegenden Fall aber über­schritten. „Er hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass nach dem Willen des Gesetz­gebers verhindert werden soll, dass sich die Versorgung in Teilen von eigentlich gut versorgten großen Planungsbereichen (hier: Berlin) durch Praxissitzverlegungen ver­schlechtert“, argumentierte das BSG.

Die KV begrüßte das Urteil und verwies auf einen sogenannten „Letter of Intent“ des gemeinsamen Landesgremiums. Dieser empfiehlt den Zulassungsgremien, Praxissitz­ver­legungen nur dann zu genehmigen, wenn diese nicht in einen höher versorgten Verwal­tungs­bezirk erfolgen soll. „Bei Praxissitzverlegungen in höher versorgte Verwaltungs­be­zirke stehen in der Regel Versorgungsgesichtspunkte entgegen“, argumentiert die KV. Dieser „Letter of Intent“ hat laut KV dazu geführt, dass inzwischen in mehr als 180 Fällen Vertragsarztsitze und Vertragspsychotherapeutensitze in schlechter versorgte Verwal­tungs­bezirke verlegt wurden – zum Wohle der dort lebenden Bevölkerung.

Im vorliegenden Fall scheint das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen zu sein: „Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass sich die Versorgungslage mit Blick auf die konkreten Praxisstandorte anders darstellt, als das nach den allgemeinen Versor­gungs­graden in den Bezirken anzunehmen ist“, schreibt das BSG. Hierzu werde der Be­rufungsausschuss „nähere Feststellungen zu treffen haben“.

NAV Virchowbund fordert Korrekturen an Bedarfsplanung
Kritik kommt unterdessen vom NAV Virchowbund. „Die KV geht mit einer immer härteren Gangart gegen die eigenen Kollegen vor“, beklagte der Vorsitzende der Landesgruppe Berlin/Brandenburg, Mathias Coordt. Aus seiner Sicht zeige das Urteil des BSG, dass die Stadtbezirke keine geeignete Abgrenzung für die Beurteilung der Versorgungslage sind.

„Die Versorgung in Neukölln und Tempelhof-Schöneberg, beide von der Größe einer mittleren Großstadt, mag sehr unterschiedlich sein, das spiegelt aber nicht die Lage in den einzelnen Stadtteilen wider, die ja direkt nebeneinander liegen können und ver­kehrs­­technisch gut verbunden sind“, so Coordt. Er forderte die KV auf, eine Bedarfs­pla­nung auf den Weg zu bringen, die die tatsächliche Versorgungssituation, den Versor­gungs­bedarf, die tatsächliche Inanspruchnahme und die zukünftige soziodemografische Entwicklung der Berliner Bevölkerung abbildet.

hil

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung