Verlegung des Praxissitzes in einen besser versorgten Stadtteil problematisch

Berlin – Ein regionaler Zulassungsausschuss darf der Verlegung einer Arzt- oder Psychotherapeutenpraxis von einem weniger gut versorgten Stadtteil in einen besser versorgten nur zustimmen, „wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen“ – auch wenn beide Stadtteile sich im selben großräumigen Planungsbereich befinden. Das hat jetzt das Bundesozialgericht (BSG) entschieden.
Im vorliegenden Fall hatte eine Psychotherapeutin zum 1. April 2013 eine Praxis in Berlin-Neukölln übernommen und ein halbes Jahr später die Verlegung an ihre Wohnadresse im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg beantragt. Beide Bezirke befinden sich im selben großräumigen Planungsbereich (Gesamt-Berlin). Allerdings liegt der psychotherapeutische Versorgungsgrad in Berlin-Neukölln bei 87,7 Prozent und Tempelhof-Schöneberg bei 344 Prozent.
Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag auf die Praxisverlegung folglich mit der Begründung ab, dass die schon jetzt ungleichmäßige Versorgung durch die Sitzverlegung verschärft werde.
Gegen diese Entscheidung protestierte die Psychotherapeutin und bekam damit vor dem Berufungsausschuss Recht. Ein Argument war, dass die Praxisstandorte nur etwa fünf Kilometer voneinander entfernt seien, sodass Patienten aus Neukölln die Praxis in Tempelhof-Schöneberg mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen könnten.
Allerdings klagte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin gegen diese Entscheidung des Berufungsausschusses. Das Sozialgericht wies diese Klage jedoch ab – die Sitzverlegung sei zu Recht genehmigt worden, unter anderem wegen der geringen Entfernung zwischen den beiden Praxisstandorten.
Diese Entscheidung hat der sechste Senat des Bundessozialgerichts jetzt revidiert, der KV Recht gegeben und den Berufungsausschuss dazu verurteilt, den Fall neu zu bescheiden. „Ein Arzt oder ein Psychotherapeut hat einen Anspruch darauf, dass seine Sitzverlegung innerhalb des Planungsbereichs genehmigt wird, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen“, begründete das BSG seine Entscheidung.
Bei der Beurteilung, ob solche Gründe vorliegen, gebe es einen Beurteilungsspielraum. Diesen Spielraum habe der Berufungsausschuss im vorliegenden Fall aber überschritten. „Er hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers verhindert werden soll, dass sich die Versorgung in Teilen von eigentlich gut versorgten großen Planungsbereichen (hier: Berlin) durch Praxissitzverlegungen verschlechtert“, argumentierte das BSG.
Die KV begrüßte das Urteil und verwies auf einen sogenannten „Letter of Intent“ des gemeinsamen Landesgremiums. Dieser empfiehlt den Zulassungsgremien, Praxissitzverlegungen nur dann zu genehmigen, wenn diese nicht in einen höher versorgten Verwaltungsbezirk erfolgen soll. „Bei Praxissitzverlegungen in höher versorgte Verwaltungsbezirke stehen in der Regel Versorgungsgesichtspunkte entgegen“, argumentiert die KV. Dieser „Letter of Intent“ hat laut KV dazu geführt, dass inzwischen in mehr als 180 Fällen Vertragsarztsitze und Vertragspsychotherapeutensitze in schlechter versorgte Verwaltungsbezirke verlegt wurden – zum Wohle der dort lebenden Bevölkerung.
Im vorliegenden Fall scheint das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen zu sein: „Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass sich die Versorgungslage mit Blick auf die konkreten Praxisstandorte anders darstellt, als das nach den allgemeinen Versorgungsgraden in den Bezirken anzunehmen ist“, schreibt das BSG. Hierzu werde der Berufungsausschuss „nähere Feststellungen zu treffen haben“.
NAV Virchowbund fordert Korrekturen an Bedarfsplanung
Kritik kommt unterdessen vom NAV Virchowbund. „Die KV geht mit einer immer härteren Gangart gegen die eigenen Kollegen vor“, beklagte der Vorsitzende der Landesgruppe Berlin/Brandenburg, Mathias Coordt. Aus seiner Sicht zeige das Urteil des BSG, dass die Stadtbezirke keine geeignete Abgrenzung für die Beurteilung der Versorgungslage sind.
„Die Versorgung in Neukölln und Tempelhof-Schöneberg, beide von der Größe einer mittleren Großstadt, mag sehr unterschiedlich sein, das spiegelt aber nicht die Lage in den einzelnen Stadtteilen wider, die ja direkt nebeneinander liegen können und verkehrstechnisch gut verbunden sind“, so Coordt. Er forderte die KV auf, eine Bedarfsplanung auf den Weg zu bringen, die die tatsächliche Versorgungssituation, den Versorgungsbedarf, die tatsächliche Inanspruchnahme und die zukünftige soziodemografische Entwicklung der Berliner Bevölkerung abbildet.
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