Ärzteschaft

Vertragsärzte: Bei Lockerung regionale Aspekte berücksichtigen

  • Mittwoch, 13. Mai 2020
Viele Menschen flanieren bei Regenwetter auf der Einkaufsmeile Zeil /picture alliance/dpa
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Berlin – Bei der Beurteilung, ob Lockerungen von Coronaauflagen angesichts steigender Infektionszahlen wieder zurückgenommen werden müssen, plädiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dafür, lokale und regionale Faktoren stärker zu berücksichtigen.

„Wir müssen uns von starren Zahlen lösen“, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen heute bei einer Onlinepressekonferenz in Berlin. Er bezog sich dabei auf den Wert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche, den Bund und Län­der am 6. Mai als Indikator dafür festgelegt hatten, beschlossene Lockerungen wieder zu­rückzunehmen.

Dieser Wert berücksichtige nicht die regionalen Gegebenheiten, kritisierte Gassen. In die Bewertung müsse zum Beispiel auch einfließen, ob es vor Ort ausreichend Intensivkapa­zi­täten gebe oder ob ein neuer Coronaausbruch auf bestimmte Einrichtungen wie Schlacht­höfe begrenzt sei.

Der KBV-Vorsitzende erwähnte in diesem Zusammenhang das vom Berliner Senat be­schlossene Am­pel­system. Das Warnsystem, das Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gestern vorgestellt hatte, berücksichtigt neben der Zahl der Neuinfektionen auch die Re­produk­tionsrate und die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten.

Für die drei Krite­rien gelten jeweils Grenzwerte. So könne man sowohl die Übertragungs­dynamik als auch die Belastung des Gesundheitssystems im Blick behalten, hatte der Se­nat mitgeteilt.

Zeit des Lockdowns ist vorbei

Aktuell sind der KBV zufolge gut 173.000 Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus diag­nostiziert worden. Von den Infizierten seien 147.000 genesen und 7.700 gestorben. Noch erkrankt seien 18.233 Menschen, berichtete Gassen. Man verzeichne zurzeit einen stabi­len Rückgang der Neuinfektionen.

Deshalb sei es Zeit, Einschränkungen der Freiheitsrechte zurückzunehmen und in der medizinischen Versorgung den Regelbetrieb wiederaufzunehmen. Auch Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen insbesondere bei Kindern müssten wieder wahrgenommen und die Wartelisten für elektive Operationen abgearbeitet werden. „Die Zeit des Lockdowns ist vorbei“, sagte Gassen.

Dennoch dürfe man COVID-19 nicht verharmlosen. Insbesondere Risikogruppen wie älte­re und multimorbide Menschen müssten weiterhin angemessen geschützt werden. „Denn das Virus bleibt“, so der KBV-Chef. Deshalb sei es wichtig, dass auch weiterhin Abstands- und Hygieneregeln befolgt würden.

Gassens Vorstandskollege Stephan Hofmeister betonte erneut die Schlüsselrolle der nie­dergelassenen Ärzte im Kampf gegen die Coronapandemie. Nach wie vor würden sechs von sieben Coronapatienten in den Praxen niedergelassener Ärzte versorgt. „Der Schutz­wall für die Krankenhäuser hat gehalten“, sagte Hofmeister. Für mehr als 55 Prozent der Menschen sei der Hausarzt bei Coronaverdacht der erste Ansprechpartner. Das habe eine Umfrage im Auftrag der KBV Anfang Mai ergeben.

Patienten zufrieden mit der Arbeit der Ärzte

Dabei hätten sich die Befragten überwiegend zufrieden mit der Arbeit der niedergelasse­nen Ärzte in der Coronakrise gezeigt (50,2 Prozent). Allerdings hätten 35 Prozent der Be­fragten erklärt, sie könnten dies nicht beurteilen. Diese Bürger seien vermutlich gar nicht beim Arzt gewesen seien, sagte der KBV-Vize.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie mit steigenden Arbeitslosen­zah­len und Unternehmensinsolvenzen werden sich nach Ansicht der KBV in höheren Beiträ­gen der Krankenkassen niederschlagen.

Wichtig sei hier, dass die Finanzierung versiche­rungsfremder Leistungen den Kranken­kassen nicht auch noch aufgebürdet werde, erklär­te der KBV-Vorsitzende Gassen. Darun­ter falle beispielsweise die nicht anlassbezogene Testung auf das SARS-CoV-2-Virus im Rahmen der Pandemiebekämpfung.

Auf die Honorare der Vertragsärzte und -psycho­therapeuten wird sich die angespannte Finanzlage der Kassen aber Gassen zufolge nicht auswirken. Die Kriterien für die Hono­rar­verhandlungen seien gesetzlich festgelegt. „Aber es dürfte deutlich schwieriger wer­den, über die Aufnahme neuer Leistungen in den EBM zu verhandeln“, vermutete er.

Die Coronapandemie habe aber auch gezeigt, dass man mit Spardiktaten im Gesundheits­wesen vorsichtig sein sollte, sagte Gassen. Dass das deutsche Gesundheitswesen im in­ternationalen Vergleich gut ausgestattet sei, habe hierzulande Schlimmeres verhütet.

Frühzeitige Tests ohne Kosten für die Versicherten, mehr als 500 Fieberpraxen und eine strikte Trennung von „normalen“ Patienten und Coronaverdachtsfällen hätten zum der­zeitigen Erfolg bei der Eindämmung der Pandemie beitragen. Inzwischen sei man dabei, auch das Problem mangelnder Schutzausrüstung in den Griff zu bekommen. Ob es eine zweite oder gar dritte Infektionswelle geben werde, sei ungewiss, sagte Gassen. Das KV-System sei aber gut aufgestellt.

HK

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