Politik

Coronakrise: Berlin beschließt strengeres Frühwarnsystem, andere Länder lockern

  • Dienstag, 12. Mai 2020
/Of The Village, stock.adobe.com
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Berlin – Einige Bundesländer haben heute weitere Lockerungen in der Coronakrise be­schlossen. Änderungen gibt es zum Beispiel in Hamburg, Berlin, Thüringen und Sachsen.

Das Land Berlin setzt abweichend von den Bund-Länder- Vereinbarungen in der Vorwo­che auf ein eigenes Warnsystem in der Coronapandemie. Dabei sollen die Reproduktions­rate, die Zahl der Neuinfektionen und die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten eine Rolle spielen, teilten Regierungschef Michael Müller und Gesundheits­se­na­torin Dilek Kalayci (beide SPD) mit.

Werden bei zwei der Indikatoren kritische Marken erreicht, wolle der Senat bestehende Lockerungen auf den Prüfstand stellen oder geplante weitere Lockerungen gegebenen­falls verschieben.

Bund und Länder hatten sich in der Vorwoche auf eine Obergrenze bei den Infektions­zahlen verständigt. Danach müssen Landkreise oder kreisfreien Städte ein konsequentes Beschränkungskonzept umsetzen, wenn mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Ein­woh­ner innerhalb von sieben Tagen gezählt werden. Aus Sicht des Berliner Senats ist das in einer Großstadt keine praktikable Lösung, wie Müller deutlich machte.

Ampelsystem in Berlin

Berlin führt nun ein Ampelsystem ein, bei dem die Zahl der Neuinfektionen einer von drei Indikatoren ist. Wird die Marke von 20 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen erreicht, wird nach diesem System die Ampel von Grün auf Gelb gehen.
Bei 30 Neuinfektionen leuchtet sie rot, wie Senatorin Kalayci erläuterte. Höhere Werte seien in der Metropole nicht zu verantworten.

Kalayci versuchte, das anhand von Zahlen für ganz Berlin deutlich zu machen. Zuletzt habe die Zahl der Neuinfektionen in sieben Tagen bei 286 gelegen. Bei der Obergrenze von 30 je 100.000 Einwohner wären es über diesen Zeitraum stadtweit 1.131.

Dasselbe System greift bei der Reproduktionsrate: Liegt diese an mindestens drei Tagen hintereinander bei 1,1, steckt also ein Infizierter im Durchschnitt 1,1 andere Menschen mit dem Coronavirus an, leuchtet die Ampel gelb. Bei einer Rate von 1,3 leuchtet sie rot. „Wir haben zurzeit eine R-Zahl von 0,79 in Berlin und im Bund von 1,13“, sagte Kalayci. „Aber das kann sich mit den Lockerungen ändern. Das ist jetzt die spannende Frage.“

Bei den Intensivbetten kommt die Ampel ebenfalls zum Tragen. Sind 15 Prozent aller Intensivbetten mit COVID-19-Patienten belegt, springt sie von Grün auf Gelb, bei 25 Pro­zent auf Rot. Zum Vergleich: Zuletzt waren Kalayci zufolge über Wochen 11 oder 12 Pro­zent der Betten auf Berliner Intensivstationen mit Coronapatienten belegt, aktuell seien es 9 Prozent.

Sollte die Ampel bei zwei der drei Indikatoren auf gelb stehen, will der Senat die Proble­matik erörtern, sagte Müller. Bei zweimal rot bestehe dann dringender Handlungsbedarf. „Dann haben wir richtiges Problem“, so der Regierende Bürgermeister. Dann sei zu bera­ten, ob Lockerungen zurückgenommen werden müssen oder geplante Lockerungen zeit­lich gestreckt werden müssten.

„Aber wir reagieren schon bei gelb“, fügte Müller hinzu. „Es wäre ja Wahnsinn, wenn eine Regierung oder ein Senat sagt, wir gucken mal, wie gelb sich entwickelt, wird schon gut gehen.“ Das Ampelsysteme sei erst einmal eine gute Grundlage für die nächste Zeit, könne sich aber auch ändern, wenn es erforderlich sei.

Keine Entwarnung

Angesichts zunehmender Sorglosigkeit bei manchen Menschen im Hinblick auf Sicher­heits­abstand und Hygieneregeln mahnte Müller: „Es gibt keinen Grund für Entwarnung.“ Es bleibe in den nächsten Wochen ein vorsichtiges Vorantasten an eine neue Normalität. „Manche glauben, alles, was wir in den vergangenen Wochen vereinbart haben, gilt nicht mehr“, sagte Müller. Aber das sei falsch.

„Es geht darum, dass wir das, was wir erreicht haben, nicht aufs Spiel setzen wollen“, so Müller. Daran müssten alle weiteren Lockerungen gemessen werden. „Das Thema Ge­sund­heitsschutz wird für den Berliner Senat das oberste Gebot bleiben. Es geht nicht um irgendwelche Spielchen.“

Es sei auch nicht automatisch so, dass Anfang Juni alles, was bis dahin noch geschlossen sei, aufgemacht werde, betonte Müller. „Wir werden diskutieren, wie es mit Kinos und Fit­nessstudios weitergeht. Wir müssen uns herantasten an weitere Lockerungen. Aber sie sind keine Selbstverständlichkeit.“

Spekulationen, wonach Kinos bald wieder öffnen könnten, erteilte Müller eine Absage. „Es ist eine bewusste Entscheidung gewesen zu sagen, da sind ein paar Bereiche, die sind sensibler, und die nehmen wir uns vielleicht für die nächsten Phasen vor“, erläuterte er. Das Thema Kino liege ihm durchaus am Herzen. „Deshalb war es mir auch wichtig, dass die Kinos aufgenommen werden in dieses Kulturunterstützungsprogramm, das wir formuliert haben für die etwas größeren Kulturbetriebe.“

Pflegeheimbesuche in Hamburg erlaubt

Ab dem 18. Mai dürfen Menschen in Hambur­ger Pflegeheimen unter strengen Auflagen wieder von Angehörigen besucht werden. Da­bei sei allerdings „äußerste Vorsicht gebo­ten“, wie Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) betonte. Die Besuchserlaub­nis gelte für eine definierte Person und begrenze sich auf einen Besuch von maximal einer Stunde pro Woche.

Wie Cornelia Prüfer-Storcks mitteilte, dürfen sich ab Mittwoch auch wieder Mitglieder zweier unter­schiedlicher Haushalte treffen, ohne dabei einen Mindestabstand von 1,50 Meter einhal­ten zu müssen. Bislang war dies nur mit Menschen aus dem eigenen Haus­halt oder alleine mit einer Person aus einem anderen Haushalt möglich.

Restaurants sollen ab Mittwoch wieder öffnen dürfen. Allerdings müsse zwischen den Gästen der 1,50-Mindestabstand zwingend eingehalten werden, sagte Prüfer-Storcks. Ausgenommen sind aber weiterhin Clubs und Diskotheken. Von Mittwoch an dürfen in Hamburg auch Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern wieder öffnen. Allerdings dürfe pro 10 Quadratmeter Verkaufsfläche höchstens ein Kunde eingelassen werden.

Außerdem seien alle Sportarten im Freien mit Abstand wieder möglich. Das bedeute auch, dass alle Außensportanlagen wieder öffnen dürfen, sagte Innen- und Sportsenator Andy Grote in Hamburg.

Versammlungen In Thüringen ohne Teilnehmerbegrenzung

In Thüringen sollen ab Mittwoch Demonstrationen wieder ohne Beschränkungen der Teil­nehmerzahl möglich sein. Das sieht eine Verordnung vor, auf die sich das Kabinett geei­nigt hat, wie das Landesgesundheitsministerium in Erfurt erklärte.

Bislang sind wegen der Coronapandemie Versammlungen unter freiem Himmel nur mit maximal 50 Teilnehmern erlaubt. In geschlossenen Räumen ist die Zahl auf 30 begrenzt. Weiterhin sollen aber strenge Infektionsschutzregeln gelten. Die Verordnung soll am Mittwoch in Kraft treten.

In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Demonstrationen gegen die Maßnah­men der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus gegeben, bei denen deutlich mehr Menschen als erlaubt beteiligt waren. Für Schlagzeilen hatte dabei Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich gesorgt, der an einer solchen Demonstration in Gera teilnahm und seitdem in der Kritik steht.

Mit der neuen Verordnung lockert die Landesregierung zahlreiche Verbote und Beschrän­kun­gen der vergangenen Wochen. Sie sieht unter anderem vor, dass ab Freitag Restau­rants und Kneipen wieder öffnen dürfen. Zudem sollen die Kommunen selbst entschei­den, ob sie ab 18. Mai die Notbetreuung in den Kindergärten beenden und wieder zu einem eingeschränkten Regelbetrieb übergehen. Bis spätestens 15. Juni aber sollen alle Thüringer Kindergärten einen solchen Regelbetrieb starten.

„Ich wünsche mir nichts so sehr, als dass ich alle Schulen und Kindergärten in Thüringen öffnen könnte“, sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Zuständig seien bei den Kindergärten aber die Kommunen. Holter gab auch bekannt, dass man von den bisher vorgesehenen Einschränkungen bei der Gruppengröße in Kitas und in Schulen ab­rücke.

„Es geht jetzt nicht mehr darum, wie viele Kinder in einer Lerngruppe sind“, sagte Holter. In größeren Klassenräumen könnten sich mehr als die bisher vorgesehenen zehn Kinder und Jugendlichen aufhalten. Auch in Kindergärten soll sich die Gruppengröße unter an­de­rem an den räumlichen Bedingungen ausrichten.

In Landkreisen, wo bestimmte Infektionszahlen überschritten werden, können möglicher­weise wieder strengere Regeln eingeführt werden. Auch sollen weiterhin Kontaktbe­schränkungen gelten. Konnten die Mitglieder eines Haushaltes sich bislang nur mit einer weiteren Person treffen, sollen künftig Treffen von allen Mitgliedern zweier Haushalte möglich sein.

Sachsen zieht Lockerungen vor

Sachsen will die meisten der bereits angekündigten Lockerungen schon auf Freitag vor­ziehen. Das kündigte die Regierung nach einer Kabinettssitzung an. Nach der neuen Schutzverordnung sollen dann etwa Theater, Kinos und Freibäder wieder öffnen.

Ursprünglich war das für kommenden Montag vorgesehen. In Ausnahmefällen dürfen auch Angehörige in Alten- und Pflegeheime besucht werden. Voraussetzung sind Hygiene­konzepte. Kitas und Schulen öffnen aber erst ab Montag. Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sprach von einem „historischen Tag“.

Es gehe um die bundesweit größten Lockerungen. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) nannte die Lockerungen einen „mutigen Schritt“: „Aus Mut darf kein Leichtsinn werden“, appellierte er an die Vernunft.

dpa/afp

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