Vertragsärzte: Terminservice- und Versorgungsgesetz ist ein Angriff auf die Freiberuflichkeit

Berlin – Mit einer Resolution hat die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sich heute gegen große Teile des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) ausgesprochen, das am vergangenen Dienstag vom Kabinett gebilligt wurde. „Das TSVG ist geprägt von einem tiefen Misstrauen und einer Missachtung des freien Berufs. Es ist viel zu kleinteilig und nicht geeignet, die Versorgung zu verbessern“, heißt es in dem Text, den die 60 VV-Mitglieder einstimmig annahmen.
Das TSVG werde in seiner vorliegenden Form die Attraktivität einer Niederlassung in eigener Praxis weiter vermindern. Statt kleinteiliger Regelungen benötige die Selbstverwaltung mehr Gestaltungsfreiheit. Außerdem müssten die Patienten sinnvoller durch das Gesundheitssystem gesteuert werden. Dafür müsse die Rolle der Hausärzte gestärkt werden. Die Budgetierung und Regresse gehörten abgeschafft, heißt es dort.
„Die Basis fühlt sich missachtet und gegängelt“
Zu Beginn der Versammlung hatte bereits der Vorstandsvorsitzende der KBV, Andreas Gassen, die Detailbesessenheit kritisiert, mit der der Gesetzgeber versuche, in den Praxisalltag der Ärzte und Psychotherapeuten hineinzuregieren. Die geplante Erhöhung der Sprechzeiten von 20 auf 25 Wochenstunden und die Vorgabe von wöchentlich fünf offenen Sprechstunden für bestimmte Arztgruppen, die den Praxen bei einer Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 52 Stunden zusätzlich aufgebürdet würden, sorgten bei Ärzten und Psychotherapeuten für Frust und würden als Respektlosigkeit gegenüber ihrer Arbeit empfunden.
„Die Basis fühlt sich missachtet und gegängelt“, sagte Gassen. Er forderte die Bundesregierung und den Bundestag auf, sich endlich ernsthaft mit den Vorschlägen der KBV aus der Agenda 2020 zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zu beschäftigen und die Selbstverwaltung zu respektieren. Stattdessen setze die Politik zunehmend auf Regulierung und Kontrolle. „Aber staatlich gelenkte Versorgung hat noch nie funktioniert“, warnte Gassen.
Die wesentliche Stärke der Selbstverwaltung sei, dass die Beteiligten wüssten, wovon sie redeten. „Wir machen die Versorgung. Wir behandeln unsere Patienten. Wir kennen die regionalen Strukturen“, sagte der KBV-Vorsitzende. Würden die Forderungen der Ärzteschaft, die in erster Linie auf eine Entbudgetierung der Grund- und Versichertenpauschale zielten, nicht gehört, werde es zu einem Exit aus dem System kommen. Kollegen über 60 Jahre überlegten sich dann gut, ob sie unter solchen Bedingungen weiterarbeiten sollten. Der Nachwuchs zögere schon jetzt, ob er sich überhaupt in eigener Praxis niederlassen solle.
Mehr Geld für mehr Arbeit: „Das ist gut und richtig“
Zwar sei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der erste, der eindeutig formuliert habe, dass Mehrarbeit auch mit zusätzlichem extrabudgetärem Geld vergütet werde. „Das ist gut und richtig“, sagte Gassen und dafür danke er dem Minister. Er verstehe jedoch nicht, warum diese positiven Elemente mit einer Vielzahl von kleinteiligen und übergriffigen Regelungen verknüpft werde, so Gassen.
Er illustrierte dies mit einer Zahl: 1.626 Änderungen weise der Kabinettsentwurf des TSVG gegenüber dem Referentenentwurf auf. Noch habe das Bundesgesundheitsministerium genug Zeit, das Gesetz anzupassen, meinte Gassen. Der Versuch, Änderungen gegen den Willen der freiberuflichen Ärzte und Psychotherapeuten sowie deren Körperschaften zu erzwingen, werde scheitern, warnte der KBV-Chef.
Es werden Symptome, aber keine Ursachen bekämpft
„Mit diesem Gesetz wird Hand an die Arbeit als selbstständiger Arzt oder Psychotherapeut gelegt“, sagte auch Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. Mit dem TSVG würden wieder einmal Symptome bekämpft und nicht Ursachen. Hofmeisters Anamnese: Das Gesundheitswesen sei geprägt von einer steigenden Inanspruchnahme von medizinische Leistungen zu jeder Zeit, medizinisch-technischem Fortschritt, einer Zunahme chronischer Krankheiten, einer alternden Bevölkerung, einer geringeren Versorgungsdichte auf dem Land, begrenzten finanziellen Mitteln und drohendem Ärztemangel.
Während vor diesem Hintergrund die Politik versuche, das vermeintliche Problem der Zwei-Klassen-Medizin zu lösen und jedermann eine möglichst umgehende Behandlung beim Arzt zu verschaffen, gehe es der Ärzteschaft darum, mit den vorhandenen Kräften die wirklich Kranken zu behandeln. „Dieses Problem wäre zu lösen durch eine sinnvolle Steuerung der Patienten“, sagte Hofmeister. Diese dringend notwendige, aber möglicherweise bei der Bevölkerung unpopuläre Maßnahme, die international weit verbreitet sei, werde aber gar nicht erst erprobt. „Stattdessen geht man auf die los, die die Versorgung noch aufrechterhalten“, kritisierte Hofmeister.
Abwehrschlacht gegen Regulierungswut
In ihrer „Abwehrschlacht gegen die Regulierungswut“ (Hofmeister) ist die KBV allerdings zurzeit nur mäßig erfolgreich. Zwar sei man im Dialog mit dem Ministerium, man dringe mit Argumenten aber kaum durch, sagte der KBV-Vorsitzende Gassen später vor Journalisten. Der Minister sei von seinen Detaillösungen überzeugt. Dort betonte auch die VV-Vorsitzende Petra Reis-Berkowicz, das TSVG in seiner jetzigen Ausprägung sei eine Zumutung und ein massiver Eingriff in die Praxisabläufe. „Es ist von Misstrauen gegenüber Ärzten und Psychotherapeuten geprägt“, kritisierte die Hausärztin. „Es wird unterstellt, wir wären faul. Ich fühle mich ungerecht behandelt.“ Sie forderte die Politik auf, den Ärzten mehr Gestaltungsfreiheit einzuräumen. „Wir kümmern uns jeden Tag um unsere Patienten“, sagte Reis-Berkowicz.
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