Politik

Wegweisendes Urteil zur Ausgabe von Suizidmitteln erwartet

  • Montag, 6. November 2023
/Felipe Caparrós, stock.adobe.com
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Leipzig – Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wil morgen sein mit Spannung erwartetes Urteil zum Zugang schwerstkranker Menschen zu einem Selbsttötungsmittel verkünden.

Die Kläger verlangen vom Staat die Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital. Sie berufen sich auf ihr verfassungsrechtlich zugesichertes Persönlichkeitsrecht, das auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschließe.

Politik und Justiz hatten zuvor sehr unterschiedlich auf die Frage des Zugangs zu Selbsttötungsmitteln rea­giert. Bereits 2017 hatte dasselbe Bundesverwaltungsgericht das Recht von schwerstkranken Patienten auf einen selbstbestimmten Tod gestärkt. Der Staat dürfe in „extremen Ausnahmefällen“ den Zugang zu einem solchen Betäubungsmittel nicht verwehren.

Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn lehnte jedoch bislang alle Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels ab. Der Staat dürfe nicht über die Vergabe von Tötungsmitteln entscheiden, hieß es.

Eingegangen sind bislang 244 Anträge. 166 wurden abgelehnt, acht zurückgezogen und 34 Verfahren sind noch offen. 36 Verfahren wurden nach Bekanntwerden des Todes der Antragstellerin oder des Antragstellers eingestellt.

Die gegen die Ablehnung erhobenen Klagen wiesen das Verwaltungsgericht Köln im Dezember 2020 und das Oberverwaltungsgericht Münster im Februar 2022 ab. Das Oberverwaltungsgericht Münster erklärte zur Be­gründung, das Betäubungsmittelgesetz erlaube nur die Herausgabe von Medikamenten, die eine heilende oder lindernde Wirkung hätten. Ein todbringendes Mittel widerspreche dem Zweck des Gesetzes.

Durch dieses Verbot werde auch das „legitime öffentliche Interesse der Suizidprävention“ geschützt und der staatlichen Schutzpflicht für das Leben entsprochen.

Zugleich betonten die Münsteraner Richter, dass Suizidwillige auch jetzt schon die Möglichkeit hätten, ihr Recht auf Selbsttötung wahrzunehmen. Es gebe Ärzte, die tödlich wirkende Arzneimittel verschrieben und andere Unterstützungshandlungen vornähmen. Auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe seien wieder verfügbar.

Die Kölner Richter hatten das Begehren der Kläger ebenfalls abgelehnt, allerdings deutliche Zweifel daran geäußert, ob ein generelles Erwerbsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Auch sei eine Inanspruchnah­me von Sterbehilfeorganisationen „nach wie vor problematisch“, da es an einer staatlichen Überwachung fehle und die Tätigkeit intransparent erfolge. Das sei aber zumutbar, bis der Gesetzgeber ein Schutzkonzept für Sterbehilfe und die Verwendung von Betäubungsmitteln vorlege.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbst­tötung gekippt und ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert. Zugleich be­tonte Karlsruhe, die Politik solle den genauen Rahmen festlegen und Konzepte gegen einen möglichen Missbrauch erarbeiten. Bislang hat der Bundestag noch kein Gesetz zur Suizidbeihilfe verabschiedet.

Wichtige Daten zum Streit um Suizidbeihilfe

  • 1954 und 1959: Der Bundesgerichtshof bewertet in mehreren Urteilen den Versuch der Selbsttötung als einen Unglücksfall, in dem jedermann, also auch ein Arzt, zu Hilfe verpflichtet sei.

  • 1984: Der Bundesgerichtshof urteilt, dass auch bloßes Geschehenlassen einer Selbsttötung eines Pa­tienten durch den behandelnden Arzt als Tötung durch Unterlassen bewertet werden muss. Der Arzt sei aufgrund der Übernahme der Behandlung verpflichtet, das Leben des Sterbewilligen zu retten. Zugleich räumt das Gericht dem behandelnden Arzt jedoch ein Ermessen ein, ob der Wille des Patienten beach­tet werden könne.

  • 1987: Das Oberlandesgericht München spricht den Arzt Julius Hackethal frei, der einer schwer leiden­den Patientin Gift zur eigenhändigen Tötung überließ. Der Patient könne den Arzt jederzeit aus der be­sonderen Rechtsbeziehung zu ihm entlassen mit der Folge, dass seine Garantenstellung entfalle.

  • 1987: Der Bundesgerichtshof signalisiert, er neige dazu, einem ernsthaften, freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsentschluss „eine stärkere rechtliche Bedeutung“ beizumessen, als dies in früheren Urteilen geschehen sei.

  • 2004: In ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung lehnt die Bundesärztekammer (BÄK) eine Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung generell ab, da sie dem ärztlichen Ethos widerspreche. Da­rüber hinaus verbietet auch die Berufsordnung den Ärzten, das Leben Sterbender durch Beihilfe zum Suizid zu verkürzen.

  • 2006: Der Deutsche Juristentag fordert die Ärzteschaft auf, die ausnahmslose Missbilligung des ärztlich assistierten Suizids zu überdenken. Die Mitwirkung des Arztes am Suizid sollte in bestimmten Fällen toleriert werden.

  • November 2015: Der Bundestag verbietet mit breiter Mehrheit die organisierte, auf Wiederholung an­ge­legte Beihilfe zum Suizid. Er stellt die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Nahe­stehende Personen sind aber von der Strafandrohung ausgenommen.

  • März 2017: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, dass der Staat in „extremen Ausnahmefällen“ sterbenskranken Patienten den Zugang zu einem Betäubungsmittel gewähren muss, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

  • Juni 2017: Der Staat sollte nach Auffassung des Deutschen Ethikrats nicht verpflichtet werden, Men­schen beim Suizid zu helfen.

  • Juni 2018: Das Bundesgesundheitsministerium fordert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi­zinprodukte (BfArM) in Bonn auf, der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu folgen. Der Staat dürfe keine Tötungsmittel ausgeben und nicht über Tod und Leben entscheiden.

  • Juli 2019: Ärzte dürfen nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs Suizidwillige, die selbstständig und mit klarem Verstand ihr Lebensende herbei führen wollen, sterben lassen.

  • Februar 2020: Das Bundesverfassungsgericht kippt das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbst­tötung. Die Richter geben zudem dem Recht auf Suizid einen hohen Stellenwert: Selbsttötung sei Ausdruck von Selbstbestimmung. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, auch die Hilfe Dritter in An­spruch zu nehmen.

  • Dezember 2020: Schwerkranke Menschen haben nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln keinen Anspruch auf den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung. Die Richter äußerten jedoch Zweifel, ob ein generelles Erwerbsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Auch sei eine Inanspruchnahme von Sterbehilfeorganisationen „nach wie vor problematisch“, da es an einer staatlichen Überwachung fehle und die Tätigkeit intransparent erfolge. Das sei aber zumutbar, bis der Gesetzgeber ein Schutzkonzept für Sterbehilfe und die Verwendung von Betäubungsmitteln vorlege.

  • Februar 2021: Das Bundesverfassungsgericht weist den Wunsch eines Ehepaares ab, das den Zugang zu tödlich wirkenden Arzneimitteln vom Staat einklagen will. Dem Ehepaar sei zuzumuten, eigene Wege zu suchen, betonen die Richter unter Verweis auf ihr eigenes Urteil vom Februar 2020. Wer sich ein selbst­bestimmtes Lebensende wünsche, habe nun „wesentlich bessere“ Möglichkeiten, diesen Wunsch umzu­setzen.

  • Mai 2021: Der Deutsche Ärztetag streicht das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aus der Berufsord­nung. Zugleich betont das Ärzteparlament, dass es weiterhin „nicht zum Aufgabenspektrum der Ärzte­schaft zählt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten“.

  • Februar 2022: Das Oberverwaltungsgericht Münster entscheidet, dass schwerstkranke Patienten mit Sterbewunsch gegenüber dem Staat kein Anrecht auf ein todbringendes Medikament haben.

kna

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