Weltgesundheitsorganisation empfiehlt zweiten Malariaimpfstoff für Kinder

Genf/Oxford – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen zweiten Impfstoff gegen Malaria für Kinder in betroffenen Regionen empfohlen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass der neue R21/Matrix-M-Impfstoff in betroffenen Gebieten Malariafälle mit Symptomen innerhalb von einem Jahr um 75 Prozent reduzieren könne, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf.
„Der R21/Matrix-M-Malariaimpfstoff ist der Höhepunkt von 30 Jahren Malariaimpfstoffforschung am Jenner-Institut der Universität Oxford“, hieß es aus der Hochschule. Die WHO-Empfehlung stütze sich auf präklinische und klinische Studiendaten, die in vier Ländern an Orten mit saisonaler und ganzjähriger Malariaübertragung eine gute Sicherheit und hohe Wirksamkeit gezeigt hätten.
Die WHO-Empfehlung ist Voraussetzung dafür, dass das Kinderhilfswerk Unicef den Impfstoff beschaffen und die Impfallianz GAVI ihn kaufen kann. Vor zwei Jahren hatte die WHO eine Empfehlung für den ersten Malariaimpfstoff namens „RTS,S“ für Kinder in betroffenen Gebieten abgegeben. Eine Dosis des neuen Impfstoffes kostet laut Ghebreyesus zwischen zwei und vier Dollar. Nötig seien zunächst drei Dosen. Eine vierte Dosis ein Jahr später erhalte den Impfschutz aufrecht.
An der durch Mücken übertragenen Krankheit sterben jährlich in afrikanischen Ländern knapp eine halbe Million Kinder. Mindestens 28 Länder planen die Einführung von „R21/Matrix-M“ durch nationale Impfpläne. Ghana hatte den an der Universität Oxford und dem Serum Institute of India entwickelten Impfstoff als erstes Land bereits im Frühjahr zugelassen. Mittlerweile besteht auch in Nigeria und Burkina Faso eine Zulassung.
Nach Angaben des britischen Senders BBC ist der Hersteller Serum Institute of India bereit, mehr als 100 Millionen Dosen pro Jahr herzustellen. Laut der Universität Oxford will der Hersteller diese Kapazität in den kommenden zwei Jahren verdoppeln.
„Der Impfstoff ist leicht einsetzbar, kosteneffizient und erschwinglich. Er kann in den Gebieten verteilt werden, in denen er am dringendsten benötigt wird, und hat das Potenzial, jährlich Hunderttausende von Leben zu retten“, sagte Adrian Hill, Direktor des Jenner Institute.
Der Impfstoff hat vor kurzem den primären Ein-Jahres-Endpunkt in einer groß angelegten klinischen Phase-III-Studie (SSRN 2023; DOI: 10.2139/ssrn.4584076) erreicht, die als Preprint verfügbar ist. Die meisten der jährlich 630.000 Malaria-Todesfälle treten bei Kleinkindern auf. Oft ist es die erste Infektion, die auch deshalb tödlich verläuft, weil die Kinder noch keine Immunität gegen die jährlich auftretenden Infektionen mit Plasmodium falciparum erworben haben. Später verlaufen die Erkrankungen dann in der Regel weniger schwer.
Eine Impfung könnte die Kleinkinder mit der Grundimmunisierung ausstatten, mit der sie die erste Infektion mit Plasmodium falciparum schadlos überstehen. Die Entwicklung eines Malaria-Impfstoffs hat sich jedoch wegen der komplexen Struktur des Parasiten und seiner variablen Oberfläche als schwierig erwiesen.
Der erste Impfstoff RTS,S/AS01 (Mosquirix) von GlaxoSmithKline war in den klinischen Studien ein wenig hinter den Erwartungen geblieben, wurde aber trotzdem von der WHO empfohlen. Er wurde bisher bei 1,8 Millionen Kindern in Ghana, Malawi und Kenia eingesetzt. Neun weitere Länder sollen in diesem Jahr folgen, soweit dies die begrenzten Produktionskapazitäten zulassen.
Der neue Impfstoff R21, der am Jenner Institute an der Universität Oxford entwickelt wurde, soll einfacher in der Herstellung sein und könnte nach Angabe des Serum Institute of India, dem weltweit größten Impfstoffhersteller, innerhalb kürzerer Zeit in größeren Mengen hergestellt werden. Die Kosten sollen unter 5 US-Dollar liegen gegenüber etwa 9,50 US-Dollar für Mosquirix.
An der Phase-3-Studie nahmen an fünf Standorten in Mali, Burkina Faso, Kenia und Tansania 4.800 Kinder im Alter zwischen 5 und 36 Monaten teil: Zwei Standorte befanden sich in Regionen, in denen die Malaria nur saisonal während der Regenzeit auftritt. In den übrigen drei Standorten im Regenwald kommt es ganzjährig zu Erkrankungen.
Die Kinder wurden im Verhältnis 2:1 auf eine 5-µg-Dosis R21 zusammen mit 50 µg des Adjuvans Matrix-M oder auf einen Kontrollimpfstoff (Tollwutimpfstoff) randomisiert. In beiden Gruppen erhielten die Kinder, soweit sie alt genug waren, eine jährliche Chemoprävention gegen die Malaria.
Wie das Team um Adrian Hill vom Jenner Institute berichtet, kam es in den folgenden 12 Monaten in der R21/Matrix-M-Gruppe bei 464 von 3.102 Kindern (15 %) zu einer Malaria-Episode gegenüber 627 Episoden bei 1.541 Kindern (41 %) in der Kontrollgruppe. Die Forscher ermittelten eine Impfstoffwirksamkeit von 73 % mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 70 % bis 76 %. Sie war an Standorten mit hoher saisonaler Malariaübertragung mit 75 % etwas höher als in den Orten mit ganzjährigen Infektionen (68 %).
Erfreulicherweise war die Schutzwirkung in der Altersgruppe von 5 bis 17 Monaten, der primären Zielgruppe der Impfung, mit 78 % am besten, aber auch Kinder im Alter von 18 bis 36 Monaten wurden mit einer Impfstoffwirksamkeit von 70 % gut geschützt.
Ähnlich wie bei RTS,S/AS01 ist die Immunität zeitlich begrenzt: Die Impfstoffwirksamkeit nahm im ersten Jahr von 80 % in den ersten drei Monaten auf 67 % in den letzten drei Monaten an den saisonalen Standorten und von 79 % auf 63 % im gleichen Zeitraum an den Standorden mit ganzjährigem Infektionsrisiko ab. Ein Booster stellte die Impfstoffwirksamkeit an den saisonalen Standorten mit 74 % nach 18 Monaten wieder her.
Der Impfstoff hat sich als verträglich und sicher erwiesen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen am Injektionsort mit 18,6 %, die häufigste systemische Nebenwirkung war Fieber mit 46,7 %. Beide Nebenwirkungen traten in ähnlicher Häufigkeit auch in der Kontrollgruppe auf. Insgesamt fünf Kinder in der R21/Matrix-M-Gruppe und ein Kind in der Kontrollgruppe erlitten innerhalb von zwei Tagen nach der Impfung Fieberkrämpfe, die die Forscher auf die Impfung zurückführten.
Die Zahlen zur Impfstoffwirkung von R21/Matrix-M sind damit besser als bei RTS,S/AS01, das in der Altersgruppe von 5 bis 17 Monaten eine Schutzwirkung von 56 % erreichte. Sie fiel danach trotz Booster auf 44 % und nach 48 Monaten auf 36 % ab. Direkte Vergleichsdaten gibt es allerdings nicht, und es ist möglich, dass die Ausgangslage an den Studienorten, wo R21/Matrix-M getestet wurde, günstiger waren.
Beide Impfstoffe enthalten bestimmte Abschnitte („NANP-Repeats“) des Circumsporozoit-Proteins (CSP). Es befindet sich auf der Oberfläche der Parasiten, wenn diese als Sporozoiten von den Mücken in die Blutbahn gelangen. Die von der Impfung erzeugten Antikörper müssen den Parasiten auf seinem Weg zur Leber abfangen. Die späteren Stadien (Merozoiten der Leber und Gametozyten der Erythrozyten) werden von den Antikörpern nicht erkannt.
Die „NANP-Repeats“ sind in den beiden Impfstoffen an Hepatitis-B-Oberflächenantigene (HBsAg) geknüpft, die kleine Nanopartikel bilden. In RTS,S sind laut Hill nur 20 % der HBsAg-Moleküle mit „NANP-Repeats“ bestückt. In R21 sollen es bis zu 100 % sein. Der zweite Unterschied besteht im Adjuvans. GlaxoSmithKline benutzt für RTS,S das hauseigene AS01, der neue Impfstoff ist mit dem Matrix-M-Adjuvans von Novavax versetzt.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: