Medizin

Wie Laufen das Gedächtnis (von Mäusen) verbessert

  • Freitag, 24. Juni 2016
Uploaded: 24.06.2016 18:46:01 by mis
dpa

Baltimore – Mehrere Tage Training im Laufrad verbessert bei Mäusen das räumliche Gedächtnis. Eine Studie führt den Effekt in Cell Metabolism (2016; doi: 10.1016/j.cmet.2016.05.025) auf ein von Muskelzellen freigesetztes Molekül, Cathepsin B, zurück, das im Gehirn die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus fördert. Auch beim Menschen erhöhte ein Ausdauertraining die Cathepsin B-Konzentration im Blut, was mit besseren Leistungen in einem Gedächtnistest verbunden war.

Zu einem gesunden Körper gehört bekanntlich ein gesunder Geist. Sport, davon sind Hirnforscher überzeugt, kann selbst bei alten Menschen die Gedächtnisleistung verbessern. Die Ergebnisse randomisierter klinischer Studien seien hier zwar nicht unbedingt konsistent, wie Emrah Düzel, Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung am Univeritätsklinikum Magdeburg in Brain (2016; doi: 10.1093/brain/awv407) schreibt.

Der Hirnforscher ist jedoch überzeugt, dass sportliche Aktivität in der Lage ist, die Neuroplastizität im Hippocampus, einer wichtigen Schaltstelle des Gedächtnisses, zu verbessern. Beim Menschen ist dies nur schwer nachweisbar, da es kein bildgebendes Verfahren gibt, das die Neubildung von Hirnzellen anzeigt. Ein Anstieg der lokalen Hirndurchblutung im Hippocampus in der Kernspintomographie konnte jedoch in Studien nachgewiesen werden.

Eine neue Studie, die Düzel zusammen mit einem Team um Henriette van Praag von US-National Institute on Aging in Baltimore durchgeführt hat, könnte jetzt erstmals den Wirkungsmechanismus klären. Im ersten Schritt haben die Forscher nach Substanzen gesucht, die nach einer sportlichen Anstrengung vermehrt von Muskelzellen freigesetzt werden. Diese Experimente wurden an Muskelzellen durchgeführt, die mit dem Dopingmittel AICAR versetzt wurden. Die Proteom-Analyse führte dann zur Entdeckung von Cathepsin B, ein wenig erforschtes Protein, das in den Lysosomen vorkommt.

Weitere Experimente zeigten, dass auch die Muskelzellen lebender Mäuse vermehrt Cathepsin B freisetzen, wenn die Tiere zuvor mehrere Tage im Laufrad trainiert haben. Im Gehirn steigerte Cathepsin B die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus. Diese Neurogenese ist Grundlage des Gedächtnisses. Auch ältere Menschen sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand in der Lage, neue Nervenzellen im Hippocampus zu bilden.

Sport steigerte bei den Mäusen auch die Leistung im Morris-Wasserlabyrinth, bei dem die Tiere eine unter der Wasseroberfläche befindliche, nicht sichtbare Plattform finden müssen. Trainierten Mäusen gelingt dies besser als untrainierten Mäusen. Bei sogenannten „Knock out“-Mäusen, denen das Gen für Cathepsin B fehlt, konnte das Training dagegen die Leistung im Morris-Test nicht verbessern.

Die Forscher führten ähnliche Experimente mit Rhesus-Affen und schließlich auch mit menschlichen Probanden durch. Die menschlichen Probanden mussten in einem Test komplexe Figuren, die ihnen zuvor gezeigt wurden, aus dem Gedächtnis nachzeichnen. Dies gelang ihnen besser, wenn sie zuvor am Ergometer trainiert hatten. Das Training hatte bei den menschlichen Probanden auch die Konzentration von Cathepsin B im Blut erhöht. Es ist bekannt, dass Cathepsin B die Blut-Hirn-Schranke überwindet.

Es ist deshalb denkbar, dass Cathepsin B als „Myokin“ oder Muskelhormon im Hippocampus die Bildung neuer Nervenzellen fördert und damit die Gedächtnisleistung steigert. Falls dies zuträfe, dann könnten Injektionen mit Cathepsin B trägen Menschen möglicherweise das Training ersparen und sich vielleicht sogar als Mittel zur Steigerung des Gedächtnisses („Hirndoping“) eignen. Die Hirnforscher würden derzeit davon abraten. Cathepsin B hat laut van Praag durchaus „kontroverse“ Eigenschaften.

So wird es beispielsweise von Tumoren freigesetzt und es wird mit dem Zelltod und Amyloidplaque-Ablagerungen im Gehirn in Verbindung gebracht. Andere Studien hätten dagegen gezeigt, dass Cathepsin B neuroprotektive Eigenschaften hat und Amyloid-Plaques auflösen kann. In diesem Fall könnte es sich sogar zur Behandlung des Morbus Alzheimer eignen. Van Praag vermutet, dass es von der Dosis abhängen könnte, ob Cathepsin B einen Nutzen hat oder dem Gehirn schadet. Auf jeden Fall dürften vor ersten klinischen Versuchen noch einige tierexperimentelle Studien notwendig sein.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung