„Wir brauchen Beinfreiheit für flexible Lösungen“

Berlin – Handlungsfreiheit für flexible Problemlösungen gegen Mangelsituationen in den deutschen Versorgungsregionen und gemeinsame Anstrengungen aller Leistungsträger in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern sind laut Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) das jetzt umzusetzende Rezept zur Bewältigung künftiger Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung. Der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen und seine Vorstandskollegen Stephan Hofmeister und Thomas Kriedel erläutern im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) ihre Vorstellungen für ein sachgerechtes Modell Gesundheitswesen.

„Medizin ist ein tolles Berufsfeld, auch in der Niederlassung“: Für den KBV-Vorsitzenden Andreas Gassen behält dieses Statement auch künftig Gültigkeit. Es sei allerdings „falsch zu meinen, dass man Irgendjemanden irgendwohin schicken kann“, kritisiert Gassen mit Blick auf die jüngst getroffenen Maßnahmen zur Beseitigung des Landarztmangels. Die jetzt heranwachsende Ärztegeneration werde das nicht mit sich machen lassen. Die KBV selbst setze in der Niederlassungsfrage eher auf Maßnahmen wie die „Incentivierung“ durch sachgerechte Aufklärung.
Die positiven Rückkopplungen auf die aktuelle Kampagne der KBV für die Niederlassung zeigen, so ist auch der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister überzeugt, dass die Lösung von Problemen in der ländlichen Versorgung eher eine „Frage des Labelings“, der zielgerechten Kommunikation mit dem ärztlichen Nachwuchs sei: „Wir haben da eine Ärztegeneration vor uns, die anders arbeitet.“ Es sei nicht richtig, „dass sich keiner mehr niederlassen will.“ Aktuelle Studien böten da ein sehr differenziertes Bild. „Teilungsmodelle“, die es überall als Möglichkeit gebe, seien „durchaus beliebt und attraktiv“.

Auch diesen Medizinern schaffe die Niederlassung „ungeheure Freiheiten in der Lebensgestaltung“, so Hofmeister. Planwirtschaftlich gesetzte Landarztquoten seien da eher hinderlich und despektierlich, sie stigmatisierten die Kollegen und Kolleginnen, die aufs Land wollten. Letztlich sei es aber nicht allein Aufgabe der KVen und der KBV, junge Ärzte zu überzeugen: „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung“. Erfolgversprechender sei es jetzt, mit den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung vor Ort gemeinsam „die Ärzte zu suchen, die auch wirklich aufs Land wollen“.
Wichtig sei auf jeden Fall, so Vorstandsmitglied Thomas Kriedel, Vorurteile abzubauen und durch sachliche und frühzeitige Angebote die Grundlage für vernünftige Entscheidungen zu ermöglichen. Letztlich seien auch die verschiedentlich immer wieder aufflammenden Konflikte ärztlicher Gruppierungen untereinander ein Ausdruck dafür, dass es Ziel sein muss, „die Niederlassung attraktiver“ darzustellen. Kriedel ist überzeugt, dass die regional durchaus vorhandenen Modelle geeignet seien, angepasst und flexibel zu reagieren. Hier habe sich gegenüber den früher bundesweit gültigen Normen schon einiges getan.
Hinderlich für die Niederlassung sei allerdings, so Hofmeister, das systemische Umfeld, dem Ärzte heute ausgesetzt seien. Bis Mediziner komplett aus- und weitergebildet seien, vergingen eineinhalb Jahrzehnte. Nötig sei es, die hochspezialisierte Weiterbildung von Fachärzten für die Niederlassung „breiter aufzustellen“ und auf den künftigen Praxisbedarf auszurichten.

Zu hinterfragen sei diesbezüglich auch die Finanzierung der Weiterbildung durch das Prinzip einer Stiftung. Hofmeister: „Ich halte eine Stiftung nicht für die Lösung.“ Der Stiftungsgedanke beinhalte auch die Vorstellungen von „Almosen“ oder „last-ressort-Ansatz“ und werde der dahinterstehenden Idee einer gleichberechtigten Weiterbildung nicht gerecht. „Die Weiterbildung ist Grundlage für das Funktionieren des Gesundheitswesens und daher auch als solche zu implementieren und zu fördern.“
Systemisch sei Deutschlands Gesundheitsversorgung, so die KBV-Vorstandsmitglieder in ihrem Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, eigentlich auf künftige Herausforderungen in strukturschwächeren Gebieten vorbereitet: Das gegenwärtige System sei relativ flexibel. Und der Gesetzgeber habe Räume geschaffen, die eine ortsgerechte Versorgung ermöglichten. Der KBV-Vorsitzende Gassen: „Wir werden, selbst wenn es sich regional nur um wenige Personen handelt, die Menschen versorgen können.“ Unabdingbare Voraussetzung dafür sei allerdings, dass man der Selbstverwaltung dazu „die nötige Beinfreiheit“ belasse.
Das ausführliche Gespräch mit Aussagen zu weiteren Themen wie Notfallversorgung, Aus- und Weiterbildung und die bisherige Arbeit der neuen KBV-Spitze ist Teil der DÄ-Ausgabe 18/2017.
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