Ärzteschaft

Zahl der Verordnung von Reserveantibiotika laut AOK-Institut deutlich zu hoch

  • Donnerstag, 17. September 2020
/Geza Farkas, stock.adobe.com
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Berlin – Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) kritisiert, dass Ärzte weiterhin zu viele Reserveantibiotika verordneten. „Die Verordnungen von Antibiotika der Reserve sind in den letzten Jahren zwar leicht rückläufig, aber ihr Anteil lag auch 2019 wieder besorgnis­erregend hoch“, sagte Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Im Jahr 2019 entfielen laut einer neuen WIdO-Analyse insgesamt 34 Millionen Verord­nungen im Wert von 766 Millionen Euro auf Antibiotika. Das entspricht etwa jeder zwanzig­sten ambulanten Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf die Reserve­antibiotika entfielen 53 Prozent dieser Verordnungen.

Nach einer Berechnung des WIdO auf Basis der Alters- und Geschlechtsprofile der AOK-versicherten Patienten wurden im vergangenen Jahr 12,1 Millionen GKV-Versicherte mindestens einmal mit einem Reserveantibiotikum therapiert – also jeder sechste GKV-Versicherte (16,4 Prozent).

„Je sorgloser sie verordnet werden, desto resistenter werden Bakterien gegen Antibiotika. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionskrankheiten werden durch ihren starken Einsatz sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung zunehmend stumpfer“, warnte Schröder.

Zwar hätten die Ärzte seit 2012 weniger Reserveantibiotika verordnet – damals lag der Anteil bei 66 Prozent – er liege aber immer noch so hoch wie zur Jahrtausendwende. Das kritische Hinterfragen jeder Antibiotikaverordnung und ein rationaler, leitlinienkonformer Einsatz von Reserveantibiotika seien weiter angezeigt, so Schröder.

Das Institut weist aber daraufhin, dass Reserveantibiotika in der Humanmedizin nur „die Spitze des Eisbergs“ seien. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärke das Resistenzproblem, denn die Wirkstoffe gelangten in die Nahrungskette der Konsumenten.

„Während im Jahr 2019 rund 339 Tonnen Antibiotika der Versorgung von Patienten in Deutschland dienten, waren es in der heimischen Tierhaltung (Fleisch- und Milchproduktion sowie Fischzucht) rund 670 Tonnen.

Neben einer behutsameren Verordnung in der Human- und Tiermedizin ist es laut dem WIdO auch nötig, Wirkstoffe mit neuen Wirkprinzipien zu entwickeln. Aber dafür scheine der ökonomische Anreiz zu fehlen: Unter den 316 neuen Wirkstoffen, die die pharmazeutische Industrie in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland auf den Markt gebracht habe, seien nur acht neue antibiotische Wirkstoffe gewesen – im Jahr 2018 und 2019 seien es gar keine gewesen.

„Im Bereich der Antibiotikaforschung wird in der Wissenschaft über eine grundsätzlich öffentliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung diskutiert: Die pharmazeutische Industrie könnte dann im Rahmen von Lizensierungsmodellen die Produktion und den Vertrieb übernehmen“, sagte Schröder.

hil

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