Ärzteschaft

Zi: Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen wird ansteigen

  • Donnerstag, 9. Februar 2023
/rh2010, stock.adobe.com
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Berlin – Die vertragsärztliche und psychotherapeutische Versorgung dürfte in den nächsten Jahren eine stei­gende Nachfrage verzeichnen. Dies geht aus ersten Zwischenergebnissen einer Bedarfsprojektion bis 2030 hervor, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gestern vorgestellt hat.

„Unsere Studie zeigt die Entwicklung der zu erwartenden Fallzahlen in der vertragsärztlichen und psycho­the­rapeutischen Versorgung aufgrund der Bevölkerungsprognose und der bisherigen Leistungsinanspruchnahme zwischen 2011 und 2019“, erläuterte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried.

Insgesamt sei danach auch in den kommenden fünf bis zehn Jahren mit einer moderaten Zunahme der Fall­zahlen in diesen Versorgungsbereichen zu rechnen. Konstant bis leicht ansteigend bleibe die Beanspruchung der hausärztlichen Versorgung.

Einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen erwarte man bei bestimmten Facharztgruppen, die hauptsächlich an der Behandlung älterer Menschen beteiligt sind – dies betreffe insbesondere fachärztliche Internisten. Hier spiegelten sich Verlagerungen aus der stationären Krankenhausbehandlung, mehr Spezialisierung aber auch mehr fachärztliche Mitbehandlung und fachübergreifende Kooperation wider, die zu steigenden Patienten- und Fallzahlen führen.

Verdichtung in urbanen Räume

Zudem ermögliche der medizinische Fortschritt immer mehr ambulante Behandlungen, dies erfordere ein Umdenken. „Bisher betrachten wir die Ballungsräume als ärztlich überversorgt. Tatsache ist, dass wir dort eine besondere Zunahme des Versorgungsbedarfs erwarten müssen“, so von Stillfried.

Einem prognostizierten Bevölkerungsrückgang in ländlichen Regionen stehe eine zunehmende Verdichtung urbaner Räume gegenüber. Somit werde die Beanspruchung der ärztlichen Versorgung in den Städten noch stärker zunehmen als in dünner besiedelten Räumen, denn die insgesamt zunehmende Alterung der Bevölke­rung in Deutschland trage dazu bei, dass spezifische Fachgruppen – wie Innere Medizin, Urologie und Augen­heilkunde – in den kommenden Jahren immer stärker nachgefragt werden.

Laut Zi-Berechnungen könnte beispielsweise die Nachfrage bei Fachinternisten und Urologen bis 2030 bun­desweit um bis zu acht Prozent ansteigen. In der Augenheilkunde und bei Hals-Nasen-Ohren-Ärzten könnte sich dieser Beanspruchungsindex um bis zu fünf Prozent erhöhen.

Deutlicher Anstieg des Versorgungsbedarfes bei der Psychotherapie erwartet

Noch deutlicher fällt die Zi-Projektion des Versorgungsbedarfs für den Bereich der Psychotherapie aus: Hier ergibt sich auf Basis der Bevölkerungsprognose und unter Berücksichtigung der Inanspruchnahmeent­wick­lung der vergangenen Jahre ein projizierter Nachfrageanstieg von 23 Prozent bis 2030.

„Geht man rein nach der Bevölkerungsprognose würden wir dort Fallzahlrückgänge erwarten, weil die Psy­cho­therapie bisher vor allem von Personengruppen in Anspruch genommen wird, deren Anteil an der Bevöl­ke­rung künftig zurückgeht. Die Inanspruchnahme bei diesen Alterskohorten hat sich aber verändert“, so der Zi-Chef.

Die Fallzahlen seien massiv angestiegen, weil die Zahl der behandelten Patienten seit 2011 jedes Jahr deut­lich zugenommen hat: 2011 haben knapp 2,5 Prozent aller gesetzlich Versicherten eine psychotherapeutische Leistung in Anspruch genommen, 2019 waren es schon fast 3,5 Prozent und 2021 bereits über 3,7 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat zudem die Zahl der GKV-Versicherten um 3,7 Millionen Menschen zugenommen.

Schon jetzt bestünden in Thüringen Herausforderungen, da der substanzielle Mangel an geeigneten Fachkräf­ten längst in der ambulanten medizinischen Versorgung angekommen sei, betonte Annette Rommel, 1. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen.

Die ­Bedarfsprojektion des Zi zeige die zu erwartende Entwicklung deutlich auf: Mehr Versorgungsbedarf der älter werdenden Bevölkerung und weniger verfügbare Arztzeit. Neben mehr Studienplätzen für Humanmedi­zin müssten auch neue Versorgungsstrukturen – etwa multiprofessionelle Teampraxen – geschaffen werden.

Konzept für eine multiprofessionelle Versorgung notwendig

Auch Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, erneuerte die Forderung nach Aufsto­ckung der Studienplatzkapazitäten in der Medizin. Das bleibe „natürlich“ notwendig, werde aber die Probleme kurz- und mittelfristig nicht lösen. Deshalb werde ein klares Konzept für eine multiprofessionelle Versorgung der Patienten benötigt.

Verfügbare Personalkapazitäten könnten am effizientesten genutzt werden, wenn die Zusammenarbeit inner­halb der Versorgungseinrichtungen erfolge, anstatt neue Schnittstellen zwischen Zuständigkeiten zu schaffen. Künftig müsste dabei auch das Delegationsprinzip so erweitert werden, dass Delegation im Rahmen teleme­dizinischer Zusammenarbeit erfolgen könne – wobei die Letztverantwortung in ärztlicher Hand bleiben müsse.

„Was wir hingegen nicht brauchen, sind weitere vertikale Versorgungsformate, wie den Gesundheitskiosk. Hier drohen vielmehr Synergieverluste und Schnittstellendefizite“, warnte Herrmann. Um zu vermeiden, dass die Politik auf immer neue Insellösungen fokussiert, sollte aus den Reihen der Ärzteschaft ein schlüssiges Kon­zept zum Umgang mit den Herausforderungen vorgelegt werden.

aha

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