Ethikrat votiert für Impfpflicht für Ärzte, aber gegen allgemeine Impfpflicht

Berlin – Eine allgemeine staatliche Impfpflicht zur Bekämpfung der Masern hält der Deutsche Ethikrat für „nicht gerechtfertigt“. Stattdessen empfiehlt das interdisziplinär besetzte Gremium ein ganzes Maßnahmenbündel zur Erhöhung der Masernimpfquote, darunter eine Impfpflicht für Ärzte und andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen sowie im Bildungsbereich.
Mit Ausnahme eines Ratsmitglieds, das sich in einem Sondervotum gegen jede Form einer staatlichen Impfpflicht ausspricht, hält es der Rat für gerechtfertigt und geboten, Mitglieder der genannten Berufsgruppen mit einem Tätigkeitsverbot zu belegen, wenn sie ihrer Impfpflicht nicht nachkommen.
In seinem heute in Berlin vorgestellten Papier „Impfen als Pflicht?“ betont der Ethikrat gleichzeitig, dass es keine reine Privatangelegenheit ist, ob man sich gegen eine hochansteckende Infektionskrankheit wie die Masern impfen lässt. Es bestehe für alle eine moralische Pflicht zur Masernimpfung. Eine gesetzliche Impfpflicht, wie sie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorsieht, resultiert daraus für den Rat aber nicht. Grund seien die insgesamt hohen Impfquoten bei Kindern.
Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, betonte heute in Berlin, dass es zwar richtig sei, dass die Politik verstärkt Initiativen zur Steigerung der Impfquoten angehe. „Wegen der Möglichkeit, Vertrauen dabei zu riskieren, muss sie energisch in der Sache, aber behutsam bei der Wahl der Verfahren vorgehen“, warnte er. „Das gut gemeinte Ziel mit der Brechstange verwirklichen zu wollen, wird nicht erfolgreich sein.“ Stattdessen bestehe die Gefahr, dass die gegenwärtig recht hohen Impfquoten in Deutschland gefährdet würden.
Gute Quote bei Kindern
Der Humangenetiker Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, wies auf den derzeitigen medizinischen Sachstand hin: Zum Schulbeginn seien nach aktuellen Daten 97,1 Prozent der Kinder einmal, und 92,8 Prozent in der empfohlenen Weise zweimal gegen Masern geimpft. Unter den 30- bis 39-jährigen Erwachsenen hingegen wären nur 46,7 Prozent überhaupt geimpft.
„Die Impflücken sind, anders als weithin wahrgenommen, bei Erwachsenen viel größer als bei Kindern“, betonte der Arzt. Zudem seien unter denjenigen Erwachsenen, die selbst oder deren Kinder nicht geimpft sind, die meisten lediglich nachlässig oder skeptisch und für Aufklärung zugänglich. Nur eine kleine Gruppe von etwa zwei Prozent seien fundamentale Impfgegner.
Zur Bekämpfung der Masern empfiehlt der Rat deshalb statt einer allgemeinen Impfpflicht eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die eine bessere Erfassung nicht geimpfter Kinder, eine intensivierte Beratung der Eltern und Impfaktionen in den Einrichtungen selbst ermöglicht.
Der Ausschluss ungeimpfter Kinder aus Kitas sollte nur in individuell begründeten Ausnahmefällen möglich sein. Auch den vergüteten Einsatz von Impf-Erinnerungssystemen in Arztpraxen hält der Rat für sinnvoll. Zusätzlich sollte nach Ansicht des Gremiums die verhältnismäßig große Gruppe der ungeimpften Erwachsenen verstärkt in den Blick genommen werden.
Leopoldina schließt sich Ethikrat an
Zeitgleich haben heute die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademie der Wissenschaften in Hamburg das Diskussionspapier „Gemeinsam Schutz aufbauen“ veröffentlicht. Die Autoren warnen darin ebenfalls davor, Maßnahmen zu ergreifen, die das Vertrauen in Schutzimpfungen und deren Inanspruchnahme beschädigen. In ihrem Paper analysieren sie die Gründe für fehlenden Impfschutz und empfehlen Maßnahmen, die unabhängig von der derzeit diskutierten Impfpflicht umgesetzt werden sollten.
Anlass für die heute präsentierte Stellungnahme des Ethikrates ist der Plan von Bundesgesundheitsminister Spahn, ab März kommenden Jahres eine gesetzliche Pflicht zur Masernimpfung einzuführen. Der entsprechende Gesetzentwurf sieht unter anderem Bußgelder von bis zu 2.500 Euro gegen Eltern vor, die ihre Schulkinder nicht gegen Masern impfen lassen.
Spahn teilt die Ansicht des Ethikrats, dass jeder zur Masernimpfung moralisch verpflichtet sei. „Allerdings halte ich es für notwendig, diese Pflicht verbindlicher zu gestalten", erklärte er und bekräftigte damit seine Pläne für eine gesetzliche Impfpflicht. „Wir können Masern ausrotten. Dafür brauchen wir die Impfpflicht“, so Spahn.
Der 121. Deutsche Ärztetag in Münster hatte Ärzte, Pflegende und in der Erziehung in Gemeinschaftseinrichtungen Tätige in Deutschland zuletzt in einem Beschluss (Ib-16) aufgerufen, ihren Impfstatus zu überprüfen. Das Ärzteparlament vertrete die Auffassung, dass ein vollständiger Impfstatus Teil und Voraussetzung einer professionellen Berufsauffassung sei, hieß es. Dies müsse durch entsprechende gesetzliche Regelungen sichergestellt werden.
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