Politik

Ethikrat votiert für Impfpflicht für Ärzte, aber gegen allgemeine Impfpflicht

  • Donnerstag, 27. Juni 2019
Deutschlandweit haben sich die Zahlen von 924 Masern-Fällen im Jahr 2017 beinahe halbiert. /picture alliance
/dpa

Berlin – Eine allgemeine staatliche Impfpflicht zur Bekämpfung der Masern hält der Deutsche Ethikrat für „nicht gerechtfertigt“. Stattdessen empfiehlt das interdisziplinär besetzte Gremium ein ganzes Maßnahmenbündel zur Erhöhung der Masernimpf­quo­te, darunter eine Impfpflicht für Ärzte und andere Berufsgruppen im Gesundheits­we­sen sowie im Bildungsbereich.

Mit Ausnahme eines Ratsmitglieds, das sich in einem Sondervotum gegen jede Form einer staatlichen Impfpflicht ausspricht, hält es der Rat für gerechtfertigt und geboten, Mitglieder der genannten Berufsgruppen mit einem Tätigkeitsverbot zu belegen, wenn sie ihrer Impfpflicht nicht nachkommen.

In seinem heute in Berlin vorgestellten Papier „Impfen als Pflicht?“ betont der Ethikrat gleichzeitig, dass es keine reine Privatangelegenheit ist, ob man sich gegen eine hochan­steckende Infektionskrankheit wie die Masern impfen lässt. Es bestehe für alle eine moralische Pflicht zur Masernimpfung. Eine gesetzliche Impfpflicht, wie sie Bundesge­sundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorsieht, resultiert daraus für den Rat aber nicht. Grund seien die insgesamt hohen Impfquoten bei Kindern.

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, betonte heute in Berlin, dass es zwar richtig sei, dass die Politik verstärkt Initiativen zur Steigerung der Impfquoten angehe. „Wegen der Möglichkeit, Vertrauen dabei zu riskieren, muss sie energisch in der Sache, aber behutsam bei der Wahl der Verfahren vorgehen“, warnte er. „Das gut gemeinte Ziel mit der Brechstange verwirklichen zu wollen, wird nicht erfolgreich sein.“ Stattdessen bestehe die Gefahr, dass die gegenwärtig recht hohen Impfquoten in Deutschland gefährdet würden.

Gute Quote bei Kindern

Der Humangenetiker Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, wies auf den derzeitigen medizinischen Sachstand hin: Zum Schulbeginn seien nach aktuellen Daten 97,1 Prozent der Kinder einmal, und 92,8 Prozent in der empfohlenen Weise zweimal gegen Masern geimpft. Unter den 30- bis 39-jährigen Erwachsenen hingegen wären nur 46,7 Prozent überhaupt geimpft.

„Die Impflücken sind, anders als weithin wahrgenommen, bei Erwachsenen viel größer als bei Kindern“, betonte der Arzt. Zudem seien unter denjenigen Erwachsenen, die selbst oder deren Kinder nicht geimpft sind, die meisten lediglich nachlässig oder skep­tisch und für Aufklärung zugänglich. Nur eine kleine Gruppe von etwa zwei Pro­zent seien fundamentale Impfgegner.

Zur Bekämpfung der Masern empfiehlt der Rat deshalb statt einer allgemeinen Impf­pflicht eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die eine bessere Erfassung nicht geimpfter Kinder, eine intensivierte Beratung der Eltern und Impfaktionen in den Ein­richtungen selbst ermöglicht.

Der Ausschluss ungeimpfter Kinder aus Kitas sollte nur in individuell begründeten Aus­­nahmefällen möglich sein. Auch den vergüteten Einsatz von Impf-Erinnerungssys­te­men in Arztpraxen hält der Rat für sinnvoll. Zusätzlich sollte nach Ansicht des Gre­mi­ums die verhältnismäßig große Gruppe der ungeimpften Erwachsenen verstärkt in den Blick genommen werden.

Leopoldina schließt sich Ethikrat an

Zeitgleich haben heute die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademie der Wissenschaften in Hamburg das Diskussionspapier „Gemeinsam Schutz aufbauen“ veröffentlicht. Die Autoren warnen darin ebenfalls davor, Maßnah­men zu ergreifen, die das Vertrauen in Schutzimpfungen und deren Inanspruchnahme beschädigen. In ihrem Paper analysieren sie die Gründe für fehlenden Impfschutz und empfehlen Maßnahmen, die unabhängig von der derzeit diskutierten Impfpflicht umge­setzt werden sollten.

Anlass für die heute präsentierte Stellungnahme des Ethikrates ist der Plan von Bun­des­gesundheitsminister Spahn, ab März kommenden Jahres eine gesetzliche Pflicht zur Masernimpfung einzuführen. Der entsprechende Gesetzentwurf sieht unter ande­rem Bußgelder von bis zu 2.500 Euro gegen Eltern vor, die ihre Schulkinder nicht ge­gen Masern impfen lassen.

Spahn teilt die Ansicht des Ethikrats, dass jeder zur Masernimpfung moralisch ver­pflich­tet sei. „Allerdings halte ich es für notwendig, diese Pflicht verbindlicher zu ge­stalten", erklärte er und bekräftigte damit seine Pläne für eine gesetzliche Impfpflicht. „Wir können Masern ausrotten. Dafür brauchen wir die Impfpflicht“, so Spahn.

Der 121. Deutsche Ärztetag in Münster hatte Ärzte, Pflegende und in der Erziehung in Gemeinschaftseinrichtungen Tätige in Deutschland zuletzt in einem Beschluss (Ib-16) aufgerufen, ihren Impfstatus zu überprüfen. Das Ärzteparlament vertrete die Auffass­ung, dass ein vollständiger Impfstatus Teil und Voraussetzung einer professionellen Berufsauffassung sei, hieß es. Dies müsse durch entsprechende gesetzliche Regelun­gen sichergestellt werden.

ER

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