Vergütungssystematik im hausärztlichen Bereich soll umgebaut werden

Berlin – Die Systematik der Vergütung hausärztlicher Leistungen soll massiv umgebaut werden: Dies kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute an. Neben der bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zugesagten Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich sollen laut den heute vorgestellten Plänen auch eine hausärztliche Vorhaltepauschale sowie eine jahresbezogene Versorgungspauschale für chronisch erkrankte Patienten eingeführt werden.
Diese drei Punkte sollen mit dem bereits wiederholt angekündigten Versorgungsstärkungsgesetz I umgesetzt werden, sagte Lauterbach im Nachgang eines Treffens mit Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft sowie der Krankenkassen. Dieses Gesetz solle „noch im Januar“ vorgelegt werden. Somit werde man die Entbudgetierung „so schnell wie möglich“ umsetzen.
Lauterbach schätzte die Kosten für die Entbudgetierung, welche von den Krankenkassen getragen werden müssen, auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Er verwies darauf, dass die Details des dann notwendig werdenden Bereinigungsverfahrens Teil des noch vorzulegenden Gesetzen sein werden. Die finanziellen Auswirkungen der Vorhalte- beziehungsweise Versorgungspauschalen seien noch nicht abschätzbar.
Der Gesundheitsminister sprach generell von „mehr Kosten für die Kassen“, erwartet aber zugleich in der Langzeitperspektive ein effizienteres System und ein „intensivere Versorgung“. Zudem seien die Niedergelassenen nicht der Hauptkostentreiber – hier nannte Lauterbach den Arzneimittelbereich sowie die Krankenhäuser.
Pauschalen sollen für Verbesserungen sorgen
Zur geplanten jahresbezogene Versorgungspauschale heißt es im Maßnahmenpapier des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), diese solle je Versicherten jährlich einmal beim ersten Arzt-Patienten-Kontakt abrechenbar (unabhängig von der Anzahl weiterer Kontakte) sein.
Das erklärte Ziel ist eine deutliche Senkung vermeidbarer Praxisbesuche in den Hausarztpraxen und mehr Zeit für die medizinische Behandlung. Diese Pauschale soll, so Lauterbach, per „Einschreibesystem“ umgesetzt werden und dürfte somit die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) flankieren.
Die angekündigte Vorhaltepauschale soll für „Versorgerpraxen“ greifen, die maßgeblich die hausärztliche Versorgung aufrechthalten. Die Pauschale soll abrechenbar sein, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Im BMG-Papier wird beispielhaft auf Hausbesuche und eine Mindestanzahl an Versicherten in Behandlung verwiesen.
Ebenfalls Teil des Maßnahmenbündels sind diverse Entbürokratisierungsmaßnahmen, welche ebenfalls mit dem Versorgungsgesetz I beziehungsweise mit dem Versorgungsstärkungsgesetz II kommen sollen. Letztgenanntes Gesetz befindet sich laut Lauterbach „in der Einflugschneise“ und soll in etwa zwei Monaten vorliegen.
Bereits mit dem ersten Versorgungsgesetz soll eine Bagatellgrenze bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen von ärztlich verordneten Leistungen eingeführt werden, um so Regresse deutlich einzudämmen. Lauterbach nannte eine Größenordnung von 300 Euro als mögliche Grenze – damit entfielen geschätzt etwa 80 Prozent der derzeitigen Regressverfahren.
Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz II sollen dann unter anderem die Abschaffung des zweistufigen Antragsverfahrens in der Kurzzeittherapie (Psychotherapie) sowie Vereinfachungen bei den Vorgaben zur Einholung eines Konsiliarberichts bei ärztlich überwiesenen Patientinnen und Patienten erfolgen.
Zudem soll es Anpassungen bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen geben. Verwiesen wird im Papier auch auf mehrere Punkte zur Digitalisierung, welche allerdings größtenteils bereits im Digitalgesetz enthalten waren.
Lauterbach sagte zudem zu, sich nochmals „vorurteilsfrei“ mit einer Aktualisierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu befassen. Dies begrüßte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Auf Basis dieser Zusage werde man die Gespräche hierzu in den nächsten Monaten vertiefen.
Ausdrücklich positiv bewertete Reinhardt die Pläne zu Regressvermeidung, zur Entbürokratisierung sowie zur Umstellung der hausärztlichen Vergütung. Letzteres müsse perspektivisch auch auf die fachärztliche Versorgung ausgedehnt werden.
Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner, die für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am Treffen teilgenommen hatten, erklärten im Anschluss an das Gespräch, das Maßnahmenpapier sei „trotz erster Lichtblicke insgesamt enttäuschend“. Zu vieles sei unverbindlich und offen geblieben – etwa beim Thema Digitalisierung. Zudem müsse in einem nächsten Schritt rasch die Entbudgetierung der Fachärzte folgen.
Das Führungsduo des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Markus Beier und Nicola Buhlinger-Göpfarth, begrüßten die vorgestellten Pläne. Die Inhalte des Papiers nähmen richtigerweise den hausärztlichen Bereich in den politischen Fokus, müssten nun aber auch zeitnah umgesetzt werden.
Die hausärztliche Versorgung befinde sich „am Anschlag“, warnte Buhlinger-Göpfarth. Um die Versorgung zu sichern, seien bessere Rahmenbedingungen erforderlich. Beier betonte, die nun vorgelegten Eckpunkte des BMG seien die Konsequenz dessen – er sicherte volle Unterstützung zu.
Verhalten äußerte sich der GKV-Spitzenverband. Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, erklärte, man hoffe und erwarte, „dass Ärzteschaft und Politik mit dem heutigen Treffen wieder zum konstruktiven Dialog zurückgekehrt sind.“ „Es darf sich keinesfalls wiederholen, dass Ärzteverbände ihren Protest auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten austragen.“
Weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung für die Arztpraxen seien „gut und richtig“, so Stoff-Ahnis. Sie betonte zugleich, in Zeiten, „in denen alle Menschen unter höheren Energiepreisen und der Inflation leiden“, sei es nicht angemessen, dass die Honorare zu Lasten der Beitragszahlenden noch weiter steigen.
Die weiteren Reaktionen auf die Ankündigungen des Ministers fielen am Abend gemischt aus. „Wir haben im Koalitionsvertrag die Entbudgetierung bei der hausärztlichen Vergütung versprochen, die setzen wir um“, sagte die stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt. Sie betonte, dass mit den Eckpunkten auch die fachärztliche Versorgung gestärkt werde.
Eine gute, flächendeckende Patientenversorgung werde besser honoriert als bisher. Der Gesundheitsminister habe die entsprechenden Vorarbeiten geleistet, so dass man in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf beraten und möglichst bald im Parlament beschließen könne.
Vom Koalitionspartner FDP kommen Mahnungen. „Wir sehen in den Vorschlägen des BMG eine notwendige Grundlage für weitere Gespräche für dringende gesetzliche Umsetzungen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Andrew Ullmann.
Die FDP-Fraktion stehe zu dem Grundsatz, dass jede ärztliche Leistung auch bezahlt werden müsse. „Dabei werden wir vor allem darauf achten, dass keine Systemspaltung zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten stattfindet“, betonte Ullmann. Würden die hausärztliche und die fachärztliche Schiene unterschiedlich finanziert, dann sei das „sehr kritisch zu sehen“.
„Wenn wir die Ambulantisierung vorantreiben wollen, müssen hausärztliche Leistungen, egal von welchem Arzt oder Ärztin sie erbracht werden, bezahlt werden. Das wäre der erste Schritt. Unsere Forderung ist klar: Andere Arztgruppen müssen rasch folgen“, so Ullmann.
Scharfe Kritik vom Virchowbund
Der Virchowbund hatte zuvor die Spaltung der Ärzteschaft bemängelt. Der Versuch Lauterbachs, einseitig die hausärztliche Versorgung zu fördern und die Fachärzte weiterhin zu ignorieren, sei ein „Versuch die Ärzteschaft zu spalten und das Gesundheitssystem komplett umzubauen“, sagte der Virchowbund-Vorsitzende Dirk Heinrich nach dem Gespräch.
Heinrich nahm ebenfalls am Gipfeltreffen teil, trat aber anschließen nicht gemeinsam mit dem Minister vor die Presse. Der Virchowbund-Chef wies darauf hin, dass die ambulante Versorgung im Wesentlichen durch das Miteinander aus hausärztlicher und fachärztlicher Grundversorgung – beispielsweise durch Gynäkologen, Internisten, Augenärzte, oder HNO-Ärzte – besteht.
„Es liegt seit heute auf der Hand, dass der Minister die Fachärzte auf mittlere Sicht in den Krankenhäusern statt in deren Praxen sieht. Eine fachärztliche Grundversorgung wird es dann im bisherigen Umfang nicht mehr geben“, so Heinrich.
Damit werde Lauterbach zum „Vater der Wartelistenmedizin und des Endes der freien Arztwahl in Deutschland“. Und er werde damit auch zum Vater der Zwei-Klassen-Medizin, weil sich Patienten aus dieser Wartelistenmedizin herauskaufen würden.
„Mit dem heutigen Gesprächsergebnis sind wir jedenfalls völlig unzufrieden. Daher ist für uns klar, dass die Proteste weitergehen müssen, wenn nicht die gesamte ambulante Versorgung durch Haus- und Fachärzte in den Blick genommen wird“, so Heinrich.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: