Gesundheitsausschuss billigt Triagegesetz

Berlin – Der Bundestag will morgen das Triagegesetz beschließen. Damit soll die Frage beantwortet werden, wer in Krisenzeiten bei nicht mehr vorhandenen Ressourcen intensivmedizinisch behandelt werden soll. Der Gesundheitsausschuss machte den Weg für das Gesetz frei und beschloss heute noch drei Änderungsanträge. Die Papiere liegen dem Deutschen Ärzteblatt vor.
Die Änderungsanträge sehen vor, dass Krankenhäuser dazu verpflichtet werden sollen, eine Zuteilungsentscheidung unverzüglich der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde anzuzeigen. Zudem ist eine Evaluation der Neuregelung geplant.
Konkretisiert werden soll darüber hinaus, wann überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten in einem Krankenhaus als nicht ausreichend vorhanden gelten. Das soll dem Änderungsantrag zufolge dann vorliegen, wenn der „überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungsbedarf“ mit den vorhandenen „überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten“ nicht gedeckt werden kann.
Zudem darf gleichzeitig eine anderweitige intensivmedizinische Behandlung der betroffenen Patienten nicht möglich sein. Das gelte dann, wenn insbesondere eine Verlegung nicht in Betracht komme, weil gesundheitliche Gründe des Patienten dagegensprechen oder regionale und überregionale intensivmedizinische Behandlungskapazitäten „nach den dem Krankenhaus vorliegenden Erkenntnissen ausgeschöpft sind“.
Der Gesetzgeber stellt in der Begründung klar, dass vor einer Triage geprüft werden muss, ob eine anderweitige Behandlung, etwa eine Verlegung, wirklich unmöglich ist. Für diese Prüfung könnten die Krankenhäuser und die zuständigen Ärzte auf verschiedene, bereits genutzte Konzepte wie das Kleeblattkonzept zur Verlegung intensivpflichtiger Patienten und Informationsquellen zurückgreifen, heißt es in dem Antrag.
Mit dem Gesetz reagiert die Bundesregierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Das Gericht hatte dem Gesetzgeber aufgetragen, unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei sogenannten Triage-Entscheidungen zu treffen.
Der Gesetzentwurf, über den der Bundestag abstimmt, hat zwei Grundregeln: Gibt es mehr Patienten, als es Behandlungsplätze gibt, bekommt derjenige mit der höchsten aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit den Platz.
Weitere Erkrankungen dürfen nur berücksichtigt werden, soweit sie aufgrund ihrer Schwere die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern. Gebrechlichkeit, Alter, Behinderung, Lebenserwartung und die vermeintliche Lebensqualität dürfen nicht in die Entscheidung einfließen.
Und zweitens: Es soll verboten sein, jemanden von der Behandlung abzutrennen, wenn es neue Patienten mit besserer Prognose gibt – die sogenannte Ex-Post-Triage. Grundsätzlich soll bei Triage-Entscheidungen das „Mehraugenprinzip“ gelten. Sind Personen mit Behinderung von der Zuteilungsentscheidung betroffen, muss ein Entscheider mit Fachexpertise hinzugezogen werden.
Der Gesetzentwurf stieß im Vorfeld auf deutliche Kritik. Vertreter von Grünen und Union sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte forderten Änderungen. Der Gesetzentwurf biete Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen keinen wirklich wirksamen Schutz vor Diskriminierung, erklärte etwa der Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Instituts, Leander Palleit.
„Das im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Kriterium der Überlebenswahrscheinlichkeit birgt die Gefahr, dass in der Praxis ungewollt unbewusste Benachteiligungen in die Zuteilungsentscheidung einfließen“, erläuterte er.
Eine Zufallsentscheidung in der Triage wäre die bessere Möglichkeit, ohne Ansehen der Person zu entscheiden. Auch die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben erhebliche Zweifel, ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Triage behinderte Menschen ausreichend schützt.
Auf der anderen Seite kritisierten Bundesrat, Bundesärztekammer, Ärztekammern, Marburger Bund und auch Intensivmediziner das geplante Verbot der Ex-Post-Triage.
Zentrale ärztliche Aufgabe sei es, kontinuierlich den Zustand der behandelten Patienten zu evaluieren, die Dynamik der Krankheit im Blick zu haben und immer wieder zu prüfen, ob akut eine medizinische Indikation zur Weiterbehandlung vorliegt und ob diese Behandlung weiterhin dem Patientenwillen entspreche, betonte die BÄK. Die geplante Regelung mache Ärzte handlungsunfähig.
In einer Situation existenzieller Ressourcenknappheit könne es richtig sein, einen Patienten mit nur noch geringen kurzfristigen Überlebenschancen zugunsten eines anderen mit deutlich besseren kurzfristigen Überlebenschancen vom Beatmungsgerät zu trennen, betonte der Marburger Bund heute.
Das Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit müsse für alle Patienten gelten, die die knappe Behandlungsressource benötigten. „Der Ausschluss der sogenannten Ex-post-Triage verhindert die Umsetzung und verlagert das Dilemma von der Intensivstation auf die Präklinik und die Notaufnahme“, befürchtet der MB. Die Ärztegewerkschaft fordert die „Ex-post-Triage“ zuzulassen.
Georg Marckmann von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zeichnete bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss voraussichtliche Probleme bei der Einführung eines solchen Gesetzes ab.
Er halte zwar die Zuteilung aufgrund der Überlebenswahrscheinlichkeit für ein gutes Kriterium, allerdings sei die Anwendungsbedingung problematisch. „Der Ausschluss der Ex-Post Triage macht es eigentlich unmöglich dieses Kriterium wirklich verlässlich anzuwenden“, sagte der Ethiker und Mediziner.
„Das hat Konsequenzen insbesondere für vulnerable Patientengruppen, insofern muss man sagen, dass der aktuelle Gesetzentwurf eigentlich seinen Zweck nicht erfüllt, nämlich vulnerable Patientengruppen zu schützen“, so Marckmann.
Denn zum einen könne man vor Beginn der Intensivtherapie die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Person nur mit sehr großer Unsicherheit einschätzen. Und: Personen, die eine gleiche Erkrankung hätten, müssten auch erst einmal intensivmedizinisch behandelt werden, um verlässlicher einzuschätzen, wie hoch die Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Person sei.
Mit der Einführung des aktuellen Gesetzentwurfs ohne die Möglichkeit der Ex-Post-Triage werde man aber sogar mehr Todesfälle haben, prognostizierte Marckmann. Dann würden Menschen sehr lange Intensivbetten belegen und für alle nachfolgenden würde es schwierig sein, intensivmedizinische Behandlungen zu bekommen.
Dieses Vorgehen diskriminiere aber vor allem ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder mit Vorerkrankungen, die oft verstärkt auf die Intensivstationen angewiesen seien. „Eigentlich kehrt der Ausschluss der Ex-Post-Triage den Sinn des Gesetzes in das Gegenteil“, so Marckmann.
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