Höhere Preise und mehr Regeln sollen gegen Arzneimittelengpässe helfen

Berlin – Kinderarzneimittel und andere Generika sollen teurer werden. Der heute bekannt gewordene Referentenentwurf eines Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) sieht Anreize für Hersteller vor, die Preiserhöhungen um bis zu 50 Prozent beinhalten. Wie zuvor angekündigt, sollen Apotheken für die Rücksprache mit behandelnden Ärzten eine Pauschale von 50 Cent erhalten.
Der erste Entwurf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, weist nur geringfügige Änderungen gegenüber den Eckpunkten auf, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dezember des vergangenen Jahres vorgelegt hatte. Er greift damit auch nicht die Kritik auf, die an diesen geübt wurde.
Arzneimittel mit altersgerechten Darreichungsformen für Kinder sollen künftig nicht mehr in Festbetragsgruppen – also fixierten maximalen Erstattungsbeträgen – eingeordnet werden. Die Hersteller sollen den Abgabepreis dabei einmalig auf das Anderthalbfache des zuletzt geltenden Abgabepreises anheben. Gleiches soll gelten, wenn eine Festbetragsgruppe aufgehoben wird. Die Herstellerfirma soll dann den Abgabepreis um bis zu 50 Prozent über dem zuletzt geltenden Festbetrag anheben dürfen.
Mit der Regel für Kinderarzneimittel würde eine Ausnahme verstetigt, auf die sich der GKV-Spitzenverband und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Dezember geeinigt hatten. Das BMG rechnet dafür mit zusätzlichen Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Höhe von 160 Millionen Euro im Jahr.
Weiterhin sollen die Möglichkeiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verbessert werden, angehende Lieferengpässe zu erkennen und die Versorgungslage zu beurteilen. Dazu sollen im Arzneimittelgesetz (AMG) neue Informationspflichten festgeschrieben werden, die die Pharmaunternehmen und -großhändler gegenüber dem BfArM-Beirat für Lieferengpässe haben.
Außerdem soll ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen beim BfArM eingerichtet werden. Maßnahmen im Bereich des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sollen so auf die Erkenntnisse und Feststellungen des Beirates beziehungsweise des BfArM gestützt werden.
Eine weitere Sonderregelung soll es für anerkannte Reserveantibiotika mit neuen Wirkstoffen geben. Das BMG will den Herstellern ermöglichen, den von ihnen bei Markteinführung gewählten Abgabepreis auch über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus beizubehalten. Die Verhandlung mit dem GKV-Spitzenverband zur Höhe des Erstattungsbetrags entfällt, bei Mengenausweitungen zum Beispiel durch Indikationserweiterungen sind dann Preis-Mengen-Vereinbarungen vorgesehen.
Die Engpässe will das BMG aber nicht nur mit Geld, sondern auch neuen regulatorischen Vorgaben bekämpfen: So soll eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung für die Hersteller helfen, kurzfristige und kurzzeitige Störungen in der Lieferkette oder kurzzeitig gestiegene Mehrbedarfe zu kompensieren.
Ähnliches soll für Krankenhäuser gelten: Um dort einer Gefährdung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung bei vorübergehenden Lieferengpässen oder Mehrbedarfen entgegenzuwirken, sollen für Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken künftig erhöhte Bevorratungsregeln gelten.
Für Arzneimittel mit einer kritischen Versorgungslage sollen vereinfachte Austauschregelungen in der Apotheke greifen. Hinzukommt, dass der mit dem Management von Lieferengpässen verbundene Aufwand der Apotheken zusätzlich vergütet werden soll. Dazu sollen sie künftig einen Zuschlag von 50 Cent erhalten, wenn sie Rücksprache mit dem Arzt halten müssen.
Außerdem soll das Rabattvertragssystem zwischen Krankenkassen und Herstellern um neue Regeln erweitert werden, um eine Diversifizierung der Lieferketten zu erreichen. Dazu soll die vollständige oder teilweise Produktion von Wirkstoffen oder Medikamenten in Europa zu einem Rabattvertragskriterium werden.
„Bei der Vereinbarung von Rabattverträgen soll ein möglichst hoher Anteil der Wirkstoffproduktion in der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berücksichtigt werden“, heißt es dazu im Referentenentwurf.
Damit die neuen Vorgaben bei der Rabattvergabe überprüft werden können, sollen die Krankenkassen und ihre Verbände einen Auskunftsanspruch gegenüber dem BfArM und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erhalten.
Der Generikaindustrie, die hauptsächlich vom geplanten Gesetz betroffen ist, geht es nicht weit genug.
„Dieses Gesetz wird das Engpassproblem nicht lösen, denn es geht seine Ursachen nur bei Antibiotika und Krebsmitteln an. Diese aber machen zusammen gerade einmal 1,1 Prozent aller Arzneimittel aus“, erklärte Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Verbands Pro Generika. „Ich frage mich: Wie erklärt die Politik einer Diabetespatientin, dass ihre Versorgung weniger verlässlich sein muss als die eines Anderen?“
Bretthauer fordert deshalb, dass die Maßnahmen für alle Generika gelten sollen. „Sämtliche Rabattverträge für Generika müssen Kriterien enthalten, die Herstellern eine diversifiziertere Produktion gestatten.“ Außerdem müsse die Politik verhindern, dass weitere Unternehmen aus der Produktion aussteigen.
Ähnlich sieht es der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). „Punktuelle Korrekturen und zusätzliche Belastungen für die Hersteller sind keine Lösung für die großen Herausforderungen“, kritisiert Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz. Eine umfassende Überprüfung der Ausschreibepraxis bei Rabattverträgen fehle völlig – genauso wie der von der Industrie geforderte Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel.
Auch die Apotheker sind unzufrieden. „Wir fordern zum einen die erleichterten, bewährten Austauschregeln für Arzneimittel uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Zweitens verlangen wir einen finanziellen Engpassausgleich für unser Management der Lieferengpässe“, sagte Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Die Apotheker für die aufwändige Problemlösung mit 50 Cent abspeisen zu wollen, sei „eine Herabwürdigung der Leistungen“ der Apothekenteams. „Dagegen werden wir uns wehren.“
„Grundsätzlich erschließt sich nicht, wie insbesondere ökonomische Ansatzpunkte zur Lösung von Lieferengpässen beitragen sollen“, erklärte Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, heute. Denn die Erhöhung von Festbetragsgrenzen und Preisen werde die globalen Probleme mit Lieferengpässen nicht lösen.
Es sei zu befürchten, dass die Regelungen zur nationalen Preisfestsetzung von Reserveantibiotika nicht zur Entwicklung neuer Antibiotika beitragen. „Wie bereits seit vielen Jahren bekannt, ist dieses Forschungsfeld für viele pharmazeutische Unternehmer aus verschiedenen Gründen unattraktiv“, sagte sie.
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