Krankenhausärzte fühlen sich überlastet

Berlin – Die Ärzte an deutschen Krankenhäusern fühlen sich überlastet, viele von ihnen so sehr, dass ihre Gesundheit leidet. Das hat eine Befragung des Marburger Bundes (MB) ergeben. Die Ergebnisse des alle zwei Jahre erhobenen MB-Monitors stellte die Ärztegewerkschaft heute in Berlin vor.
Das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation hatte im Auftrag des MB im September und Oktober 2019 bundesweit 6.500 angestellte Ärzte online befragt. Erstmals konnten sich diese dort auch zum Thema Arbeit und Gesundheit äußern.
Dem MB-Monitor zufolge haben drei Viertel der Befragten (74 Prozent) das Gefühl, dass die Gestaltung der Arbeitszeiten sie in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, zum Beispiel in Form von Schlafstörungen oder häufiger Müdigkeit.
15 Prozent der Ärzte gaben an, dass sie durch ihre Arbeit schon einmal so stark psychisch belastet waren, dass sie ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen mussten, zum Beispiel wegen eines Burnouts.
49 Prozent der Befragten sagten, sie fühlten sich häufig überlastet. Und jeder Zehnte gab an, er gehe ständig über seine Grenzen hinaus. Drei Viertel gaben an, ihr Privatleben leide unter der hohen Arbeitsbelastung.
Arbeitsbedingungen müssen sich grundlegend verbessern
„Das ist ein schockierender Befund“, sagte die 1. Bundesvorsitzende des MB, Susanne Johna. Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern müssten sich grundlegend verbessern. Nur dann könnten Ärzte ihre Patienten so versorgen, wie es ihren Vorstellungen entspreche.
„Wer auf Dauer an seinen eigenen Ansprüchen scheitert und keine Zeit hat für Gespräche mit Patienten, für kollegialen Austausch und nach der Arbeit für Familie und Freunde, fängt irgendwann an, die eigene Tätigkeit infrage zu stellen“, meinte Johna. Weder der Politik noch den Krankenhäusern dürfe diese Entwicklung gleichgültig sein. Immerhin denke bereits jeder fünfte Klinikarzt über einen Berufswechsel nach.
Der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance zeigt sich nach Ansicht von Johna insbesondere daran, dass der Trend zur Teilzeitarbeit ungebrochen ist. Gaben im MB-Monitor 2013 noch 15 Prozent der Ärzte an, mit reduzierter Stundenzahl zu arbeiten, waren es 2019 bereits 26 Prozent.
Demnach war es das Ziel der meisten Befragten, sich einen freien Tag in der Woche zu schaffen. Diese „private Arbeitszeitreform“ sei ein klares Indiz dafür, dass die Krankenhäuser zu wenig in eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben investierten, sagte Johna.
Das zeige sich auch daran, wie die geleistete Arbeitszeit von der gewünschten abweiche. Vollzeittätige Ärzte arbeiteten im Durchschnitt 56,5 Stunden in der Woche, inklusive aller Dienste und Überstunden. Die meisten wünschten sich dagegen eine wöchentliche Arbeitszeit von nicht mehr als 48 Stunden, der gesetzlich verankerten Höchstarbeitszeit.
65 Millionen Überstunden im Jahr
37 Prozent der Ärzte leisteten eine bis vier Überstunden pro Woche, 38 Prozent leisteten fünf bis neun Überstunden, 21 Prozent zehn bis 19 Stunden und vier Prozent mehr als 20 Stunden pro Woche. Hochgerechnet auf die rund 186.000 Krankenhausärzte ergäben sich so rund 65 Millionen Überstunden pro Jahr.
„Das ist inakzeptabel“, betonte Johna. Dass 84 Prozent der Ärzte Überstunden am liebsten durch Freizeit ausgleichen würden, zeigt für die MB-Vorsitzende ebenfalls deutlich den Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben.
Zu viel Zeit verbringen Ärzte aus ihrer eigenen Sicht mit Verwaltungstätigkeiten. Der tägliche Zeitaufwand für Datenerfassung, Dokumentation und Organisation sei im Vergleich zu früheren Befragungen des MB deutlich gestiegen, erklärte Johna. Gaben im Jahr 2013 lediglich acht Prozent der Ärzte an, mindestens vier Stunden täglich mit Verwaltungstätigkeiten befasst zu sein, seien es in der aktuellen Umfrage 35 Prozent.
„Das ist eine enorme Arbeitszeitverschwendung“, kritisierte die MB-Vorsitzende. Diese Zeit könnten Ärzte statt am Schreibtisch besser am Krankenbett verbringen. Entlastung könne durch eine bessere Besetzung der Stationssekretariate geschaffen werden. Verhindert werde das zurzeit auch dadurch, dass das Verwaltungspersonal in den Fallpauschalen nicht angemessen abgebildet werde.
Am Ende komme es aber vor allem darauf an, die „Überbürokratisierung“ der Krankenhäuser endlich zu beenden. „Wir brauchen eine Generalinventur“, forderte Johna. Vorgaben, die unnötig seien, müssten ersatzlos gestrichen werden. „Hier ist die Politik gefordert, der Regulierungswut der Krankenkassen nicht mehr länger nachzugeben“, sagte sie.
Tarifpolitik greift Wünsche der Ärzte auf
Den Wünschen der Krankenhausärzte nach einer geringeren Arbeitsbelastung und einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben trage die Tarifpolitik des MB bereits zu großen Teilen Rechnung, erklärte der 2. Vorsitzende des MB, Andreas Botzlar.
Um Belastungen überhaupt messen zu können, müsse in allen Krankenhäusern eine manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung eingeführt werden, forderte er. Dafür trete der MB auch in den aktuellen Tarifverbandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) für die tarifgebundenen Universitätskliniken ein.
Außerdem fordert der MB, dass die Zahl der Bereitschaftsdienste begrenzt und eine verlässliche Dienstplangestaltung eingeführt wird. Letztere seien die größten Störfaktoren für soziale Teilhabe, erklärte Botzlar.
Derzeit seien die Verhandlungen mit den Ländern allerdings relativ festgefahren. Die TdL habe in den bisherigen Verhandlungen den Eindruck vermittelt, als seien ungeregelte Arbeitszeiten, fehlende Arbeitszeiterfassungen, pauschale Kappungen der geleisteten Arbeitszeit, ungeplante Inanspruchnahmen und regelmäßige Wochenenddienste bei einer Anstellung in einem Universitätsklinikum billigend in Kauf zu nehmen, hatte Botzlar bereits bei anderer Gelegenheit kritisiert.
Heute bekräftigte er, dass die Ärzte diese Haltung nicht länger hinnehmen würden. Am 4. Februar werde es deshalb zu einem ganztägigen Warnstreik kommen. Die Ärzte der betroffenen Universitätskliniken rief Botzlar auf, an diesem Tag nach Hannover kommen, wo vor den erneuten Verhandlungen mit der TdL eine zentrale Kundgebung des MB stattfinden werde.
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