Ärzteschaft

75 Jahre Bundesärztekammer: Freiberuflichkeit ist die Basis für Vertrauen

  • Donnerstag, 6. Oktober 2022
/Georg Lopata, axentis.de
/Georg Lopata, axentis.de

Berlin – Aus der gesundheitspolitischen Debatte ist die Bundesärztekammer nicht wegzudenken. Heute feiert die Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung, die als Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärzte­kammern rund 550.000 Ärztinnen und Ärzte vertritt, in Berlin ihr 75-jähriges Jubiläum.

Während der Jahre ihres Bestehens sei es ihr gelungen, konstruktive Vorschläge für die Sicherung und Fort­entwicklung einer qualitativ hochwertigen und patientenorientierten Gesundheitsversorgung in Deutschland in die politische Debatte sowie in die konkrete Gesetzgebung auf Bundesebene einzubringen, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), in seiner heutigen Festrede. „Damit schaffen wir Ärztin­nen und Ärzte über unser eigenes berufliches Wirken hinaus einen ethischen, ökonomischen und kulturellen Mehrwert für die Gesellschaft.“

In seiner Rede betonte der BÄK-Präsident insbesondere den Wert der ärztlichen Selbstverwaltung und der ärztlichen Freiberuflichkeit. Diese sei keineswegs ein „überkommender Wert aus längst vergangenen Zeiten“ – auch wenn Teile der Politik und manche Kostenträger dies gerne glauben machen wollten. „Freiberuflichkeit ist die Basis für das Vertrauen der Menschen in die Ärzteschaft“, erklärte er.

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer /Georg Lopata, axentis.de
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer /Georg Lopata, axentis.de

Es lohne sich, Politik und Kostenträger regelmäßig daran zu erinnern, dass keine Unterscheidung zwischen Ärzten als Angestellte im Krankenhaus, als Beamte oder als freiberuflich Selbstständige vorgenommen wurde, so Reinhardt. Auch die Ärzte in der Bundeswehr seien in einem freien Beruf tätig, ebenso wie die angestellten Ärzte in medizinischen Versorgungszentren – selbst, wenn diese von Kapitalgesellschaften betrieben werden.

„Die medizinisch-fachliche Weisungsfreiheit aller Ärztinnen und Ärzte und ihre im ärztlichen Berufsethos so­wie im ärztlichen Berufsrecht verankerte Verpflichtung zur Übernahme persönlicher Verantwortung für das Wohl der Patientinnen und Patienten sind aus unserer Sicht Grundvoraussetzungen für eine gute Patienten­versorgung“, betonte der Präsident.

Diese professionelle Autonomie diene einzig und allein dem Interesse der Patientinnen und Patienten. „Und sie ist nach unserer Auffassung damit auch ein Patientenrecht“, erklärte der BÄK-Präsident. Beschnitten werde dieses, wenn Ärzte von Klinik- und Kostenträgern und kapitalgetriebenen Fremdinvestoren angehalten wür­den, in rein betriebswirtschaftlichen Dimensionen zu denken und nach kommerziellen Vorgaben zu handeln, kritisierte er.

Deutlich wurde anlässlich des Jubiläums auch das Exklusive der ärztlichen Selbstverwaltung in Deutschland, die – neben Österreich – weltweit ein Alleinstellungsmerkmal des Gesundheitswesens ist. Aufgrund ihrer Sach­kenntnis, ihrer Nähe zur Praxis und der Bindung zu ihren Mitgliedern regelten die ärztlichen Selbstver­wal­tungs­organisationen viele Details besser, als die Politik es könne, sagte Reinhardt.

Dass dabei die fachlichen, beruflichen und rechtlichen Standards für Ärzte trotz ausgeprägter föderaler Struk­turen im Wesentlichen einheitlich seien, läge nicht zuletzt an der engen Zusammenarbeit der Landesärzte­kammern untereinander sowie mit der Bundesärztekammer, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 1947 als In­teressenvertretung aller Ärztinnen und Ärzte in Deutschland etabliert habe.

Seitdem sei sie ein von Politik, gesellschaftlichen Akteuren und Medien geschätzter Verhandlungs- und Ge­sprächspartner in allen gesundheitspolitischen und medizinisch-ethischen Fragen. Seit jeher gehöre es zum Selbstverständnis der BÄK, die aktuelle gesundheitspolitische Meinungsbildung kritisch, aber konstruktiv zu begleiten, erläuterte Reinhardt weiter.

Aktiv in Gesundheits- und Sozialpolitik

Besonderes Gewicht verleihe ihr dabei die Fähigkeit, aus praktischen Erfahrungen ärztlichen Handelns Pers­pek­tiven für eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik zu entwickeln. Jetzt gelte es, die Krankenhausfinanzierung wieder „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen.

„Das Fallpauschalensystem heutiger Prägung ist gescheitert“, so Reinhardt. Es führe zu einer grundlegenden Fehlsteuerung, weil es Krankenhäuser dazu zwinge und motiviere, sich nach industriellen Gesichtspunkten zu organisieren. „Wichtige Aspekte der ärztlichen Tätigkeit werden nicht honoriert, beispielsweise die Fürsorge für die Patientinnen und Patienten.“

Eine wichtige Instanz ist die BÄK aber auch in medizinisch-ethischen Fragen – auch darauf verwies der BÄK-Präsident heute mehrfach. Sie unterstütze die Arbeit der Ärztekammern und nehme dabei mittelbar auch gesetzliche Aufgaben wahr.

Darüber hinaus sind ihr unmittelbare gesetzliche Aufgaben zugewachsen, etwa im Rahmen der Qualitätssi­che­rung oder der Transplantationsgesetzgebung. Hier hätten Gesetz- und Verordnungsgeber der Bundesärzte­kammer die Aufgabe übertragen, in Richtlinien den jeweiligen allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festzustellen.

Zudem erstelle die Bundesärztekammer in zahlreichen weiteren Gebieten Richtlinien und Empfehlungen so­wie durch ihren Wissenschaftlichen Beirat und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer viele weitere hochkarätige Expertisen zu unterschiedlichen medizinischen und medizinisch-ethischen The­men.

Kritik an Ökonomisierung

Reinhardt verband seine Festrede auch mit Kritik an generellen politischen und ökonomischen Rahmenbedin­gungen: Ärztliche Selbstverwaltungsinstitutionen würden mehr und mehr unter Druck gesetzt und in ihren Kompetenzen beschnitten, warnte der Präsident. „Wir verbinden daher den Rückblick auf die 75-jährige Er­folgs­geschichte der Bundesärztekammer mit der klaren Aufforderung an die Politik, die bewährten Strukturen der ärztlichen Selbstverwaltung zu erhalten, zu stärken und weiter auszubauen.“

Eine Aufforderung erging aber auch an die Ärzteschaft selbst: Diese müsse der nachwachsenden Ärztegenera­tion schon früh vermitteln, wie viel Freude und Erfüllung ein Engagement in der Selbstverwaltung bereiten kann. „Trotz zunehmender staatlicher Einflussnahmeversuche können wir immer noch wichtige Rahmenbedin­gungen unserer Berufsausübung selbst gestalten.“

Das sei in hohem Maße sinnstiftend und befriedigend. „Wenn es uns gelingt, diese Botschaft an unseren ärztli­chen Nachwuchs weiterzugeben, brauchen wir uns um die Zukunft und Freiberuflichkeit unseres selbstver­wal­teten Berufsstandes keine Sorgen machen.“

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats /Georg Lopata, axentis.de
Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats /Georg Lopata, axentis.de

Einen Blick in die Zukunft warf bei der heutigen Festveranstaltung in Berlin die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx. Sie zeich­nete in ihrem Festvortrag zur „Medizin der Zukunft – Arztrolle im Wandel“ zwei extreme Zukunftsszenarien.

Zum einen den Alltag eines abhetzten Hausarztes, der angesichts einer endlosen Schlange wartender Patienten nur Mangel verwaltet, unendlich viel dokumentiert, ärztliche Tätigkeiten an Algorithmen übertragen muss, was aufgrund von unterschiedli­chen IT-Systemen auch noch zu Fehlern führt. Eine Patientensicher­heit und -zufrieden­heit ist nicht gewährleistet.

Zum anderen skizzierte sie den Alltag einer Digital-Allgemeinärztin, die in einem digital vernetzten und in­teroperablen Gesundheitssystem entspannte und ihren Patienten zugewandte Navigatorin ist, die zum rich­tigen Experten leiten und eine perfekt personalisierte, hoch effektive Medizin anbieten kann.

Durch Nutzung der Datenschätze bleibt ihr auch noch viel Zeit für die sprechende Medizin. „Die Realität wird sich irgendwo dazwischen aufspannen“, sagte Buyx. „Aber schon um diese Mitte zu erreichen, müssen wir uns einigen Themen intensiv zuwenden.“

Als eines der bedeutendsten Themen benannte die Ärztin und Medizinethikerin die Digitalisierung und den Umgang mit Daten. Der Datenschutz sei wichtig, sagte sie, „jedoch haben wir inzwischen ein grotesk verscho­benes, ethisch sehr problematisches Verhältnis von Chancen und Risiken bei der Datennutzung“.

Man fixiere sich seit Jahrzehnten viel zu sehr auf die Risikovermeidung und vergesse, was für Verluste an Leib und Leben man hinnehmen müsse, wenn man gleichzeitig die Chancen der Datennutzung nicht weit mehr in den Blick nehme.

„Wir müssen da auch einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft erreichen“, betonte sie und forderte eben­so politische Rahmenbedingungen, die die einseitig risikofokussierte und restriktive Form der Datenschutz­auslegung beendeten und verantwortliche, sichere Datennutzung ermöglichten.

Führen könne ein Umdenken Buyx zufolge auch zu ineinandergreifenden, entbürokratisierten Versorgungs­strukturen, in denen deutlich weniger ärztliche Arbeitszeit am Patienten für redundante, abgewandte Doku­mentation verloren geht.

Als Chance, aber auch wesentliche Herausforderungen für die Medizin der Zukunft sieht die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates zudem die immer älter werdende Bevölkerung und die Einsamkeit im Alter. Diese sei „ein unterschätzter Killer“.

Ärztinnen und Ärzte müssten sich dabei mehr einbringen und etwa neue, kreative Konzepte des intergenera­tionellen Zusammenlebens medizinisch begleiten, auch wenn dies nicht nur ein ärztliches Thema sei. „Und wir brauchen die Suizidprävention als zentrales Thema, auch und gerade bei der Ärzteschaft“, sagte sie mit Blick auf die aktuelle Debatte zum ärztlich assistierten Suizid und die jüngst veröffentlichte Stellungnahme des Deutschen Ethikrates.

Zu diskutieren sei zudem in den nächsten Jahren der Umgang mit innovativen personalisierten Therapien sowie ihre Finanzierung und Fragen eventueller Priorisierung. Die sprechende Medizin müsse jedenfalls in allen Fächern der Medizin erhalten bleiben und ermöglicht werden, „sonst leiden Patientinnen und Patienten und uns bleibt der Nachwuchs weg“.

Damit das gute Potenzial im Arztberuf tatsächlich genutzt werden könne, bedürfe es zudem neuer Konzepte bei der Ausbildung sowie Abstimmung mit anderen Professionen. „Moderne Medizin ist interprofessionell“, sagte Buyx und verwies auf ihre beiden Zukunftsszenarien. „Es sind Extreme, aber sie sollten uns eine War­nung sein.“ Es seien noch „dicke Bretter“ zu bohren. „Es ist ein Privileg und eine Freude, die Rolle des Arztes oder der Ärztin ausfüllen zu dürfen ­– lassen Sie uns die Medizin der Zukunft so gestalten, dass dies so bleibt.“

Heidi Stensmyren, Präsidentin des Weltärztebundes /Georg Lopata, axentis.de
Heidi Stensmyren, Präsidentin des Weltärztebundes /Georg Lopata, axentis.de

Glückwünsche zum Jubiläum der Bundesärztekammer überbrachte auch Heidi Stensmyren, Präsidentin des Weltärztebundes. Dieser tagt vom 5. bis 8. Oktober in Berlin, diskutiert in diesem Jahr über „Medizinethik in einer globalisierten Welt“ und feiert ebenfalls sein 75-jähriges Bestehen.

Besonders in den Blick bei der Feier zum Jubiläum der Bundesärzte­kammer nahm die Ärztin, die sechs Jahre lang in Deutschland gelebt hat, die Gestaltungsmöglichkeiten, die die Freiberuflichkeit bietet.

„Über 75 Jahre ist die professionelle Autonomie und Selbstverwal­tung in Deutschland gefördert worden – da ist der Bundesärztekam­mer viel zu verdanken“, sagte sie.

Die Bundesärztekammer sei mit der Entwicklung der Gesellschaft gewachsen und zunehmend stark durch die selbstverwaltenden Landesärztekammern geworden. Eine Herausforderung für die Zukunft seien jetzt die Investitionen in neue Technologien. Auch die Ärzteschaft müsse an diesem wichtigen Prozess teilnehmen.

ER

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