Ärzteschaft

Suizidprävention vor Suizidhilfe

  • Donnerstag, 13. Oktober 2022
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer /BÄK
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer /BÄK

Berlin – Nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) ist die derzeitige parlamentarische und gesellschaftliche Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe zu einseitig auf die Verwirklichung eines Suizidwunsches aus­gerichtet. Zu sehr werde in den Diskussionen und auch in den drei derzeit vorliegenden Gesetzentwürfen auf schwer Erkrankte und die Möglichkeiten und Grenzen der Palliativmedizin fokussiert, so die Kritik.

Die häufigsten Ursachen von Suizidalität dagegen, nämlich psychische Erkrankungen und insbesondere De­pres­sionen, die zu einer kognitiven, emotionalen und sozialen Einengung von Menschen und letztlich zu Suizidgedanken führten, würden zu wenig in den Blick genommen.

An dieser Stelle wolle sich die Ärzteschaft in die Diskussion einmischen, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, heute bei der Veranstaltung „Bundesärztekammer im Dialog: Suizidprävention vor Sui­zidhilfe“, in Berlin.

„Untersuchungen zeigen, dass die allgemeinen Lebensumstände von Menschen nur wenig Einfluss auf einen Suizidwunsch haben“, betonte der Hausarzt und verwies dabei auf seine eigenen ärztlichen Erfahrungen. Einen starken Einfluss hätten dagegen Depressionen und Vereinsamung.

„Wir müssen uns um diese Menschen kümmern, insbesondere mit regionalen Angeboten. Das gehört zu den wesentlichen suizidpräventiven Aufgaben“, betonte der Präsident. Keinesfalls dürfe Suizidprävention hinter Suizidhilfe zurückstehen.

Dass die Suizidprävention jedoch bislang noch zu wenig Fokus stehe, hatte bereits 2021 der 124. Deutsche Ärztetag kritisiert. Die Delegierten hatten deshalb damals die Politik aufgefordert, die Suizidprävention in Deutschland stärker auszubauen und zu verstetigen.

Tatsächlich setzen sich jetzt in der parlamentarischen Debatte mit einem fraktionsübergreifenden Gruppen­antrag zahlreiche Abgeordnete für eine Stärkung der Suizidprävention ein und fordern eine Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken durch mehr Information und Aufklärung. Vorgeschlagen wird auch ein bundesweiter Suizidpräventionsdienst, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online sofortigen Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht.

Es handele sich bei den Vorschlägen aber lediglich um einen Antrag, der die Bundesregierung auffordere, künftig einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention vorzulegen, stellte heute der Strafrechtler Karsten Gaede von der Bucerius Law School in Hamburg klar. Die drei vorliegenden Gesetzentwürfe zielten jedoch auf eine Neuregelung Suizidbeihilfe ab sowie den Versuch, das vom Bundesverfassungsgericht 2020 angemahnte Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben zu wahren, so Gaede.

Die gewählten Wege seien sehr unterschiedlich: So wolle der Entwurf der Gruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) lediglich die übermäßige Reichweite des gekippten Paragrafen 217 korrigieren, ansonsten aber wieder die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung mit Ausnahmen unter Strafe stellten.

Eine Regelung außerhalb des Strafrechts strebe eine Gruppe um die Grünen-Politikerin Renate Künast an. Ihrem Entwurf zufolge sollen Ärztinnen und Ärzte ein Medikament für den Suizid verschreiben können, wenn sich Sterbewillige in einer medizinischen Notlage befinden.

Bei einem Sterbewunsch aus anderen Gründen sollen höhere Anforderungen zum Nachweis der Dauerhaftig­keit des Entschlusses gelten, die eine Landesbehörde überprüfen soll. Die weitreichendste Neuregelung au­ßerhalb des Strafrechts schlägt eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) vor, die das Recht auf einen selbst­bestimmten Tod legislativ absichern und klarstellen will, dass die Hilfe zur Selbsttötung nach einer Beratung straffrei möglich ist.

Zur Erinnerung: Die Vorlage der Gesetzentwürfe wurde nötig, da das Bundesverfassungsgericht 2020 in einem grundlegenden Urteil entschieden hatte, dass der im Jahr 2015 eingeführte Straftatbestand der „Geschäftsmä­ßigen Förderung der Selbsttötung“ gemäß Paragraf 217 Strafgesetzbuch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und nichtig sei.

Das „Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“ sei Ausdruck persönlicher Autonomie des Suizidwilligen. Es schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Diesem Anspruch wollen jetzt alle drei Entwürfe gerecht werden. Allen sei zudem gemeinsam, dass sie Ärzte nicht zur Mitwirkung an Suiziden verpflichten, sagte Gaede. Eine solche Verpflichtung zur ärztlichen Mitwir­kung beim assistierten Suizid hatte auch die deutsche Ärzteschaft vehement abgelehnt – wenngleich Suizid­hilfe nicht mehr verboten ist.

2021 hatte der Deutsche Ärztetag aus verfassungsrechtlichen Gründen beschlossen, das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe in der Musterberufsordnung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Den Landesärztekammern hatte er eine solche Änderung in ihrem Berufsrecht empfohlen, dabei gleichzeitig aber betont, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe sei.

Dies bekräftigte heute auch Josef Mischo, Präsident der Ärztekammer des Saarlands und Vorsitzender des Berufsordnungsausschusses der Bundesärztekammer. Entsprechend der Genfer Deklaration stehe für Ärztin­nen und Ärzte die Wahrung des Lebens ihrer Patienten klar im Vordergrund.

Dies finde sich auch in den Berufsordnungen für Ärztinnen und Ärzten wieder, denen zu entnehmen sei, dass die ärztliche Tätigkeit – unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes der Patienten – darauf ausgerichtet sei, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.

„Dennoch müssen wir uns mehr mit Suiziden beschäftigen“, forderte Mischo. Es brauche dazu eine gezielte Fortbildung. Denn etwa 90 Prozent aller Suizide erfolgten vor dem Hintergrund von psychiatrischen Erkran­kungen.

Um Ärztinnen und Ärzten zu unterstützen, wenn an sie der Wunsch herangetragen werde, „Hilfe zum Suizid“ zu leisten, habe die Bundesärztekammer „Hinweise zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB“ erstellt, erinnerte Mischo.

Todeswünsche oder Suizidgedanken müssten Thema eines ergebnisoffenen Gesprächs im Rahmen eines ver­trauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses sein. „Und es muss eine sorgfältige Analyse des Sterbewunsches geben“, forderte er. Denn zu den ärztlichen Aufgaben zähle auch die suizidpräventive Versorgung.

Diese müsse ebenso wie die Hilfe zur Unterstützung in suizidalen Krisen leichter zugänglich sein als die Hilfe zur Selbsttötung, betonte heute Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Denn fast immer lägen Suizidwünschen psychische Erkrankungen zugrunde, am häufigsten Depressionen. „In den letzten 40 Jahren hat sich die Anzahl der Suizide in Deutschland halbiert.“ Das sei eine erfreuliche Ent­wick­lung und letztlich ein Erfolg der Versorgung von Menschen mit Depressionen und ihrer zunehmenden Entstigmatisierung, erklärte der Psychiater.

Mehr Erkrankte würden sich Hilfe holen, zudem würden psychische Erkrankungen besser erkannt und behan­delt werden als früher. „Aus bevölkerungsbasierten Studien wissen wir, dass die Prävalenz von Depressionen mit den Jahrzehnten nicht wesentlich höher geworden ist“, so Hegerl. Erhöht habe sich dagegen die Zahl der Menschen, die eine Diagnose erhalten, aus der Isolation herauskommen und mit Psychotherapie oder Anti­depressiva behandelt werden.

„Depressionen und Suizidalität sind nicht die Folge von ungünstigen Lebensumständen, sondern Depressio­nen führen zu Einsamkeit und ungünstigen Lebensumständen“, betonte der Psychiater weiter. Die Erkrankung könne nicht nur Menschen in schwierigen Lebenssituationen treffen.

„Die äußeren Faktoren werden überschätzt“, so der Arzt. Entscheidender sei meist die Veranlagung dazu. An einer Depression könnten auch erfolgreiche Menschen erkranken, denen es objektiv gesehen gut geht. Um dies zu erkennen, seien erfahrende Psychiater nötig. Und: „Patienten, die dringend Hilfe brauchen, müssen schnell an die richtige Stelle kommen.“

Dies zu ermöglichen ist ein Anliegen von Christiane Schlang, Psychiatriekoordinatorin der Stadt Frankfurt am Main. Sie stellte bei „Bundesärztekammer im Dialog“ das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention (FRANS) vor. Es wurde Mitte 2014 auf Initiative des Frankfurter Gesundheitsamtes gegründet und hat inzwischen 80 Institutionen und Organisationen als Mitglieder, deren gemeinsames Ziel es ist, Suizide und Suizidversuche in Frankfurt zu verringern.

Maßnahmen sind eine Vernetzung lokaler Akteure, Awareness-Kampagnen für die Bevölkerung, Sichtbarma­chung von Suizid-Hotspots sowie Training von Gatekeepern. Schlang ist sich aufgrund ihrer Erfahrung sicher: „Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung mit regionalen Suizidpräventionsangeboten bei langfristiger Finanzierung, niedrigschwellige Krisenzentren und eine bundeseinheitliche Hotline.“

ER

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