Lauterbach kündigt Entbudgetierung von kinderärztlichen Leistungen an

Berlin – Schnelle Unterstützung wegen der akuten Engpässe in der Kindermedizin hat heute Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zugesichert. Unter anderem sollen Ärzte und Ärztinnen in Kinderpraxen kurzfristig Mehrleistungen nach festen Preisen komplett honoriert bekommen.
Im Bundestag kündigte Lauterbach in einer aktuellen Stunde drei Maßnahmen an, die er nächste Woche vorlegen will. „In den Kinderarztpraxen wird sichergestellt, dass jede Leistung auch zu festen Preisen bezahlt wird. Dort werden die Budgets ausgesetzt und jede zusätzliche Leistung, die erbracht wird, wird voll bezahlt", so Lauterbach. Dies solle ab sofort gelten.
Weil sich außerdem zu wenig Fachärztinnen und -ärzte für die Kinderheilkunde entscheiden würden, werde die Kinderheilkunde dauerhaft von den Budgets ausgeschlossen. Somit könne dort dauerhaft zu festen Preisen praktiziert werden, so Lauterbach.
Dem Deutschen Ärzteblatt erklärte das Bundesgesundheitsministerium (BMG), man werde dazu „die Kinderärzte mittelfristig per Gesetz entbudgetieren“. Ein genauer Zeitplan für die Entbudgetierung des vertragsärztlichen Bereiches stehe allerdings noch nicht fest.
Um für eine kurzfristige Verbesserung der niedergelassenen Kinderärzte zu sorgen, werde man die Selbstverwaltung auffordern, im Bewertungsausschuss tätig zu werden. Dieser könne Empfehlungen zur Vereinbarung des Umfangs eines nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs beschließen. Die darunter fallenden Leistungen seien den Ärzten von den Krankenkassen zeitnah, spätestens im folgenden Abrechnungszeitraum, mit den festen Preisen der Euro-Gebührenordnung zu vergüten. Man werde „per Ministerbrief“ eine „entsprechende Erwartungshaltung übermitteln“.
Als dritte Maßnahme sollen Honorarkräfte, die Kliniken zusätzlich einstellen, zudem komplett über die Pflegebudgets abgerechnet werden, bekräftigte Lauterbach heute. Außerdem sollen auch Pflegekräfte aus anderen Bereichen in der Pädiatrie eingesetzt werden können.
Weiter kündigte der Minister einen Klinikgipfel für den 5. Januar 2023 an, bei dem Bund und Länder die Krankenhausreformvorschläge beraten werden.
Erwachsenen-OPs verschieben
Lauterbach schloss zudem nicht aus, dass in einem nächsten Schritt notfalls planbare Eingriffe für Erwachsene verschoben werden könnten. Die Kinderversorgung werde sichergestellt, „was immer dafür notwendig ist“. Bisherige Maßnahmen hätten auch schon gewirkt, hieß es aus dem Ministerium – zum Beispiel das Aussetzen von Mindest-Personalvorgaben, um Pflegekräfte für bestimmte Standardaufgaben in Kinderstationen umzusteuern.
Auch Lieferprobleme bei bestimmten Medikamenten betreffen gerade unter anderem die pädiatrische Versorgung. Um gegenzusteuern, will das BMG in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorstellen – bisher angewandte Instrumente wie Selbstverpflichtungen hätten nicht gegriffen.
Aus dem Gesundheitsministerium hieß es, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) arbeite seit Wochen daran, die Lage zu kontrollieren – und darüber zu informieren, welche nicht lieferbaren Präparate durch andere ersetzt werden könnten.
Die geplante Entbudgetierung der Kinderarztpraxen stieß auf Zustimmung bei der Ampelkoalitionspartnerin Ricarda Lang (Bündnis 90/Grüne). Es gehe jetzt darum, akute Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Kliniken zu unterstützen. Allerdings müsse klar sein, dass diese Krisenmaßnahmen nicht dauerhaft gelten könnten, so Lang. „Wir müssen nicht nur ein Pflaster auf die Wunde kleben, sondern müssen dafür sorgen, dass die Wunde tatsächlich geheilt wird“, betonte sie heute im Bundestag.
Für Andrew Ullmann (FDP) ist die aktuelle Situation mit der verfehlten Gesundheitspolitik der vergangenen Regierung und der vergangenen Jahre zu erklären. „Das können wir als Fortschrittskoalition nicht innerhalb weniger Wochen aus dem Weg räumen, aber wir werden die Fehler Stück für Stück beseitigen“, kündigte er an.
FDP: Bundesländer müssen Kliniken finanziell stärker unterstützen
Für seine Parteikollegin Nicole Westig (FDP) ist zudem klar, dass der Bund zwar einen ersten wichtigen Schritt mit der geplanten Investition für die Kinderkliniken für 2023 und 2024 geht. Allerdings seien auch die Länder gefragt. Diese müssten einiges an Investitionen nachholen, was sie in den vergangenen Jahren versäumt haben.
Die Opposition kritisierte insbesondere die fehlenden Behandlungskapazitäten in den Kinderkliniken, die gerade auf Kosten der Kinder zutage kämen. „Viele Kinderkliniken operieren gerade jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen, insbesondere in der Intensivmedizin“, kritisierte Ates Gürpinar (Die Linke). Er warf den bisherigen Regierungen vor, die Bettenanzahl in den Kinderkliniken drastisch abgebaut zu haben, weil mit der Kinder- und Jugendmedizin keine Profite erwirtschaftet werden konnten.
Auch Heidi Reichinnek von den Linken kritisierte, dass die Versorgung der Kleinsten derzeit nicht sichergestellt sei, aber private Kliniken Gewinn einfahren würden. „Sie unterwerfen die Gesundheit weiter der Marktmacht“, warf sie Lauterbach vor.
Martin Sichert (AfD) kritisierte in diesem Zuge die Maskenpflicht. Ohne diese hätten die Kinder notwendige Infekte durchgemacht und ein stärkeres Immunsystem bekommen.
Union: Kein Meldesystem für Kinderstationen ist grob fahrlässig
Für Stephan Pilsinger (CSU) ist es zudem unverständlich, dass die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) noch kein Meldesystem bezüglich gefährlicher Atemwegserkrankungen von Kindern aufgebaut hat. Er halte dies „für grob fahrlässig“.
Pilsinger hatte in einer gestrigen Fragestunde eine Frage an das BMG gestellt. Die parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) hatte darin erklärt, dass es bislang keine gesetzlich geregelten Meldepflichten für die Übermittlung aktueller Angaben zur Belegung und Verfügbarkeit pädiatrischer Behandlungskapazitäten an das RKI gebe.
Der CSU-Politiker kritisiert weiter, dass Pflegepersonal von Normalstationen in die Kinderabteilungen eingesetzt werden sollen. Dies sei höchstens eine quantitative Maßnahme, keineswegs eine qualitative. „Pflegekräfte zum Beispiel von der Inneren Medizin haben kaum Kenntnisse und Erfahrung im besonders sensiblen Umgang mit Kindern. Ein gewagtes Spiel“, sagte Pilsinger.
Die jetzt akut gewordene Krise in den Kinderkliniken offenbare ganz grundsätzlich die strukturellen Defizite des Handelns dieser Bundesregierung. „Statt Szenarien zu entwerfen und durchzuspielen sowie entsprechende Handlungsoptionen festzulegen, wird kurzfristig nach jedem Strohhalm gegriffen“, sagte Pilsinger.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: