Politik

Ärzte fragen, Spahn antwortet – und verspricht Verbesserungen

  • Freitag, 18. Januar 2019
Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (links) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn /Georg J. Lopata
Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (links) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn /Georg J. Lopata

Berlin – 90 Minuten direkte Konfrontation mit Debatte, Emotionen, Anregungen und neuen Vorschlägen: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte sich heute Vormittag in Berlin Mitgliedern der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und weiteren Ärzteverbänden, um über das derzeit diskutierte Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) öffentlich zu debattieren.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, nannte das Treffen eine Möglichkeit, „die Knackpunkte, die uns Ärzte und Psychotherapeuten verärgern“ dem Minister gegenüber zu äußern. Die Dialogveranstaltung geht auf eine Idee von Spahn selbst zurück – der den Vorständen der KBV angeboten hatte, in eine Vertreterversammlung (VV) zu kommen, um die Regelungen aus dem „größten Versorgungsgesetz dieser Legislatur“ zu erklären.

Da ein Besuch in einer VV terminlich nicht funktionierte, kam es zum Zusammentreffen in dieser ersten Parlamentswoche des Jahres 2019, nach der parlamentarischen Anhörung des TSVG vorgestern, sowie den jeweiligen Neujahrsempfängen der Hausärzte (vorgestern) sowie dem gemeinsamen Empfang der KBV, der Bundesärzte­kammer, der Landesärztekammer Berlin und der KV Berlin gestern. „Noch Zeit genug, um über die Pläne zu diskutieren“, stellte der Minister klar. 

An diesem Vormittag machte Spahn den anwesenden Ärztefunktionären schnell deutlich: „Einfach nur entbudgetieren, das machen wir nicht. Auch wenn Sie hier im Raum und alle anderen, die sie kennen, natürlich eine solche Regelung niemals missbrauchen würden, es wird andere geben“, rief er den geschätzt 200 Zuhörerinnen und Zuhören zu. Und eine weitere Prämisse stellte er auch gleich klar: Es sei müßig, die Diskussion um die Sprechstundenausweitung auf 25 Stunden weiterhin zu diskutieren. „Oder Sie überzeugen Herrn Lauterbach, das anders zu handhaben“, so Spahn.

Koalitionsvertrag wird umgesetzt

Es sei eine Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag, auch um die Bürgerversicherung zu verhindern. „Und wenn Sie eh schon viel mehr als 25 Stunden für GKV-Versicherte Patienten da sind, dann verstehe ich die Aufregung nicht.“ Ebenso stellte er heraus, dass erstmals für mehr ärztliche Leistung auch mehr Geld in die Versorgung kommt. „An dieser Stelle habe ich den Koalitionsvertrag sogar noch ergänzt. Und lesen Sie die Stellungnahmen zum Gesetzentwurf von den Krankenkassen. Die sind nicht begeistert.“ Laut Gesetzentwurf sollen die zusätzlichen Leistungen mit rund 600 Millionen Euro vergütet werden.

Sein Angebot an die niedergelassenen Ärzte sei, dass es schnellere Termine für Patienten gebe, die Versorgung sich somit verbessert. Außerdem gebe es mehr Anreize für die Niederlassung in ländlichen Regionen, und zusätzlich würden Bürokratie sowie Regresse abgebaut. Gerade bei der „gefühlten Angst vor Regressen“ versuchte Spahn, besonders die junge Medizinergeneration vom Gegenteil zu überzeugen. Die junge Generation dürfe nicht ständig die Angst vor Regeln und Strafen im Kopf haben, die eine Niederlassung mit sich bringe.

Die ehemalige Präsidentin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden, Jana Aulenkamp, hatte zuvor die Sorge vor Regressen sowie vor zu viel Bürokratie als Hemmnis bei der Niederlassung genannt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellte sich den Fragen der Vertragsärzte. /Georg J. Lopata
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellte sich den Fragen der Vertragsärzte. /Georg J. Lopata

Die Diskussion wurde von Fragen über die Versorgung und Vergütung von chronisch Kranken, der Einstufung von neuen und alten Patienten oder auch der künftigen Bedarfs­planung bestimmt. So würden Praxen auf dem Land, die ihre Patienten seit Jahr­zehnten betreuten und inzwischen viele Chroniker im Sprechzimmer hätten, kaum von Regelungen für neue Patienten profitieren, merkte die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung Petra Reis-Berkowicz an. Statt einer verpflichtenden offenen Sprechstunde für einige Facharztgruppen plädierte Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchow-Bundes, für eine freiwillige Regelung bei der offenen Sprechstunde. „Zwang regt die meisten Kollegen auf“, erklärte er.

Gestritten wurde über mehr Steuerungselemente für Patienten sowie Strafgebühren für verpasste Termine. So gebe es besonders bei den Fachärzten eine hohe Quote von Patienten, die Termine nicht einhalten. Bei Terminen, die die aktuelle Terminservice­stelle (TSS) vermittle, sollen es nach Erhebungen sogar 30 Prozent sein.

Spahn: Keine Strafgebühren

Vor möglichen Strafgebühren in Höhe von 50 Euro, die einige Teilnehmer ins Gespräch brachten, warnte Spahn: „Dies bringt neue Bürokratie auch für ihre Praxis. Denn im Zweifel müssen sie ja nachweisen, dass sie mit einem Patienten für den Termin telefoniert haben“, so Spahn. Der Aufwand für die Umsetzung sei aus seiner Sicht zu hoch. Wer aber ein einfaches Modell habe, könne sich gerne melden. 

Offen zeigte sich Spahn auf einen Vorschlag aus Schleswig-Holstein: Ralph Ennenbach, der stellvertretende KV-Vorsitzende, setzte sich dafür ein, künftig stärker mit Qualitätszielen sowie Eigenständigkeit für Ärzte zu arbeiten und damit weniger in den Praxisalltag hinein zu regieren. Um die Ärzte bei Laune zu halten, riet Ennenbach dazu, in einer Art „neuem Deal“ die Budgets für eine gewisse Zeit zu öffnen oder auszusetzen, um so Vertrauen aufzubauen. Würde das zur Leistungsausweitung führen, könne man die Regelung wieder streichen.

Spahn zeigte sich gesprächsbereit. „Wir können darüber reden, ob wir mehr Vertrauen in die Regionen geben, aber ohne, dass die Kosten steigen. Das Ziel muss sein, dass Patienten einen Termin bekommen. Dafür bin ich für vieles zu haben“, erklärte Spahn.

Bei anderen Themen zeigte sich Spahn als gebundener Minister an den Koalitions­vertrag: Bei der Frage, warum die Bundesländer in den Zulassungsausschüssen künftig mit am Tisch sitzen sollen und gleichzeitig weiterhin die Rechtsaufsicht haben, erklärte Spahn, dass sich der Vorschlag von den Ländern in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt habe.

Bei der Nachbesetzung von freien Arztsitzen sowie der künftigen Bedarfsplanung warb er auch für Verständnis für Bundes- und Landespolitik: „Wenn ich fünf Jahre den Bürgern erkläre, ja, das macht alles die Selbstverwaltung, das kommt schon noch. Und dann gibt es Themen, die klappen nicht, dann muss Politik eingreifen. Denn die Torte kommt immer hier her“, so Spahn.

Torte im Gesicht

Damit bemühte er das bekannte Zitat einer seiner Amtsvorgängerinnen: Ulla Schmidt (SPD) hatte über ihre Zeit als Ministerin zwischen 2001 und 2009 gesagt, dass in der Gesundheitspolitik der Minister immer die „Torte im Gesicht“ habe, egal wie er oder sie es mache. Mit dem gleichen Sprachbild reagierte Spahn auch auf Vorschläge aus Rheinland-Pfalz, man könne die Bedarfsplanung sowie die Budgetierung aussetzen, um so mehr Ärzte in die ländlichen Regionen zu bekommen. „Wenn sie die Landes­regierung in Rheinland-Pfalz davon überzeugen, dann muss die Torte dort ankommen, nicht bei mir.“  

Sehr deutlich wurde der Minister auch, als grundsätzliche Kritik an der Digitalisierung des Gesundheitswesens von mehreren Teilnehmern geäußert wurde. „Ich kann nur noch einmal betonen: Wenn wir das nicht selbst gestalten, werden wir es erleiden. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird stattfinden.“ Patienten erwarten, dass Praxen im Jahr 2019 irgendwie digital sind. „Die Patientenakte soll auch die Versorgung besser machen“, so Spahn. Er kündigte erneut an, dass es mehr Geschwindig­keit auch innerhalb der Selbstverwaltung und der Gematik geben müsse. „Hacker hin oder her.“ 

Das TSVG soll am 13. Februar ein zweites Mal im Gesundheitsausschuss des Bundestages angehört werden. Für den kommenden Mittwoch (23. Januar) haben Ärzteverbände zu einem bundesweiten Protesttag aufgerufen.

bee

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