Ärzte üben scharfe Kritik am Urteil zur ärztlich assistierten Selbsttötung

Berlin/Leipzig – Die Bundesärztekammer (BÄK) hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, nach dem Patienten in „extremen Ausnahmesituationen“ ein Recht auf Betäubungsmittel zur Selbsttötung haben, scharf kritisiert. „Dass eine so grundsätzliche ethische Frage wie die der ärztlich assistierten Selbsttötung auf einen bloßen Verwaltungsakt reduziert werden soll, ist mir völlig unverständlich“, sagte der BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery.
Bei dem vor Gericht verhandelten Fall (Az: 3 C 19.15) ging es um eine Frau, die nach einem Unfall im Jahr 2002 fast vollständig gelähmt war. 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung. Das BfArM lehnte dies ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun entschieden, dass die Verweigerung eines Medikaments zur Selbsttötung hier rechtswidrig gewesen sei.
„Man muss sich doch die Frage stellen, ob das Bundesverwaltungsgericht Leipzig tatsächlich die wirklich grundlegenden Diskussionen im Deutschen Bundestag wie auch die entsprechenden Beschlüsse zur Sterbebegleitung wahrgenommen hat“, kritisierte Montgomery. „Welcher Beamte im BfArM soll denn dann entscheiden, wann eine ‚extreme Ausnahmesituation’ vorliegt? Eine solche Bürokratieethik ist unverantwortlich“, so der BÄK-Präsident.
Erst Mitte Februar hatte die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) darauf hingewiesen, dass viele Ärzte verunsichert seien, inwieweit sie sich bei der Begleitung und Behandlung von schwerkranken Patienten, die nicht länger leben wollten, strafbar machten. Der Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der BÄK hat dazu im Deutschen Ärzteblatt Hinweise und Erläuterungen für die ärztliche Praxis zum Thema veröffentlicht.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte das Urteil praxisfern. „Ich frage mich, wie das organisiert werden soll”, sagte Brysch. Solle künftig ein Verwaltungsbeamter im Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) entscheiden, ob ein sterbewilliger Patient so ein extremer Einzelfall sei, den das Gericht angenommen hatte, fragte Brysch. Unerträgliches Leid sei weder juristisch noch ethisch genau zu definieren.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte an, eine staatliche Suizidhilfe weitgehend unterbinden zu wollen. „Wir werden die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung genau prüfen und alle Möglichkeiten nutzen, den Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe zu verhindern”, erklärte Gröhe. Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zum Suizid werden. „Das untergräbt unser Bemühen Selbsttötung durch Hilfe und Beratung zu verhindern.”
Michael Brand, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: „Die Anforderungen des Urteils sind nicht umsetzbar. Der Staat kann nicht verpflichtet werden, sich an der Durchführung eines Suizids zu beteiligen. Das wäre ein Bruch mit unserer Werteordnung und widerspräche allen Anstrengungen zum Lebensschutz und der Suizidprävention. Todbringende Medikamente per Verwaltungsakt darf es nicht geben, denn der Staat hat eine besondere Schutzpflicht.”
Dagegen sagte der Gesundheitsrechtler der Ruhr-Universität Bochum, Stefan Huster, der Schutz des Lebens bedeute zunächst einmal, dass der Staat einem das Leben nicht nehmen darf. Ein Lebensschutz gegen den ausdrücklichen Willen eines Menschen sei dagegen kein sinnvolles Rechtsgut. Er halte das Leipziger Urteil „in einer freiheitlichen Gesellschaft für vernünftig”.
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