Ärztepräsidentin in der Türkei zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt

Istanbul – Ein Gericht in der Türkei hat die international hoch angesehene Medizinerin und Chefin der türkischen Ärztekammer (TTB), Sebnem Korur Fincanci, heute zu einer Haftstrafe verurteilt, im Anschluss aber ihre Freilassung angeordnet.
Das Istanbuler Gericht befand die 63-jährige Vorsitzende des türkischen Ärzteverbandes des Verbreitens „terroristischer Propaganda“ für schuldig und verurteilte sie zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis. Haftstrafen von weniger als vier Jahren werden in der Türkei selten vollstreckt, die Verurteilten werden aber unter gerichtliche Aufsicht gestellt.
Fincanci saß seit dem 27. Oktober des vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Die renommierte Rechtsmedizinerin hatte in einem Fernsehinterview die Untersuchung eines mutmaßlichen Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee gegen kurdische Kämpfer gefordert.
Pro-kurdische Medien und Oppositionsvertreter hatten die türkische Armee beschuldigt, chemische Waffen gegen die Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingesetzt zu haben. Die PKK gab an, dass bei einem solchen Angriff 17 ihrer Kämpfer in den Bergen des Nordiraks getötet worden seien.
Der türkische Verteidigungsminister nannte die Anschuldigungen „Verleumdung“. Staatschef Recep Tayyip Erdogan warf der Ärztin vor, „die Sprache des Terrorismus“ zu sprechen. Das Justizverfahren gegen die Vorsitzende des Ärzteverbands wurde international als politisch motiviert angeprangert.
Die Höchststrafe für „terroristische Propaganda“ liegt in der Türkei bei siebeneinhalb Jahren Gefängnis. Das Urteil kann daher als Rückschlag für die türkische Staatsanwaltschaft gesehen werden. In der Türkei sitzen tausende politische Regierungsgegner, darunter viele Kurden, hinter Gittern.
Die PKK kämpft seit Mitte der 1980er-Jahre für mehr Rechte für die Kurden in der Türkei und gegen den türkischen Staat. Sie wurde in der Vergangenheit immer wieder für Anschläge in der Türkei verantwortlich gemacht. Sie wird von der Regierung in Ankara sowie den meisten westlichen Staaten, darunter die USA und die EU, als Terrororganisation eingestuft.
Der Prozess gegen Fincanci fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Sowohl im Gerichtsgebäude als auch davor gab es eine starke Polizeipräsenz. Vor der Absperrung am Gericht versammelten sich heute Unterstützer Fincancis, die für ihre Freilassung demonstrierten. Die Medizinerin sagte in ihrem Schlusswort vor Gericht, dass sie keinen fairen Prozess erwarte.
Wegen Fincancis Zusammenarbeit mit Rechtsmedizinern der UN an Orten wie Bosnien bekam der Prozess gegen sie viel internationale Aufmerksamkeit. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, nannte Fincanci „eine der mutigsten Stimmen der Türkei“.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bereits im vergangenen Jahr angeschrieben und gemahnt, Fincanci „unverzüglich freizulassen“. Die Verhaftung stelle einen Angriff auf das Recht zur freien Meinungsäußerung und auf die ärztliche Selbstverwaltung dar, hatte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt damals erklärt.
Heute forderte die BÄK die türkische Regierung erneut dazu auf, die Repressalien gegen Vertreter der türkischen Ärzteschaft unverzüglich zu beenden. Die staatlichen Eingriffe in die Strukturen der gewählten türkischen Ärzteschaft seien inakzeptabel. „Sie greifen nicht nur die Unabhängigkeit von Ärztinnen und Ärzten an, sondern die gesamte türkische Gesellschaft“, heißt es in einem Schreiben von Reinhardt an Erdoğan.
Der BÄK-Präsident betonte, die Anschuldigungen gegen demokratisch gewählte Vertreter des Ärzteverbandes seien „haltlos“ und schienen allein einer Schwächung der Arbeit der türkischen ärztlichen Selbstverwaltung und des freien Berufes zu dienen.
Neben Fincanci sehen sich noch weitere Vorstandsmitglieder des Ärztebundes Gerichtsverfahren ausgesetzt, die eine Amtsenthebung des demokratisch legitimierten Führungspersonals zur Folge haben sollen. Es wird, wie die BÄK schreibt, auch von Gesetzesvorhaben berichtet, die die Unabhängigkeit und Autonomie der TTB abschaffen sollen.
Die irische Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders verurteilte die Entscheidung in „diesem politisch motivierten Prozess“ als „ungerecht“. Das Urteil müsse in der Berufung gekippt werden, hieß es. Es sei „gut, dass Fincanci aus ihrer Untersuchungshaft entlassen wurde, doch sie darf keine Zeit mehr hinter Gittern verbringen“.
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