Ärztetag diskutiert über Für und Wider einer Bürgerversicherung

Freiburg – Der 120. Deutsche Ärztetag hat sich gegen die Einführung einer Bürgerversicherung ausgesprochen, wie sie die SPD, die Grünen und die Linken in unterschiedlichen Ausprägungen propagieren. Die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens werde durch das duale Versicherungssystem mit den beiden Säulen gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und private Krankenversicherung (PKV) abgesichert.
„Die Ärzteschaft in Deutschland beobachtet jedoch mit großer Sorge, dass Teile der Politik diese bewährten und weltweit einmaligen Strukturen ohne Not zerschlagen und durch eine Einheitsversicherung ersetzen wollen“, heißt es in einem Beschluss, den der Ärztetag gestern verabschiedet hat.
Mit der Einführung der Einheitsversicherung drohten Rationierung, Wartezeiten und Begrenzungen des Leistungskataloges. „Statt ideologisch motivierter Feldversuche mit ungewissem Ausgang für die Versicherten fordert der 120. Deutsche Ärztetag, dass die künftige Bundesregierung ihre Reformpolitik an den tatsächlichen Problemen und Aufgaben des Gesundheitswesens ausrichtet: GKV und PKV sind zu stärken und an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen“, forderten die Delegierten.
Einige Delegierte sprachen sich jedoch auch für eine Umgestaltung des Systems aus. Eine freiwillige Zusammenführung von GKV und PKV sei nicht unvernünftig, meinte Ellis Huber von der Ärztekammer Berlin und warb für die Einführung des Schweizer Modells in Deutschland: „eine Pflichtversicherung für alle und Wahlmöglichkeiten für jeden“. Dann bräuchte die Ärzteschaft auch nicht mehr über GOÄ-Ziffern zu streiten und hinter Centbeträgen aus der GOÄ herzujagen.

„Es wird immer wieder gesagt, wir bräuchten die PKV, damit wir unsere Praxen wirtschaftlich führen und damit wir neue Methoden erproben können“, meinte Jens Wagenknecht von der Ärztekammer Niedersachsen. „Ehrlich gesagt: Ich erlebe die PKV-Versicherten eher als Opfer von Überdiagnostik und Übertherapie. Aber ich möchte diese Patienten überhaupt nicht als Rückgrat meiner Wirtschaftlichkeit.“ Wenn man sich Kampagnen wie „Choosing wisely“ anschaue, passe nicht dazu, „wie wir mit unseren PKV-versicherten Patienten umgehen“. Wenn man mit PKV-Vertretern spreche, sagten die einem: Der Vollvertrag sei tot, weil er nicht zu bezahlen sei. „Wenn das so ist, dann muss man das System ändern. Und wir Ärzte sollten versuchen, uns an dieser Diskussion zu beteiligen“, forderte Wagenknecht.
Julian Veelken von der Ärztekammer Berlin kritisierte, dass die PKV-Versicherten keine Chance hätten, ihre Versicherung zu wechseln, wenn ihre Beiträge erhöht würden – weil sie ihre Altersrückstellungen nicht mitnehmen könnten. Auch er sprach sich dafür aus, dass sich die Ärzteschaft an einer Diskussion über ein „neues solidarisches Versicherungssystem“ beteiligen müsse, wenn es dazu kommen sollte, dass sich die PKV in Zukunft ökonomisch nicht mehr rechne.

Viele Delegierten lehnten jedoch die Umstellung des bestehenden Systems ab. „Durch eine Bürgerversicherung werden Sie Gleichheit erwirken. Die Frage ist: Wird es für alle gleich gut oder gleich schlecht sein?“, fragte Wolfgang Bärtl von der Bayerischen Landesärztekammer.
„Es wäre völlig verlogen, das GKV-System zu idealisieren“, betonte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Norbert Metke. „16 Prozent der ärztlichen Arbeit werden in diesem System nicht bezahlt. Es gibt Fallzahlbegrenzungen. Viele Kollegen erhalten Bescheide, dass sie zu viel verschreiben. Deshalb gibt es eine Unterversorgung aufgrund von Verschreibungsangst. Und wegen der Bedarfsplanung gibt es Unterversorgungen, zum Beispiel bei Kinderärzten.“
Weiterhin zitierte Metke aus einem Schreiben der Friedrich-Ebert-Stiftung: Bei einer Bürgerversicherung sei eine vollständige Kompensation der privaten Einnahmen ausgeschlossen. „Das heißt: Unter einer Bürgerversicherung soll es weniger Geld geben“, folgerte Metke, „aber dafür mehr Verwaltung, mehr Staat. Die Bürgerversicherung ist ein Planspiel jenseits der Realität.“
Über Portabilität der Altersrückstellungen sprechen
„Ich bin mit dem GKV-System nicht zufrieden“, sagte auch Klaus Reinhardt, Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK) und Vorsitzender des Ausschusses „Gebührenordnung“ bei der BÄK. „Es gibt ein unbegrenztes Leistungsversprechen bei einer Flatratebezahlung und innerhalb eines budgetierten Systems.“ Durch die Regelleistungsvolumina wüssten die Ärzte gar nicht, wie hoch ihr Honorar sei. Das sei bei der PKV anders.

Man dürfe zudem nicht so tun, als stünde das System der PKV vor der Pleite. „Das ist völlig falsch“, sagte er. Reinhardt sprach sich jedoch dafür aus, das bestehende System der PKV zu verbessern. „Ich bin der Auffassung, dass wir über Defizite der PKV sprechen müssen“, sagte er, „zum Beispiel über die Portabilität der Altersrückstellungen.“
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