Ärztlicher Pandemierat legt Schutzkonzept für Alten- und Pflegeheime vor

Berlin – Mehr ärztlichen Sachverstand in die Bekämpfung der Coronapandemie einbringen – das ist das Ziel des Pandemierates der Bundesärztekammer (BÄK). Die interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe „Vulnerable Gruppen“ des Gremiums hat nun ein Positionspapier „Schutzkonzept für Alten- und Pflegeheime: Lessons Learned“ vorgestellt.
Die Politik sei „bemüht“ gewesen, die Bevölkerung vor COVID-19 zu schützen, sagte der Geriater Jürgen Bauer dem Deutschen Ärzteblatt. Dennoch habe sie manche Entscheidung gefällt, die die Verhältnisse vor Ort nicht ausreichend einbezogen habe. Mit dem Papier will der Pandemierat nun eine Hilfestellung geben.
Ausgangspunkt für die eingehende Befassung mit diesem Thema seien zum einen die anhaltend hohe Zahl an COVID-19-Sterbefällen in den Pflegeheimen sowie zum anderen die auch in der zweiten Welle vielerorts zu beobachtenden schweren Ausbrüche in den Pflegeheimen mit vielen Infizierten unter den Bewohnern und dem Personal gewesen, erläutert Bauer, der wesentlich mit für die Erstellung des Papiers verantwortlich ist.
„Diese Ausbrüche waren lokal für einen hohen Prozentsatz der stationären Krankenhausaufnahmen verantwortlich und belasteten die Versorgungsstrukturen erheblich“, betonte der Geriater von der Universität Heidelberg. Mit der Erstellung seines Papiers wolle der Pandemierat den Blick jedoch nach vorn richten und Perspektiven für eine zukünftige Verbesserung der Situation aufzeigen.
Der Rat begrüßt, dass Heimbewohner und Heimmitarbeiter gemäß der Coronavirus-Impfverordnung und gemäß der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die COVID-19-Impfung als prioritäre Gruppen eingestuft wurden. Auch zahlreiche Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Verbesserung der Situation und Verminderung des Infektionsrisikos in den Alten- und Pflegeheime seien positiv. „Doch hat die Coronapandemie deutlich aufgezeigt, welche strukturellen Defizite bei einem relevanten Teil der Heime vorliegen“, so Bauer.
Für den ärztlichen Pandemierat steht jedoch fest: Eine Pandemie ist nicht aus der Versorgungsroutine heraus zu bewältigen. „Sie braucht zusätzliche Ressourcen“, erklärte Bauer. Und diese hätten vielen Heimen nicht so schnell zur Verfügung gestanden, wie es wünschenswert gewesen wäre.
„Daher sollten strategische Unterstützungskonzepte erstellt werden, die es gestatten werden, Engpässe bei zukünftigen Pandemien rascher zu überwinden und die präventive Leistung in den Heimen auf diese Weise zuverlässig zu stärken“, konstatiert der Geriater. „Wir werden in bessere Strukturen investieren müssen, wenn wir zukünftig besser vorbereitet sein wollen.“
In der Pflicht sieht der Pandemierat Bund und Länder. Sie müssten die Rahmenbedingungen für die Verbesserung der diesbezüglichen Strukturen schaffen, wobei die Umsetzung dann auf lokaler Ebene unterstützt werden müsse. In Krisensituationen benötigten die Einrichtungen auch die staatliche Unterstützung bei der Beschaffung und Finanzierung von Schutzmaterialien.
„Die gegenwärtige Pandemie hat sich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege ereignet, welcher einen wesentlichen Faktor für die Anfälligkeit der Heimstrukturen darstellt“, erläutert Bauer. Erkrankungen des Personals und die notwendigen Quarantänen hätten die Situation dann weiter verschlechtert. Wohlgemeinte Verordnungen wären so in der Praxis kaum umsetzbar gewesen.
Zudem weist der Rat in seinem Papier darauf hin, dass eine gute Hygieneprävention wiederholte Schulungen des Personals und gute Informationsvermittlung erfordere. „Eine Herkulesaufgabe“, so Bauer. Unterstützen könnten etablierte interdisziplinär und interprofessionell zusammengesetzte Teams, die Alten- und Pflegeheime beraten.
„Diese Interaktion sollte nicht unilateral, sondern im Sinne eines Netzwerkgedankens verstanden werden“, heißt es im Papier. Auch die Einbindung der Hausärztinnen und Hausärzte sowie der Gesundheitsämter sei für den Schutz der vulnerablen Gruppen wesentlich.
In weiteren interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppen des ärztlichen Pandemierats beschäftigen sich Vertreter von BÄK, wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften und Öffentlichem Gesundheitsdienst (ÖGD) mit der Weiterentwicklung der Teststrategie sowie Konzepten zur Vermeidung von psychosozialen „Kollateraleffekten“ der Coronabekämpfung.
„Wir wollen den Handlungsbedarf in diesen Bereichen analysieren und auf dieser Grundlage in komprimierter Form möglichst konkrete Empfehlungen für die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern entwickeln“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. „Die Mitglieder des Rats verfügen nicht nur über breite wissenschaftliche Expertise, sie arbeiten auch tagtäglich in den unterschiedlichen Bereichen der Patientenversorgung und der Virusbekämpfung. Diese Zusammensetzung ist in Deutschland einmalig.“
Bereits Ende vergangenen Jahres legte der Pandemierat ein Thesenpapier zur kontinuierlichen Verbesserung der nationalen Teststrategie vor. Erarbeitet hat es eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologe, der Laboratoriumsmedizin sowie der Allgemeinmedizin und Inneren Medizin einschließlich der Infektiologie.
Ein Kernpunkt des Papiers: Der Einsatz von Coronaschnelltests (PoC-Antigentests) kann trotz der limitierten Sensitivität dazu beitragen, Infektionen schnell zu erkennen. Negative Testergebnisse dürfen aber keinesfalls zu einer Scheinsicherheit führen und zu einem sorglosen Umgang verleiten.
Dies gelte jetzt unverändert, sagte Michael Müller, 1. Vorsitzende der Akkreditierten Laboren in der Medizin (ALM) und Mitautor des Papiers, dem Deutschen Ärzteblatt. „Der Nutzen des Einsatzes von Antigenschnelltests liegt im Wesentlichen in der schnellen Verfügbarkeit der Testergebnisse, beispielsweise im Bereich des Schutzes vulnerabler Gruppen.“
Neben der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Tests seien die ärztliche Begleitung und die Probenentnahme durch geschultes Personal wichtige Voraussetzungen für verlässliche Ergebnisse, die dennoch nur Momentaufnahmen mit einer kurzfristigen Gültigkeit darstellen. „Positive Antigenteste sind mit der PCR zu bestätigen, um falsch-positive Befunde auszuschließen.“
Wichtig sei zudem, dass Testungen zum Nachweis von SARS- CoV-2 stets in ein gutes und wirksames Hygienekonzept eingebunden werden sollten, so der Rat. „Der Nutzen des Einsatzes von PoC-Antigentests hängt aber auch von der ärztlich begleiteten Umsetzung ab“, erläutert Müller. Hier gebe es sicher noch Informationsbedarf.
Auch deswegen werde sich die Arbeitsgruppe „Teststrategie“ des Pandemierates jetzt erneut beraten. Beschäftigen wolle sich die Arbeitsgruppe zudem mit der Diagnostik der neu aufgetretenen Mutationen des Coronavirus. „Ich gehe davon aus, dass wir unser Papier aktualisieren und dann als ergänzte Version dem Pandemierat vorstellen werden“, so Müller.
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