Ausschließliche Fernbehandlung: KBV und KVen wollen lukrativen Geschäftsmodellen entgegentreten

Berlin – Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) Sorgen sich um einen neuen Markt in Deutschland, der aufgrund der vom 121. Deutschen Ärztetag beschlossenen Lockerung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots entsteht. Das geht aus einem gemeinsamen Positionspapier von KBV und, bis auf Thüringen, allen KVen hervor.
Hintergrund für die Positionierung ist aus Sicht der KBV und KVen, dass derzeit erste Unternehmen und Start-ups unterschiedlicher Größe auf den Markt drängten, um im Gesundheitswesen neue, in der Regel onlinebasierte Dienstleistungen, die sich direkt an die Patienten richten, anzubieten. Diese witterten „lukrative Geschäftsmodelle“, um den Patienten, die als Kunden gesehen werden, Versorgungsleistungen anzubieten, heißt es von KBV und KVen.
Vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis in Gefahr
Die Unternehmen argumentierten damit, aus deren Sicht bestehende Lücken in der ambulanten Versorgung zu schließen und Wartezeiten auf einen Besuch beim Facharzt oder Psychotherapeut zu überbrücken. „Dabei geht es aus unserer Sicht um einen elementaren Eingriff in das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Arzt und Patient“, erklärten KBV und KVen weiter.
Als Beispiel verweisen die Körperschaften auf ein im Norden Deutschlands beheimatetes Unternehmen, das eine Onlineplattform vorgestellt hat, bei der man AU-Bescheinigungen per WhatsApp erhalten kann. Eine große Onlineapotheke habe mittlerweile angekündigt, ihren Kunden ebenfalls digitale Therapieangebote machen zu wollen. Mehrere Krankenkassen unterstützen zudem ein Therapieangebot für psychische Erkrankungen, bei dem per Videochat Wartezeiten auf Termine bei Psychotherapeuten vermieden werden sollten.
Klare Regeln definieren
Die Körperschaften sprechen sich in dem Papier nun dafür aus, dass „klare Einschränkungen und Begrenzungen“ definiert werden, um nicht ausschließlich Konzerninteressen in den Mittelpunkt zu stellen. Um Fehlentwicklungen zu vermeiden, müsse die Ausgestaltung der Fernbehandlung im Hinblick auf die besondere Bedeutung des persönlichen Arzt-Patienten-Kontaktes kritisch diskutiert werden, heißt es weiter.
KBV und KVen kündigten zudem an, der freien Wirtschaft und Krankenkassen nicht den Markt überlassen zu wollen. Die KVen würden „funktionierende digitale Angebote“ machen, die an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet sind, heißt es in dem Papier. Man wolle dabei höchsten Ansprüchen an Datenschutz und Datensicherheit genügen.
Basis solle eine KV-übergreifende Zusammenarbeit sein, die es dem KV-System ermögliche, „den privatwirtschaftlich organisierten und rein an Kapitalinteressen orientierten Unternehmen mit eigenen Angeboten und Lösungen entgegenzutreten“. Die Angebote wolle man den Patienten über die niedergelassenen Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten vorstellen.
Fernbehandlung elementarer Teil des Sicherstellung
Man sehe den Bereich der Fernbehandlung als elementaren Teil des Sicherstellungsauftrages der KVen, betonten die Körperschaften in dem Papier. Einzelne KVen seien bereits in den Markt eingestiegen, andere würden noch abwarten. Klar sei aber, dass Angebote zur Fernbehandlung nicht an Landesgrenzen der jeweiligen KV haltmachten, wie die bundesweit angebotenen Projekte zur Krankschreibung per WhatsApp oder zur Onlinepsychotherapie zeigten.
Die Angebote ermöglicht hat die Lockerung durch den 121. Deutschen Ärztetag. Der hatte mit großer Mehrheit einer Änderung der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung (MBO-Ä) zugestimmt und das bisher geltende berufsrechtliche Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert.
Künftig sollten demnach eine Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien auch ohne persönlichen Erstkontakt „im Einzelfall“ erlaubt sein, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“, so der neue Wortlaut des Paragrafen 7 Absatz 4 MBO-Ä.
Die Landesärztekammern müssen aber selbst entscheiden, ob sie die Empfehlung in ihre Berufsordnung übernehmen – oder andere Formulierungen und Regelungen treffen. Gegen die ausschließliche Fernbehandlung ausgesprochen hat sich bereits die Ärztekammer Brandenburg. In Hamburg, dem Saarland und Mecklenburg-Vorpommern stehen endgültige Entscheidungen noch aus. In Baden-Württemberg ist die ausschließliche Fernbehandlung nur in genehmigten Projekten gestattet. Die anderen Ärztekammern haben die Änderung entsprechend der Empfehlungen des Ärztetags umgesetzt.
Ziel der Lockerung ist es im Kern, die Telemedizin in Deutschland zu fördern. Mit der Änderung der Berufsordnung reagieren die Ärzte damit auch auf den dramatischen Wandel durch die Digitalisierung, der längst die Medizin und die Gesundheitsversorgung erreicht hat. Inzwischen bieten immer mehr Unternehmen medizinische Beratung online an – häufig aus dem Ausland und damit der hiesigen Rechtsaufsicht entzogen.
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