Entwurf zur Widerspruchslösung bei der Organspende vorgelegt

Berlin – Pünktlich zum Inkrafttreten der im Februar beschlossenen gesetzlichen Strukturänderungen in der Transplantationsmedizin hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen weiteren die Organspende betreffenden Gesetzentwurf vorgestellt: den Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“. Im Kern sieht dieser vor, dass jeder volljährige Mensch in Deutschland automatisch als Organspender gilt – es sei denn, er hat dem widersprochen.
Für Spahn, der bewusst beide Neuregelungen in der Debatte voneinander trennte, stellen diese offensichtlich dennoch eine Einheit dar: „Die jetzt verbesserten Strukturen in der Transplantationsmedizin bringen nur etwas bei einer hohen Spendenbereitschaft“, sagte er heute bei der Vorstellung des neuen Entwurfs in Berlin. „Die bisherigen Bemühungen bei der Entscheidungslösung haben nicht ausreichend gefruchtet und lediglich die abstrakte Spendenbereitschaft erhöht“, sagte der Minister. Man dürfe die Patienten, die bereits seit Jahren auf ein Organ hoffen, nicht noch länger warten lassen. „Für sie ist das eine existenzielle Frage“, betonte er.
Der Mitinitiator des Gesetzentwurfs Karl Lauterbach (SPD) glaubt, dass sich die Zahl der Organspender in Deutschland mit dem neuen Gesetz verdoppeln lasse: „Auf zwei potenzielle Spender kommt hierzulande nur einer mit Organspendeausweis – diese Lücke gilt es zu schließen“, sagte er. „Die einzige Möglichkeit zur Steigerung der Spenderzahlen ist die Widerspruchslösung.“
Diese sei unbürokratisch, ethisch unbedenklich, effizient und aufgrund des doppelten Widerspruchs sicher. Nicht zu spenden sei weiterhin in Ordnung, aber es gelte ein neuer ethischer Standard: Wer nicht zum Spenden bereit wäre, müsse das erklären. Frei nach Kant würde mit einer kleinen Pflicht ein großer Nutzen für die Gesellschaft geschaffen. Lauterbach verwies auf Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Deren Umfragen zufolge stünden rund 84 Prozent der Bevölkerung der Organspende positiv gegenüber, aber nur 36 Prozent hätten auch einen entsprechenden Ausweis.
Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass grundsätzlich bei jedem Menschen, der die Voraussetzungen erfüllt, eine Organ- und Gewebeentnahme zulässig ist – es sei denn, er habe zu habe zu Lebzeiten Widerspruch eingelegt. Die Bevölkerung soll auf diese Weise dazu angehalten werden, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen, heißt es im Entwurf. Diese könne zudem jederzeit revidiert werden.
Register soll kommen
Mit Einführung der doppelten Widerspruchslösung soll ein Register eingerichtet werden, in das Bürger ab dem vollendeten 16. Lebensjahr ihre Entscheidung zur Organspende eintragen lassen können, heißt es weiter. Das Bundesgesundheitsministerium will diese Aufgabe einer Stelle per Rechtsverordnung übertragen.
Im Falle einer möglichen Organspende, soll ein vom Krankenhaus als auskunftsberechtigt benannter Arzt gesetzlich verpflichtet werden, durch eine Anfrage bei dem Register das Vorliegen einer Erklärung festzustellen. Weitergehende Nachforschungen sollen ihm nicht obliegen. Kombiniert werden sollen die neuen Regelungen mit einer kontinuierlichen Aufklärung der Bevölkerung sowie einer umfassenden Informationskampagne ein Jahr vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung.
Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag ohne Fraktionszwang über eine mögliche Gesetzesänderung entscheiden. Erwartet werden weitere Gesetzesinitiativen, die dann parallel zur Abstimmung stehen sollen.
Innerhalb der Ärzteschaft ist dies bereits vor einem Jahr geschehen: der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt sprach sich mehrheitlich für die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende aus. „Trotzdem muss uns bewusst sein, dass es bei der Widerspruchslösung um ein hochsensibles Thema geht, das ethische, religiöse und verfassungsrechtliche Fragen berührt“, sagte Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery anlässlich der Vorlage des Gesetzentwurfs. Notwendig sei eine besonnene Diskussion mit Respekt für die Ängste und Argumente der Gegenseite.
Dass die Diskussion im Parlament sehr kontrovers geführt werden wird, zeichnet sich bereits ab: Eine Gruppe um Annalena Baerbock (Grüne) von zehn Bundestagsabgeordneten aus Union, SPD, FDP, Linken und Grünen veröffentlichte angesichts des Vorstoßes von Spahn und Lauterbach eine Erklärung, die in einem weiteren Gesetzentwurf münden soll. Nach ihrer Ansicht würde die Einführung einer doppelten Widerspruchslösung in die falsche Richtung führen. Sie wecke Ängste und senke das Vertrauen in die Organspende.
Im Einzelnen schlägt die Gruppe ein bundesweites Onlineregister für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende vor. Dieses soll eine Registrierungsmöglichkeit schaffen, die für die Bürger einfach und sicher erreichbar ist (beispielsweise beim Abholen der Ausweispapiere) und gleichzeitig den Krankenhäusern im Bedarfsfall einen Zugriff gewähren.
Die Menschen sollten selbst in der Lage sein, ihre Erklärung zur Organspende in das Register einzutragen und bei Bedarf auch zu ändern. „Die Freiheit zu einer Entscheidung über diese zutiefst persönliche Frage muss ohne Zwang erhalten bleiben“, heißt es explizit in der Erklärung.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: