OECD: Hohe Sozialabgaben in Deutschland

Berlin – Deutschland gehört bei der Steuer- und Abgabenlast unter den Industrieländern immer noch zu den Spitzenreitern. Ob ein alleinstehender Durchschnittsverdiener oder ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern – nach einer aktuellen Studie der Industrieländer-Organisation OECD mit dem Namen „Taxing Wages“ rangiert Deutschland bei der Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben sowie abzüglich staatlicher Zuschüsse weit über dem Durchschnitt.
Demnach musste zum Beispiel ein lediger Angestellter ohne Kind im vergangenen Jahr im Schnitt 49,4 Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber) an den Staat abliefern. Im Kreis der OECD-Länder rangiert Deutschland damit auf dem zweithöchsten Platz. Nur in Belgien fiel die Abgabenlast für einen alleinstehenden Durchschnittsverdiener noch höher aus. Der OECD-Durchschnitt betrug 36,0 Prozent. Im Jahr 2000 lag der Wert für Deutschland noch bei 52,9 Prozent.
Hohe Sozialabgaben für Arbeitnehmer
Einen Grund für die hohe Belastung der Arbeitseinkommen in Deutschland im Vergleich zu allen 35 OECD-Ländern sieht die Organisation in den vergleichsweise hohen Sozialabgaben für Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden. Die Sozialabgaben für einen alleinstehenden Arbeitnehmer liegen zum Beispiel nur in Slowenien laut OECD höher. Bei der Arbeitgeberlast rangiert Deutschland auf Platz 15, aber immer noch leicht über dem OECD-Durchschnitt (siehe interaktive Grafik).
Nach Angaben der OECD liegt auch bei allen anderen untersuchten Haushaltstypen die Belastung in Deutschland über dem Durchschnitt der OECD. Für einen verheirateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern etwa betrug sie 34,0 Prozent. Deutschland liegt damit auf Platz neun aller 35 OECD-Länder. Der OECD-Schnitt betrug 26,6 Prozent.
Die Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben sei aber im OECD-Raum insgesamt erneut leicht gesunken, sagte OECD-Experte Pascal Saint-Amans. „Allerdings ist dieser Trend vor allem das Resultat von Reformanstrengungen in einigen wenigen Ländern.“ Steuersenkungen könnten vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Einkommen Arbeitsanreize schaffen und so ein wichtiger Motor für Wachstum sein, das allen zugute komme.
Bund der Steuerzahler fordert Entlastungen
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) forderte die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Reform des Einkommensteuertarifs. BdSt-Präsident Reiner Holznagel mahnte, Bürger und Betriebe ernsthaft zu entlasten. Der Verband plädiert dafür, dass der Spitzensteuersatz erst ab einem Einkommen von 80.001 Euro greift.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warb für „mutige Strukturreformen“, um die Sozialbeiträge unter 40 Prozent zu halten. „Ein weiterer Anstieg würde Beschäftigung und Wachstum stark gefährden“, warnte Kramer.
Fragen und Antworten
Wie ermittelt die OECD die Zahlen?
Nach einheitlichen und transparenten Vorgaben für alle OECD-Staaten. Die Gesamtbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber misst der „tax wedge“. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen den Lohnkosten des Arbeitgebers pro Mitarbeiter und dem Lohn, der dem Arbeitnehmer nach Steuern und Sozialabgaben sowie sozialen Transferleistungen verbleibt. Das ist somit ein Indikator für die Belastung des Faktors Arbeit. Es wird gezeigt, wie viel Kaufkraft der Staat einem Arbeitnehmer durch Steuern und Abgaben nimmt. Noch aussagekräftiger wären die Daten, wenn auch die Belastung durch indirekte Steuern einbezogen würde wie die Mehrwert- oder Mineralölsteuer – was laut Ökonomen aber schwierig ist.
Würde Deutschland ohne Sozialabgaben besser abschneiden?
Ja. Würde der Vergleich auf die Steuerbelastung beschränkt, dann fiele das Ergebnis für Deutschland besser aus. Denn die Sozialabgaben sind hierzulande relativ hoch. Daher fielen geringfügige Steuerentlastungen kaum ins Gewicht. Zumal Gehälter stärker gestiegen sind als Steuererleichterungen oder Freibeträge, so dass ein größerer Anteil der Einkommen steuerpflichtig wurde. Ein isolierter Vergleich nur der Steuerlast ist wenig aussagekräftig. Beachtet werden muss aber, dass sich vor allem bei der effektiven Belastung unterer Einkommensbereiche zusätzliche Transferzahlungen auswirken – etwa der Kinderzuschlag, Wohngeld und BAföG.
Wie groß sind die Unterschiede unter den OECD-Ländern?
Sehr groß. Für Alleinstehende ohne Kinder etwa reicht der Abgabenanteil von 54 Prozent der Arbeitskosten in Belgien bis sieben Prozent in Chile. Oder ein anderes Beispiel: In der Schweiz ist das Leben zwar teuer – dafür sind aber die Gehälter relativ hoch und die Steuer- und Abgabenlast gering. Die Schweiz liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt und beim kinderlosen Single hinter Südkorea.
Warum ist die Differenz bei Alleinstehenden besonders groß?
Hier wirkt sich das in Deutschland umstrittene Ehegattensplitting zugunsten verheirateter Paare aus, das es in den meisten anderen OECD-Staaten nicht gibt. Zwar werden in fast allen OECD-Ländern Familien mit Kindern steuerlich gefördert. In Deutschland aber ist diese Subvention, bedingt durch Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern, besonders ausgeprägt. Die OECD-Experten kritisierten schon öfter, dass diese Steuerregeln die Anreize zur Jobaufnahme verringerten. Hohe Steuern und Abgaben für Zweitverdiener entmutigen vor allem Frauen, erwerbstätig zu werden.
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