Politik

OECD: Hohe Sozialabgaben in Deutschland

  • Dienstag, 11. April 2017
/blende11photo, stockadobecom
/blende11.photo, stock.adobe.com

Berlin – Deutschland gehört bei der Steuer- und Abgabenlast unter den Industrieländern immer noch zu den Spitzenreitern. Ob ein alleinstehender Durchschnittsverdiener oder ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern – nach einer aktuellen Studie der In­dustrieländer-Organisation OECD mit dem Na­men „Taxing Wages“ rangiert Deutschland bei der Belastung der Arbeits­ein­kommen durch Steuern und Sozialabgaben sowie ab­züg­lich staatlicher Zuschüsse weit über dem Durchschnitt.

Demnach musste zum Beispiel ein lediger Angestellter ohne Kind im vergangenen Jahr im Schnitt 49,4 Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeit­geber) an den Staat abliefern. Im Kreis der OECD-Länder rangiert Deutsch­land damit auf dem zweithöchsten Platz. Nur in Belgien fiel die Abgabenlast für einen allein­stehen­den Durchschnittsverdiener noch höher aus. Der OECD-Durchschnitt betrug 36,0 Pro­zent. Im Jahr 2000 lag der Wert für Deutschland noch bei 52,9 Prozent.

Hohe Sozialabgaben für Arbeitnehmer

Einen Grund für die hohe Belastung der Arbeitseinkommen in Deutschland im Vergleich zu allen 35 OECD-Ländern sieht die Organisation in den vergleichsweise hohen Sozial­ab­­ga­ben für Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die von Arbeit­neh­mern und Arbeitgebern getragen werden. Die So­zi­al­abgaben für einen allein­stehen­den Arbeitnehmer liegen zum Beispiel nur in Slowenien laut OECD höher. Bei der Arbeit­geberlast rangiert Deutschland auf Platz 15, aber immer noch leicht über dem OECD-Durchschnitt (siehe interaktive Grafik).

Nach Angaben der OECD liegt auch bei allen anderen untersuchten Haushaltstypen die Belastung in Deutschland über dem Durchschnitt der OECD. Für einen verheirateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern etwa betrug sie 34,0 Prozent. Deutschland liegt damit auf Platz neun aller 35 OECD-Länder. Der OECD-Schnitt betrug 26,6 Prozent.

Die Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben sei aber im OECD-Raum insgesamt erneut leicht gesunken, sagte OECD-Experte Pascal Saint-Amans. „Allerdings ist dieser Trend vor allem das Resultat von Reformanstrengungen in einigen wenigen Ländern.“ Steuersenkungen könnten vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Einkommen Arbeitsanreize schaffen und so ein wichtiger Motor für Wachs­tum sein, das allen zugute komme.

Bund der Steuerzahler fordert Entlastungen

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) forderte die sofortige Abschaffung des Solidaritäts­zu­schlags und eine Reform des Einkommensteuertarifs. BdSt-Prä­si­dent Reiner Holznagel mahnte, Bürger und Betriebe ernsthaft zu entlasten. Der Verband plädiert dafür, dass der Spitzensteuersatz erst ab einem Einkommen von 80.001 Euro greift.

Arbeitge­ber­präsident Ingo Kramer warb für „mutige Strukturreformen“, um die Sozial­bei­träge unter 40 Prozent zu halten. „Ein weiterer Anstieg würde Beschäftigung und Wachs­­tum stark gefährden“, warnte Kramer.

Fragen und Antworten

Wie ermittelt die OECD die Zahlen?

Nach einheitlichen und transparenten Vorgaben für alle OECD-Staaten. Die Gesamtbe­lastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber misst der „tax wedge“. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen den Lohnkosten des Arbeitgebers pro Mitarbeiter und dem Lohn, der dem Arbeitnehmer nach Steuern und Sozialabgaben sowie sozialen Transferleistun­gen verbleibt. Das ist somit ein Indikator für die Belastung des Faktors Arbeit. Es wird ge­zeigt, wie viel Kaufkraft der Staat einem Arbeitnehmer durch Steuern und Abgaben nimmt. Noch aussagekräftiger wären die Daten, wenn auch die Belastung durch indirek­te Steuern einbezogen würde wie die Mehrwert- oder Mineralölsteuer – was laut Ökono­men aber schwierig ist.

Würde Deutschland ohne Sozialabgaben besser abschneiden?

Ja. Würde der Vergleich auf die Steuerbelastung beschränkt, dann fiele das Ergebnis für Deutschland besser aus. Denn die Sozialabgaben sind hierzulande relativ hoch. Daher fie­len geringfügige Steuerentlastungen kaum ins Gewicht. Zumal Gehälter stärker gestie­gen sind als Steuererleichterungen oder Freibeträge, so dass ein größerer Anteil der Ein­kommen steuerpflichtig wurde. Ein isolierter Vergleich nur der Steuerlast ist wenig aus­sagekräftig. Beachtet werden muss aber, dass sich vor allem bei der effek­tiven Be­las­­tung unterer Einkommensbereiche zusätzliche Transferzahlungen auswirken – etwa der Kinderzuschlag, Wohngeld und BAföG.

Wie groß sind die Unterschiede unter den OECD-Ländern?

Sehr groß. Für Alleinstehende ohne Kinder etwa reicht der Abgabenanteil von 54 Pro­zent der Arbeitskosten in Belgien bis sieben Prozent in Chile. Oder ein anderes Beispiel: In der Schweiz ist das Leben zwar teuer – dafür sind aber die Gehälter relativ hoch und die Steu­er- und Abgabenlast gering. Die Schweiz liegt weit unter dem OECD-Durch­schnitt und beim kinderlosen Single hinter Südkorea.

Warum ist die Differenz bei Alleinstehenden besonders groß?

Hier wirkt sich das in Deutschland umstrittene Ehegattensplitting zugunsten verheirateter Paare aus, das es in den meisten anderen OECD-Staaten nicht gibt. Zwar werden in fast allen OECD-Ländern Familien mit Kindern steuerlich gefördert. In Deutschland aber ist diese Subvention, bedingt durch Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversiche­rung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern, besonders ausgeprägt. Die OECD-Experten kriti­sier­ten schon öfter, dass diese Steuerregeln die Anreize zur Jobaufnahme verringer­ten. Hohe Steuern und Abgaben für Zweitverdiener entmutigen vor allem Frauen, erwerbs­­tä­tig zu werden.

dpa/EB

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung