Vertrauliche Erstattungspreise: Warnung vor Bürokratiemonster

Berlin – Der Verband der Ersatzkassen (vdek) schließt sich der Kritik an den Plänen zur Einführung vertraulicher Erstattungspreise für neu zugelassene Arzneimittel an.
Die Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner warnt, dass dabei die Entstehung „eines neuen Bürokratriemonsters“ zu erwarten sei und unabsehbare Folgen unter anderem für die Arzneimittelpreisbildung im Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) drohen.
Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nach eigenen Angaben langjährigen Forderungen der Pharmaindustrie entgegengekommen: Es sieht vor, dass Hersteller künftig eine Option auf Vertraulichkeit von mit dem GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungspreisen bei neu zugelassenen, patentgeschützten Arzneimitteln erhalten sollen.
Die Logik dahinter ist, dass vor allem international agierende Firmen in den hiesigen Preisverhandlungen bisher einen eingeschränkten Spielraum hätten, weil viele andere Sozialversicherungssysteme in anderen Staaten Deutschland als Referenzmarkt für ihre Preisverhandlungen hinzuziehen. Durch vertrauliche Erstattungspreise, so die Hoffnung, seien die Unternehmen dann flexibler und könnten höhere Nachlässe als bisher zugestehen.
Elsner zweifelt an dieser Logik. „Wir sehen die Pläne eher als Risiko für die Beitragszahler. Es gibt im Moment keinerlei Empirie, dass durch vertrauliche Erstattungsbeträge niedrigere Preise eintreten würden“, sagte sie dem Deutschen Ärzteblatt.
Die Zahl der Neueinführungen in Deutschland liege bei rund 40 im Jahr, mit teils sechsstelligen Jahrestherapiekosten. Bei vielen dieser Medikamente letztlich die Option der Vertraulichkeit der ausgehandelten Erstattungsbeträge gewählt würde, sei dabei jedoch unklar. „Wir bewegen uns hier im Bereich des Glaubens“, unterstrich sie.
Demgegenüber stünden jedoch feste Ausgaben und laufende Kosten auf Kassenseite. Denn die Hersteller müssten vertraulich gewährte Rabatte an die Kostenträger zurückerstatten und den Plänen des BMG zufolge wäre für dieses Verfahren der GKV-Spitzenverband zuständig.
Dieser müsste dementsprechend Stellen einrichten, die die berechtigten Institutionen – neben Krankenkassen könnten das auch Krankenhäuser oder Selbstzahler sein – über den Preis der Rückabwicklung informierten. Das wäre selbst dann der Fall, wenn es sich jährlich nur um einen oder wenige Fälle vertraulicher Erstattungspreise handelt.
„Da würden vollkommen unnötig neue Verwaltungskosten entstehen“, kritisierte Elsner. „Wenn die Industrie vertrauliche Erstattungspreise will, dann sollte sie auch selbst die Verantwortung für die Verfahren tragen.“
Regulatorische Folgen nicht absehbar
Darüber hinaus seien die regulatorischen Folgen der geplanten Reform noch gar nicht absehbar. So wären demnach etwa Zuschläge für den Großhandel und die Apotheken trotzdem noch auf dem alten Preisniveau, da sie sich mangels Transparenz an den Listenpreisen orientieren müssten. „Uns würden keinerlei Steuerungsinstrumente mehr bleiben, da beispielsweise auch die Einhaltung der Importquote für die Apotheken nicht mehr möglich wäre“, warnte Elsner.
Auch Ärzte könnten demzufolge im Rahmen ihrer Verordnungen das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht mehr einhalten, da sie die tatsächlich erstatteten Preise nicht kennen. Krankenhäuser, die Arzneimittel direkt einkaufen, hätten wiederum keine Transparenz mehr beim Einkauf.
„Es gäbe dann im Gesundheitswesen nur noch einen Player, der volle Transparenz hat, und das wäre die Industrie“, sagte Elsner. Alle anderen Akteure im Gesundheitswesen würden in diesen Fällen auf deren Angaben angewiesen sein.
Es besteht die Gefahr, dass die Unternehmen dann mit Schaufensterpreisen arbeiten, also bewusst die Listenpreise hoch ansetzen. Das hätte mittelfristig auch Auswirkungen auf die Preisbildung anderer Arzneimittel. Denn im AMNOG-Verfahren wird der Preis der Zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) hinzugezogen. Ist dieser mangels Transparenz in der Rabattgewährung aber zu hoch angesetzt, könnte das mutmaßlich Einfluss auf die Preisverhandlungen bei neuen Präparaten haben.
Das AMNOG habe bereits große Auswirkungen beim Versuch, die Preise von patentgeschützten Arzneimitteln zu senken, betonte Elsner: „Falls wir diese Mechanismen weiterentwickeln wollen, würden wir eher dafür plädieren, auf das Fair-Pricing-Modell zu setzen, das die Association Internationale de la Mutualité (AIM), eine internationale Dachorganisation für Krankenversicherungen, vorgeschlagen hat.“
Forderung nach kriterienbasierter Preisbildung
Dabei würde das AMNOG-Verfahren um eine kriterienbasierte Preisbildung ergänzt, bei der die Unternehmen unter anderem die realen Kosten für Forschung und Entwicklung offenlegen müssen.
Elsner ging noch weiter: Sie warnte, dass vertrauliche Erstattungspreise in Einzelfällen sogar zu Versorgungsproblemen führen könnten, und verwies bei der Rückerstattungsabwicklung auf Parallelen zu den verhandelten Erstattungspreisen bei Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).
Die Verhandlungen über niedrigere Erstattungspreise hatten dort seit vergangenem Jahr zu mehreren Insolvenzen geführt, weil die Unternehmen nicht genug Rücklagen gebildet hatten, um die gesetzlich vorgesehenen Rückerstattungen nach Festsetzung des neuen Preises zu bedienen.
„Ein großer Pharmakonzern wird durch so etwas nicht in die Insolvenz rutschen, aber kleinen Anbietern könnte das durchaus passieren und dann wäre das jeweilige Arzneimittel gar nicht mehr verfügbar“, erklärte Elsner. Diese Gefahr werde dadurch verstärkt, dass es in den vergangenen Jahren eine Tendenz zu Aus- und Neugründungen von Pharmaunternehmen für einzelne hochpreisige Produkte gebe.
„Das Inkassorisiko tragen dabei die Krankenkassen“, warnte Elsner. Denn bei der Akquirierung der Rückerstattungssummen wären dann auf ihre Auszahlungsquote im Rahmen der jeweiligen Insolvenzverfahren angewiesen. „Dieses Szenario ist durchaus realistisch.“
All diese Einwände würden noch dadurch verstärkt, dass das BMG das Instrument vertraulicher Erstattungspreise auch damit begründet, mittels besserer Bedingungen für die Unternehmen den strauchelnden Pharmastandort zu stärken.
„Im Pharmadialog war kommuniziert worden, dass man den Standort Deutschland stärken will. Ich sehe aber nicht, dass die Beitragszahler die Aufgabe hätten, Industrieförderpolitik zu finanzieren“, sagte Elsner. Hinzu komme, dass selbst die Industrie nur sehr verhalten auf die Pläne reagiere.
Das könne möglicherweise daran liegen, dass es bei der Vielzahl der Beteiligten und ihrer Interessen gar keine echte Vertraulichkeit möglich sei, mutmaßt Elsner. „Wir würden da etwas aufbauen, das gar keine Wirkung hat“, erklärte sie. „Dann können wir unsere Energie auch auf sinnvollere Vorhaben verwenden.“
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