Sorge vor Milliardenlöchern durch vertrauliche Erstattungspreise

Berlin – Die geplante Einführung vertraulicher Erstattungspreise für patentgeschützte Arzneimittel könnte Milliardenlöcher in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) reißen. Diese Sorge treibt den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und die GKV-Dachverbände um, wie aus einem gemeinsamen Brief an die Abgeordneten des Bundestags hervorgeht.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung verbessern, bringt aber neben der vorgesehenen Reform der Ethikkommissionen vor allem mit den geplanten vertraulichen Erstattungspreisen viele Akteure im Gesundheitswesen gegen sich auf.
Deren Einführung diene den vorgesehenen Zielen nicht, „daher sehe wir das Vorhaben mit großer Sorge und bitten Sie eindringlich darum, von diesem Regelungsvorschlag Abstand zu nehmen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Ansonsten würden „immense Folgewirkungen für die GKV“ drohen, warnen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes, zu denen neben dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, und dem Institutsleiter des IQWiG, Thomas Kaiser, auch die Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer des AOK-Bundesverbands, des BBK-Dachverbands, des IKK e.V., der Knappschaft, der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) sowie des Verbands der Ersatzkassen (vdek) gehören.
Der Versichertengemeinschaft würden durch die Pläne erhebliche Mehrausgaben drohen, zum einen durch den Wegfall von Instrumenten zur Preisregulierung, zum anderen durch einen massiven Bürokratieaufbau.
Denn nicht korrigierte Listenpreise würden demnach zu fehlenden Preisvergleichsmöglichkeiten führen. „Überhöhte Schaufensterpreise“ der Hersteller würden dann zum Anker für den Markteinstieg von Nachfolgeprodukten. Demgegenüber sei die Kenntnis der tatsächlichen Preise auch für die Nutzenbewertung eines neuen Arzneimittels und die anschließende Erstattungsbetragsverhandlung erforderlich.
Schließlich würden im Beschluss des G-BA die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapien auf Basis der öffentlich verfügbaren Listenpreise kalkuliert und damit regelhaft zu hoch abgebildet. Für Ärzte sowie Patienten wäre in keinerlei Hinsicht mehr nachvollziehbar, inwiefern der im Nutzenbewertungsbeschluss festgestellte Zusatznutzen überhaupt noch einen Einfluss auf die Preise der Arzneimittel habe, wenn der verhandelte Erstattungsbetrag nicht öffentlich werde.
Zudem könnten vertrauliche Erstattungspreise einer weiteren erheblichen finanziellen Belastung „durch die faktische Abschaffung der Wirtschaftlichkeitsorientierung bei der Arzneimittelauswahl und Verordnung“ führen. „Es ist vollkommen unklar, wie bei der geplanten Geheimhaltung Ärztinnen und Ärzte dem Wirtschaftlichkeitsgebot Folge leisten sollen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen stattfinden können“, warnen die Autoren des Briefs.
Apothekern könnte es demnach ähnlich gehen: Ihnen wäre es durch die Geheimhaltung der tatsächlichen Erstattungsbeträge nicht mehr möglich, zu erkennen, ob die Abgabe eines Importarzneimittels kostengünstiger wäre. Der Einsatz wirtschaftlicher Importarzneimittel werde dadurch erschwert bis unmöglich. „Ein Preiswettbewerb kann nicht mehr stattfinden“, heißt es in dem Schreiben.
Eine weitere Belastung für die GKV käme zudem durch die notwendigen Rückabwicklungsprozesse zustande. Erst kürzlich hatte vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner vor dem Aufbau eines „Bürokratiemonsters“ gewarnt, das für das Rückforderungsmanagement für die Differenzbeträge zwischen dem Abgabe- und dem vertraulichen Erstattungspreis notwendig würde. Diese Stellen müssten selbst dann eingerichtet werden, wenn es nur wenige Fälle im Jahr gebe.
„Dies steht der politischen Intention eines Bürokratieabbaus im Gesundheitswesen diametral entgegen“, heißt es nun in dem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten. Zu den Mehraufwänden für Mahnwesen und Klärungsstellen kämen außerdem erhebliche Liquiditätsverschiebungen durch die Nacherstattungsverfahren hinzu.
Bereits heute seien die Listenpreise von neuen Arzneimitteln künstlich überhöht und würden mangels Wettbewerbs erst durch die Erstattungsbetragsverhandlungen korrigiert. Durch diese sinke auch die Vergütung für Großhandel und Apotheken sowie die zu leistende Umsatzsteuer, was wiederum Auswirkungen auf die Gesamteinsparungen habe.
Analysen des IGES-Instituts zufolge habe das berechnete Volumen der Handelsstufen im Jahr 2022 bei 1,5 Milliarden Euro gelegen, bei insgesamt 5,5 Milliarden Euro AMNOG-Rabatten durch die pharmazeutischen Hersteller. „Dies zeigt, in welcher Höhe die Kostenträger künftig zusätzlich (zinslos) in eine Vorfinanzierung zugunsten der pharmazeutischen Hersteller gehen müssten“, heißt es in dem Brief.
Dabei bestehe zudem die Gefahr, dass die pharmazeutischen Unternehmen diese Beträge künftig vorab einpreisen und damit ihre Arzneimittel zu noch höheren Preisen in den Markt bringen.
Rechtsstreitigkeiten und Zahlungsverzüge sowie -ausfälle seien zudem programmiert, schließlich hätten auch mehrere Pharmaunternehmen bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen den Ausgleich zu viel gezahlter Handelszuschläge und Umsatzsteuer auf Grundlage eines zeitweiligen Nacherstattungsanspruchs im Rahmen einer Regelung aus dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) eingelegt.
Aus all diesen Gründen stelle sich die Frage, ob die abzusehenden Mehrkosten der geplanten Regelung und der bürokratische Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der angestrebten realisierten Stärkung des Pharmastandortes Deutschland stünden.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass die Versicherten (und die Arbeitsgeber) hierzulande mit ihren Beitragsgeldern die Möglichkeit der pharmazeutischen Industrie für Umsatzzuwächse bei neuen, patentgeschützten Arzneimitteln im Ausland finanzieren sollen – ohne jedweden qualitativen Versorgungsmehrwert“, kritisieren die Autoren des Schreibens.
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